Der holländische Ministerpräsident Marc Rutte steht vor einer vierten Amtszeit. Er hat gute Aussichten, in anderthalb Jahren den Rekord von Ruud Lubbers als Regierungschef mit der längsten Amtszeit in Den Haag einzustellen. Für ein bloßes Weiter-so steht der Ausgang der dreitägigen Parlamentswahlen unter Pandemiebedingungen allerdings nicht. Sigrid Kaag, die Spitzenkandidatin der linksliberalen D66 und bisherige Außenhandelsministerin, hat in Zukunft ein stärkeres Wort mitzureden.
Rutte hat mit seiner rechtsliberalen Partei VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie) zugelegt – obwohl er im Januar nach einem Skandal um die finanzielle Unterstützung von Kindern zurücktreten musste und seither nur noch geschäftsführend im Amt war. Auch sein anfänglich suboptimales Corona-Management und die zunehmenden Krawalle in den Städten konnten ihm nichts anhaben. In der Krise keine Experimente, mögen sich unsere Nachbarn an den Wahlurnen gesagt haben. Der Amtsinhaber darf weitermachen.
Das gilt jedoch nicht unbedingt für seine bisherige konservative Koalition. Die Demokraten 66, die mit Sigrid Kaag zur zweitstärksten Kraft im Parlament herangewachsen sind, drängen auf neue Akzente. „Fortschrittlicher, ehrlicher und grüner“ solle es in der niederländischen Politik zugehen. Für eine der beiden rechten Parteien, die Christdemokraten und die Christenunion, ist dann womöglich kein Platz mehr.
„Was für ein prächtiger Abend“, twitterte Sigrid Kaag und stellte ein Foto dazu, das sie auf dem Tisch tanzend zeigte. Sie fügte hinzu: „Nu aan de slag, de toekomst wacht niet.“ Auf geht’s, die Zukunft wartet nicht. Und die 59-jährige Kaag stellt sich diese Zukunft gewiss anders vor, als Marc Rutte (54), der am Wahlabend frohlockte, er habe „Energie für nochmal zehn Jahre“.
Fortschrittliche Kräfte jedoch, die die Regierungskoalition bereichern könnten, drängen sich nicht auf. Sozialdemokraten, Linksgrüne und Sozialisten haben durchweg Sitze verloren. Allein „Volt“, die neue Europapartei, die im letzten Herbst bei den Kommunalwahlen in Köln und Düsseldorf von sich reden machte, konnte den Prognosen zufolge aus dem Stand drei Sitze gewinnen. Wenn Rutte jedoch, der sich in der Europäischen Union als Wortführer der „Frugalen Vier“ hervorgetan hat, ausgerechnet die Europabegeisterten in seine Regierung holte, wäre das eine Überraschung.
Bei einem etwas genaueren Blick auf die neue Verteilung der 150 Parlamentssitze, die nun an insgesamt 16 bzw. 17 Parteien gehen und damit so viele wie seine mehr als hundert Jahren nicht, zeigt sich auch im Spektrum der äußersten Rechten ein differenziertes Bild. Zwar gehört Geert Wilders mit seiner Partij voor de Vrijheid klar zu den Wahlverlierern; zugleich gewannen aber das Forum für Demokratie (FvD) des rassistischen Nationalisten Thierry Baudet und auch die FvD-Abspaltung Richtige Antwort 21 (JA21) Sitze hinzu, so dass das gespaltene Lager der Rechtspopulisten kräftig zugelegt hat.
Bei einem Blick über die Grenze mag der Verlust der Grünen besonders überraschen, die hierzulande ihre Erfolgsserie auch bei den jüngsten Landtagswahlen fortsetzten. In den Niederlanden, die die Folgen des Klimawandels deutlicher vor Augen haben, können die Grünen längst keinen exklusiven Anspruch mehr auf das Thema erheben. Sie entwickeln sich eher zu einer der vielen Kleinparteien, die eine zunehmende Zersplitterung des Parlaments bewirken.
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