Es ist, als ob ich alten Bekannten begegnen würde, so vertraut sind sie mir. Ich stoße auf sie, wenn ich am Südeingang der königlichen Parkanlage in Potsdam-Babelsberg nach rechts abbiege, und auf die Straße „Alt Novawes“ gerate, vor langer Zeit noch Wilhelm-Straße geheißen. Dort sind zwei Stolpersteine zu finden, und jedes Mal bleibe ich stehen, wenn dort zwei rot schimmernde Tageslichter oder auch Blumen die Steine schmücken und ich Helene und Theodor Dornbusch grüßen kann, deren Namen auf den beiden Stolpersteinen stehen.
Sie hatten nach dem blutigen ersten Weltkrieg1918 die Wohnung in der Wilhelmstraße 118 bezogen, wo sie bis 1942 lebten. Ihre letzte Reise, die sie zu zweit unternahmen, führte sie gezwungenermaßen nach Riga/Lettland. Der Zug, den sie am 7. Januar 1942 in Potsdam besteigen mussten, führte über Berlin in das Ghetto in Riga.
Spätestens nach der Ankunft dort wird ihnen das Schicksal der früheren Bewohner des Ghettos bekannt geworden sein. 30 000 Juden waren dort von der SS liquidiert worden, um Platz zu schaffen für deportierte Juden aus dem Reich. Juden wie Theodor und Helene, deren Fahrt in das jüdische Ghetto/ Riga endete am 26. Januar 1942 als eine Flucht in den Tod. Der Selbstmord der beiden aus Potsdam wurde in der Stadtverwaltung bürokratisch korrekt bestätigt.
Helene und Theodor waren kinderlos geblieben. So hatte die Stadtverwaltung kein Problem, die Wohnung von beiden in der Wilhelmstraße räumen zu lassen und das gesamte bewegliche Inventar zu beschlagnahmen. Der in der Wohnung verbliebene Besitz, Möbel, Geschirr, Wäsche Teppiche und Kleidung, wurde am 3. März 1942 auf dem Gelände der Speditionsfirma Grünefeld in der Wilhelmstraße 83 in Babelsberg versteigert. Von den Nazis zu Geld gemacht, alles eine Art staatlich geförderter Diebstahl.
Wenig genug, was ich über Theodor und Helene recherchieren kann. Ich lerne, dass Helene drei Jahre älter war als ihr Mann, und finde wenige Spuren von ihnen in der Stadtgeschichte. Das meiste bleibt unbeschrieben, zwischen den Zeilen nur zu ahnen. Denn kaum eine Ecke oder ein Platz in einer Stadt in Deutschland, die ohne Stolpersteine wäre, und auf die Shoah verweist. Auch darauf, dass jüdisches Leben in Deutschland 1700 Jahre zurückliegen kann, und dennoch, religionsgeschichtlich verstärkt, trotz so langen Zusammenlebens so hartnäckige Vorurteile verbleiben, mit Jesus am Kreuz und der Inschrift INRI, Jesus Nazarenus Rex Judäa.
So verharrt mein Blick erneut auf den beiden Stolpersteinen und auf das Jahr 1942 und den Namen Theodor und Helene Dornbusch. Auch, dass ich immer wieder zutiefst erschrecke und mit Schockstarre auf die mörderische Kaltherzigkeit reagiere, mit der die Gefangenen in den Vernichtungslagern der Nazis alles abzugeben hatten, was sie bei sich trugen, bevor sie ins Gas getrieben wurden. Einige dieser Gegenstände sind archiviert und in der „Süddeutschen Zeitung“ unter der Überschrift „Was bleibt“ fotografiert zu betrachten. Die Arolsen-Archive in Bad Arolsen in Nordhessen hüten allein rund 30 Millionen Dokumente und Akten aus mehreren Vernichtungslagern, die noch immer auf wissenschaftliche Auswertung warten.
Und schon wächst die Furcht, ob rechtsextremistischer Wahnwitz noch immer und erneut in die Köpfe dringen könnte. Das zu vergegenwärtigen und im Netz online und auf Demonstrationen den Hass zu vernehmen, der rechtsextremistisch motivierte Anschläge beherrscht, wie vor Jahresfrist in Hanau, als neun junge Menschen von einem Nazi ermordet wurden. Als ob „Nie wieder Faschismus“ unerfüllbar bleiben und Rassismus und Antisemitismus sich erneut wie eine bösartige Pandemie ausbreiten könnte. Es ist an der Zeit, endlich aufzuwachen.
Bildquelle: SPD-Babelsberg