Die Vermögensteuer sei tot, behauptet die SPD-Führung in Berlin. Dazu ein Beitrag, den ich 1996 zum Thema Vermögensteuer und Bodenbesteuerung geschrieben habe – die jetzt eingefügten Textstellen sind kursiv gekennzeichnet.
Eine gerechte Bodenbesteuerung
Obwohl das Einheitswertgesetz 1965 alle sechs Jahre eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte zur Festsetzung der Vermögensteuer, der Erbschafts- und Schenkungssteuer und der Grundsteuer vorschreibt, gab es von 1964 bis heute – also 50 Jahre lang – keine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte durch die Finanzverwaltung. Immerhin beschloß die sozialliberale Koalition 1971 für die Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer ab 1.1.1974 einen pauschalen Zuschlag von 40 Prozent auf die Einheitswerte von 1964.
Das System der Einheitswerte und die unterlassene Aktualisierung dieser Werte führten zu einer beispiellosen Privilegierung des Bodeneigentums gegenüber anderen Eigentumsarten (z.B. Wertpapieren) bei allen Steuern, die den Bodenwert betrafen, z.B. Vermögensteuer, Erbschaft-,Schenkung- und Grundsteuer. Jahrzehntelang hat das Bundesverfassungsgericht diese offenkundige steuerliche Ungleichbehandlung unterschiedlicher Eigentumsarten hingenommen und Aufforderungen, das geltende System für verfassungswidrig zu erklären, mit windigen Begründungen abgelehnt.
Durch Nichthandeln abgeschafft
Mit seiner Entscheidung vom 22.6.1995 (Berichterstatter Paul Kirchhof!) untersagte das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der steuerlichen Einheitswerte für Grundstücke und Gebäude für die Vermögen- und Erbschaftsteuer als einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz der Verfassung und damit als verfassungswidrig. Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 31.12.1996 eine neue Regelung für beide Steuern zu treffen. Allerdings unterließ es das Gericht, bei der Vermögensteuer eine Regelung für den Fall zu treffen, in dem der Gesetzgeber nicht handelt. So spielte das Bundesverfassungsgericht der CDU/CSU/FDP-Bundestagsmehrheit die Möglichkeit zu, die den Ländern zustehende Vermögensteuer durch Nichthandeln zum 31.12.1996 abzuschaffen, ohne daß der Bundesrat sich dagegen wehren konnte. Ein in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaliger Vorgang!
Die Mehrheit des 2. Senats schrieb ausserdem eine Reihe von gesetzgeberischen Vorgaben in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinein, die mit der Kontrolle der Verfassungsmässigkeit von § 10 Vermögensteuergesetz nichts zu tun hatten. Aus dem Grundgesetz sind diese Vorgaben nicht zu begründen. Wo steht in der Verfassung, die Vermögensteuer müsse eine „Sollertragsteuer“ sein? Wo steht im Grundgesetz, daß die Erträge von Arbeit und Vermögen zusammen höchstens zur Hälfte besteuert werden dürfen? Diese Vorgaben waren nicht entscheidungserheblich; ihre rechtliche Bindungswirkung für den Gesetzgeber ist fraglich. …
Prozeß der Umverteilung bis heute
Die FDP und die CDU/CSU nahmen die Hilfe aus Karlsruhe dankbar an und schafften die Vermögensteuer durch Nichthandeln ab. Statt die Arbeit steuerlich zu entlasten, wurden die Vermögen entlastet. Dieser Prozeß der Umverteilung schreitet bis heute fort.
Eine Reform der Bodenbesteuerung müßte die Bodenspekulation erschweren, leistungslose Gewinne aus Bodenverkäufen reduzieren, das Horten von bebaubaren Grundstücken erschweren und die plangerechte Nutzung von Baugrundstücken fördern. Sie sollte einen sparsamen, ökologisch vernünftigeren Umgang mit dem knappen Gut Boden erleichtern und die Zersiedlung bremsen.
Der Gesetzgeber kann die Bodenbesteuerung durch Freigrenzen, Freibeträge, Abschläge und Hebesätze so ausgestalten, dass die große Mehrheit der selbst-nutzenden Hauseigentümer weder Vermögen- noch Erbschaftsteuer bezahlen muß. Unstrittig ist, daß es keine konfiskatorische Besteuerung des Bodeneigentums geben darf, denn Grundvermögen ist schwerfälliger – immobiler – als Aktienvermögen. Der Aktionär kann im Bedarfsfall ein paar Aktien verkaufen, der Grundbesitzer kann nicht in gleicher Weise rasch ein paar Quadratmeter veräussern. Insoweit sind bei der Besteuerung des Grundvermögens Differenzierungen gerechtfertigt.
