Es geht um die Regionen, ums jeweilige Land, wenn in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg der neue Landtag gewählt wird, wenn 3,1 Millionen Wahlberechtigte im einen Land und 7,7 Millionen im anderen, südlicher gelegenen Bundesland zur Wahl aufgerufen sind. Das stimmt zwar, aber das stimmt nur zum Teil. Denn in Stuttgart und in Mainz geht es um mehr, deshalb hoffen und bangen sie in Berlin mit, vor allem die Christdemokraten, die von der Masken-Affäre und von bisher ungeklärten Nebeneinkünften einiger ihrer Abgeordneter ziemlich genervt sind, um nicht zu sagen gebeutelt. Sie fürchten in der Hauptstadt, dass sie in der Provinz wegen dieser unsauberen Geschäfte abgestraft werden könnten. Dass sie plötzlich am Abend des Wahlsonntags mit leeren Händen dastehen, dass sie zum Regieren weder in Mainz noch in Stuttgart gebraucht werden, dass man dort Bündnisse bilden könnte aus Grünen, Roten und Gelben-unter wechselnden Führungen-, die den Reiz einer Ampel-Koalition auch in Berlin verstärken könnte. Deshalb dürfte Armin Laschet beunruhigt sein, der CDU-Bundesvorsitzende und NRW-Ministerpräsident. Ob dadurch sein bayerischer Amtskollege Markus Söder(CSU) in die Favoritenrolle rutschen würde, ist nicht ausgemacht, weil nach der Wahl die Karten neu gemischt werden könnten.
Baden-Württemberg war mal eine richtige CDU-Hochburg. 58 Jahre residierte in der Villa Reitzenstein ein Christdemokrat. Einige Beispiele mögen genügen: Kurt-Georg Kiesinger, der dann Bundeskanzler einer Großen Koalition in Bonn wurde. Oder nehmen wir Hans Filbinger, der wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner Tätigkeit als Marinerichter am Ende des 2. Weltkriegs so in Bedrängnis geriet, dass er zurücktreten musste. (Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.) Lothar Späth war in seinen Glanzzeiten ein richtiger Wirbelwind, der sich von den Medien gern feiern ließ- auch als möglicher Nachfolger von Helmut Kohl, dessen Statur er aber nicht erreichte. Er geriet in eine Amigo-Affäre, vergleichbar der seines bayerischen Kollegen Max Streibl, weil er Berufliches und Privates, Geschäfte und Geschenke miteinander vermischte. Erwin Teufel stand einer Großen Koalition mit Dieter Spöri vor, die ziemlich erfolgreich war. Günter Oettinger folgte auf Teufel, in schlechter Erinnerung ist mir bei ihm geblieben seine Grabrede auf Filbinger, den er fast zum Widerstandskämpfer gegen Hitler erkor. Seine Brüsseler Arbeit als EU-Kommissar dagegen trug ihm Anerkennung ein. Mit Oettinger sind nicht immer faire Machtkämpfe mit Annette Schavan verbunden gewesen, an denen auch Volker Kauder und CDU-Landesfraktionschef Stefan Mappus beteiligt waren. Mappus wurde nach dem Wechsel Oettingers zur EU-mit Hilfe von Angela Merkel- der (vorerst) letzte CDU-Ministerpräsident im Ländle der Cleverles.
Dann der Absturz der CDU im Jahre 2011. Zur Erinnerung: Heute vor zehn Jahren wurde Japan durch einen Tsunami in Folge eines schweren Erdbebens heimgesucht, der das Kernkraftwerk Fukushima überschwemmte, es kam zu einer Kernschmelze mit Tausenden von Toten. Diese Katastrophe brachte nicht nur die CDU-Kanzlerin Angela Merkel zum Umdenken in der Atompolitik, wo sie erst den Ausstieg der rot-grünen Regierung unter Schröder/Fischer zurückgenommen, nach dem Super-Gau von Fukushima aber das Ende der Atomkraft in Deutschland mit ihrer konservativ-liberalen Regierung beschlossen hatte. Dieses Hin und Her Merkels sorgte in den eigenen Reihen für große Verunsicherung. In Baden-Württemberg, in dem die Grünen von Anfang ihrer Gründung an eine wichtige Rolle gespielt hatten, kam der Streit um „Stuttgart 21“ hinzu mit vielen Protesten nicht nur von Umweltschützern. Der milliardenschwere Umbau des Stuttgarter Bahnhofs-die Kosten explodierten – sorgt bis heute für Proteste im Land. Mappus, nicht unbedingt beliebt bei der politischen Konkurrenz auch wegen seiner teils ruppigen Art der Auseinandersetzung, stand ohne Koalitionspartner da.