Ein neues Bewertungsverfahren
Ein neues Bewertungs- und Besteuerungsverfahren sollte bei geringem Personalaufwand einfach, verständlich und nachprüfbar sein. Es darf die Steuerwerte nicht auf lange Zeit festschreiben, sondern muß eine zeitnahe Fortschreibung der Bodenwerte ohne großen Aufwand ermöglichen. Dazu wäre es vernünftig, die Bewertung der Grundstücke und der Gebäude voneinander zu trennen und bei der Grundsteuer zukünftig nur noch den Grundstückswert, nicht mehr den Gebäudewert zu besteuern. Die Gebäudewerte könnten dann für die Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer in einem vereinfachten Sachwertverfahren pauschal ermittelt werden.
Die Grundstückswerte sollten sich an den Verkehrswerten, das heisst den im normalen Grundstücksverkehr zu erzielenden Preisen, orientieren, die seit vielen Jahren von den selbständigen und unabhängigen Gutachterausschüssen ermittelt werden, die nach §§ 192 ff BauGB von den Landkreisen oder Gemeinden zu bilden sind. Bei den Gutachterausschüssen werden Kaufpreissammlungen geführt, die als Grundlage der Wertermittlung dienen. In regelmässigen Abständen werden diese Werte in der Form von Bodenrichtwertkarten veröffentlicht.
Großzügige Abschläge
Zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Bewertung der Grundstücke könnte der Gesetzgeber für die Besteuerung einen großzügigen Abschlag von etwa zwanzig Prozent des Verkehrswertes vornehmen. Es wäre zu prüfen, ob zur Vermeidung von Härten weitere Abschläge nach sozialen Kriterien, etwa für selbstnutzende Hauseigentümer oder Landwirte ermöglicht werden können.
Würde die Grundsteuer der Gemeinden sich nur noch auf die Bodenwerte beziehen, dann hätten die Gemeinden für ihre Hebesätze erhebliche Gestaltungsspielräume, zum Beispiel für Kleingrundstücke, für Landwirte, für neu anzusiedelnde Betriebe oder für unbebaute bebaubare Grundstücke. Voraussetzung dafür wäre, daß der Gesetzgeber den Gemeinden das Recht einräumte, zur planerischen Steuerung und zur sozialen Ausgestaltung der Bodennutzung ihre Hebesätze für die Grundsteuer zu variieren.
Eine derartige Reform der Bodenbesteuerung würde die nichtrealisierten Bodenwertzuwächse steuerlich nicht erfassen. Bei einer jährlichen oder zweijährigen Fortschreibung der Bodenwerte würden Bodenwertsteigerungen jedoch rasch zu einer höheren Besteuerung über die Grundsteuer und – sofern es sie noch oder wieder gäbe – über die Vermögensteuer führen.
USA und England als Vorbilder
Wegen der theoretischen und praktischen Probleme sollte die Forderung nach der Besteuerung nichtrealisierter Wertzuwächse nicht weiter verfolgt werden. Die realisierten Wertzuwächse hingegen sollten grundsätzlich besteuert werden, das heißt die derzeitige Schamfrist von zwei Jahren, nach der diese Wertzuwächse beim Verkauf steuerfrei bleiben, sollte aufgehoben und durch eine zeitlich degressive Besteuerung ersetzt werden; je länger der Eigentümer das Grundstück vor dem Verkauf in Besitz hat, um so niedriger sollte der Steuersatz für den beim Verkauf realisierten Gewinn sein.
Die Bewertungsprobleme einer Vermögensteuer sind also lösbar. Andere Staaten, beispielsweise die USA und das UK zeigen, dass eine Vermögensteuer sinnvoll und machbar ist.
Die Parteien haben zu diesem Thema jahrelang geschwiegen, weil sie ihre Wählerinnen und Wähler nicht verschrecken wollten. Die Realisierungschancen einer Reform der Bodenbesteuerung sind deshalb gering.
Sparen zulasten der Armen, der Kultur, der Infrastruktur
Für einen Bundestagsabgeordneten, der vor 1972 auszog, das Bodenrecht zu reformieren, ist das eine betrübliche Bilanz. Aber es hat wenig Sinn, sich etwas vorzulügen. So warten wir auf bess’re Zeiten. „Rettet unsere Städte jetzt“, forderte der Städtetag Ende der 60er Jahre. Jetzt?
PS. 2014 18 Jahre später: Inzwischen haben CDU/CSU und SPD die „Schuldenbremse“im Grundgesetz eingeführt, und allerorten beginnt das grosse Sparen zulasten der Armen, zulasten der Bildung, zulasten der Kultur, zulasten der Infrastruktur. Doch die großen Vermögen bleiben weiterhin unangetastet. Weniger Staat – mehr Privat – das ist die Devise der Schuldenbremser, die nicht bereit sind, die Neuverschuldung durch eine maßvolle Vermögensbesteuerung zu beschränken.
Die Kosten der Eintreibung waren angeblich so hoch wie die einstigen Einkünfte. Wäre es wirklich sinnvoll, die Vermögenssteuer wieder einzuführen? Welche anderen Steuern müssten dann gerechterweise gestrichen oder vereinfacht werden? Sonst läuft es doch nur auf mehr Bürokratie hinaus, oder nicht?