Stunde von Kretschmann
Die Stunde von Winfried Kretschmann(Grüne) schlug, obwohl die Grünen mit 24,2 Prozent nur zweitstärkste Kraft waren, bildete er mit der SPD(23,1 Prozent) eine grün-rote Koalition, die CDU musste trotz ihrer 39 Prozent auf die Oppositionsbank, was einige als Majestätsbeleidigung empfanden und dazu beitrug, dass sie Jahre brauchten, um diese Niederlage zu verarbeiten. Noch heute meinen einige, es wäre ein Unfall gewesen, also einmalig. Dass das nicht so war, kann man heute sehen, Kretschmann ist der beliebteste und anerkannte Chef im Ring, auch die Wirtschaft, auch Daimler-Benz, haben ihren Frieden mit den Grünen gemacht. Sie haben längst erkannt, dass das erfolgreiche Land zwischen Mannheim und Freiburg nicht ins Chaos versunken ist, weil die Schwarzen von den Grünen aus der Regierung gehoben wurden. Kretschmann, längst zum Landesvater aufgestiegen, der konservatives, liberales, christliches Gedankengut miteinander verbindet, wechselte nach der Landtagswahl 2016 den Regierungspartner, die CDU löste die SPD ab, aber die Stärken der Parteien veränderten sich. Heute sind die Grünen im Ländle dank Kretschmann die stärkste Partei, folgt man Umfragen könnten sie am Sonntag rund 35 Prozent der Stimmen gewinnen-oder gar noch mehr-, während die CDU mit ihrer Kandidatin Susanne Eisenmann mit rund 25 vh das historisch schlechteste Ergebnis erzielen könnte. So viel zum Thema Unfall.
Vieles ist möglich in Stuttgart, die CDU könnte in die Opposition abstürzen, Kretschmann könnte mit SPD und FDP eine Ampel-Regierung oder gar, wenn es ganz gut für Grüne und Liberale liefe, eine sogenannte Zitrus-Allianz aus grünen Limetten und gelben Zitronen bilden. FDP-Chef Christian Lindner jedenfalls fände beide Regierungsmöglichkeiten gut. Wenn Kretschmann die FDP einlade… Warten wir es ab.
Ähnlich wie in Baden-Württemberg dreht sich auch in Rheinland-Pfalz fast alles um die Amtsinhaberin. Malu Dreyer ist in Mainz ebenso beliebt wie Kretschmann in Stuttgart. Dreyer hat einen ruhigen Wahlkampf gemacht, ohne Krawall, ohne Theater. Sie ist nah bei den Leuten draußen auf der Straße oder am Arbeitsplatz, bodenständig, nicht abgehoben, sie spielt auch ihre herausragende Rolle in der Bundes-SPD gekonnt und hält jeden Streit in der Partei auf Distanz. Jedenfalls diskutiert in der Eifel, an der Ahr, der Mosel oder im Hunsrück und im Westerwald kaum jemand Identitäts-Probleme, die einige in der Berliner SPD für sich und gegen andere entdeckt haben. Die Sorgen der Menschen, das ist die Politik von Malu Dreyer, die sich kümmert um den Laden, die sich keine Eskapaden oder Skandale leistet. Man kennt sie in der Pfalz und im Rheingau, die Leute wissen, was sie an ihr haben. Es fällt dem CDU-Herausforderer Christian Baldauf schwer, gegen sie zu punkten. 30 Jahre SPD in Rheinland-Pfalz seien genug, lautet eine seiner Parolen. Die SPD plakatiert: Wir mit ihr- weil sie unser Land gut regiert. Das klingt nach Johannes Rau.
SPD mit Scharping, Beck, Dreyer
Ja, Rheinland-Pfalz, das war mal CDU-Land. Helmut Kohl war hier Ministerpräsident, CDU-Generalsekretär Heiner Geißler kam aus der Pfalz wie viele andere, die jahrelang das Land der Reben, Rüben und Raketen regierten. Kohl ging nach Bonn, wurde Kanzler, Bernhard Vogel Ministerpräsident. Aber irgendwann haben die Christdemokraten den Stimmungsumschwung nicht gemerkt. Ich war damals mehrfach dort unterwegs und erlebte den Aufstieg des jungen Rudolf Scharping. Der war, nach stürmischen Anti-Jahren gegen Starfighter zum Beispiel- zurück in die Spur gekommen, suchte den Kontakt mit den Menschen vor Ort, die ihn schätzten wegen seiner ruhigen Art, er galt als verlässlich, sachlich und kompetent. Der kannte sich sogar im Weinbau aus, weil er das von einem Onkel gelernt hatte.
Die CDU leistete sich innerparteiliche Kämpfe. Bernhard Vogel wurde abgewählt. Ich erinnere mich an seinen Satz, den er auf dem CDU-Landesparteitag 1988 in Koblenz sagte, nachdem er die Kampfabstimmung gegen Hans-Otto Wilhelm verloren und frewillig auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichtet hatte: „Gott, schütze Rheinland-Pfalz.“ Es wurde wie in Baden und Württemberg so getan, als würde Rheinland-Pfalz mit einer Regierung ohne CDU versinken im Chaos und Tumulten. Nichts dergleichen passierte, Scharping wurde gewählt, dann ging er nach Bonn, verpasste aber den Sprung ins Kanzleramt, auch weil seine sogenannten „Parteifreunde“ Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder im Grunde seine ärgsten Gegner waren. Zumindest halfen sie ihm im Wahlkampf nur widerwillig, Bilder aus der Zeit sprechen eine klare Sprache.
Kurt Beck folgte auf Scharping, der Fan des 1. FC Kaiserslautern war noch mehr ein Mann der Basis, der kleinen wie der größeren Leute. Alle kannten ihn, mochten ihn, schätzten seine natürliche Art der Kommunikation. Becks Regierungsjahre waren sehr erfolgreich, die CDU hatte gegen ihn keine Chance. Vielleicht war es sein Fehler, dass er sich überreden ließ, SPD-Chef zu werden. Er hätte so etwas wie der Kohl der SPD werden können, aber das machten bestimmte SPD-Kreise nicht mit, die lieber ihre überhöhten Debatten in ihren Wolkenkuckuchsheimen führten, als bodenständige Politik zu machen. Beck trat irgendwann ab, fast etwas spät, aber gerade noch rechtzeitig, um Malu Dreyer Platz zu machen., die nun das Land seit 2013 regiert, zuerst nur mit den Grünen, dann mit Grünen und der FDP. Und wenn die Umfragen nicht völlig daneben liegen, wird die 60jährige Frau Dreyer auch die nächste Ministerpräsidentin des Landes sein, wohl wieder mit den Grünen und den Liberalen.
So viel zum Thema Unfall in der Politik. Und wenn die Union nicht aufpasst, könnte der Sonntag für sie zum bundesweiten Jammertag werden. Trotz der hohen Beliebtheitswerte der Kanzlerin Angela Merkel ist die Partei in Umfragen abgerutscht von 38 Prozent auf mittlerweile 30 vh, ein Ende ist noch nicht in Sicht. Wie erst wird die Stimmung in der Republik sich verändern, wenn allen Wählerinnen und Wählern klar wird, dass Merkel wirklich nicht mehr antritt, dass sie aufhört? Ob einer wie Armin Laschet die Lücke schließen kann oder Markus Söder, von dem man gar nicht weiß, ob er wirklich will? Bisher sind es die Medien, die ihn im Ring halten für den Kampf ums Kanzleramt. Die CDU ist angefressen von der Masken- und Nebentätigkeitsaffäre ihrer Mandatsträger, zumal sie immer noch nicht weiß, wieviele ihrer Mandatsträger denn in diese unschöne Geschichte, die was mit Raffgier zu tun hat und Nicht-Genug-Kriegen, verwickelt sind. Es sind keine guten Zeiten für Christdemokraten, obwohl es nur einzelne sind, die aber den Ruf der Partei ins Zwielicht bringen. Sie hätten nicht gegen, sondern für Transparenz, und nicht gegen, sondern für ein Lobbyregister kämpfen müssen. Dann wäre ihnen dieser Schlammassel erspart geblieben.
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