Nach gerade einem Jahr solider Arbeit wird in Berlin zum Jahreswechsel die Große Koalition schon sehr frühzeitig als Übergangsregierung für eine schwarz-grüne Zukunftsperspektive nach 2017 gehandelt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat höchstpersönlich und hochoffiziell ihre Präferenz für „Schwarz-Grün“ auf dem Kölner CDU-Bundesparteitag zum Ausdruck gebracht, indem sie mit viel Herzblut schilderte, wie sehr sie sich schon 2013 eigentlich diese Formation gewünscht habe und gleichzeitig in hämischer Form die SPD attackierte. Der Geist ist damit aus der Flasche! Ob als Retourkutsche für Thüringen oder aus welchem Grund auch immer: Angela Merkel hat dadurch auch indirekt bewusst und voll kalkuliert in spektakulärer Weise auf großer Bühne gleichzeitig ihre schwarz-grüne Perspektive für 2017 als Weihnachtspräsent für die SPD ins öffentliche Bewusstsein katapultiert.
Die SPD wiederum hat natürlich – vorgeschickt wurde Fraktionschef Thomas Oppermann –durchaus wirkungsvoll mit dem schmerzhaften Hinweis gekontert, man mache sich um die Zukunft des lieben Koalitionspartners CDU inzwischen große Sorgen, weil die Christdemokraten auf Länderebene und in den Großstädten dramatisch an Einfluss verloren hätten.
Sozialdemokratische Fachkompetenz stärkt auch Merkel
Bei nüchterner Betrachtung ist aber die Lage der SPD mit Blick auf 2017 beträchtlich schwieriger. Zwar profitiert die deutsche Sozialdemokratie von der traditionellen politischen Grundregel, dass die jeweilige Kanzler(innen) –Partei in den Ländern im Trend Wahlen verliert und die Union seit langem unter einer ausgeprägten Großstadtschwäche leidet.
Auf Bundesebene dagegen ist die Situation für die SPD äußerst bedenklich. So undankbar kann eben das politische Geschäft sein: Durch solide sozialdemokratische Ressortarbeit sind die zentralen sozialpolitischen Anliegen der SPD auf den Weg gebracht, der Koalitionsvertrag ist schon jetzt weitgehend abgearbeitet und die entsprechenden Gesetze sind zumindest im parlamentarischen Verfahren. Gleichzeitig sitzt die Kanzlerin aber sicherer im Sessel denn je. Gestärkt nicht nur durch die Ovationen eines Parteitags, sondern auch medial durch persönliche Umfragewerte, die sie bei der Kanzler(innen) Frage atemberaubend weit vor ihrem potentiellen Rivalen Siegmar Gabriel in Front sehen.
Natürlich wäre auch ein sehr großer Amtsbonus von Angela Merkel nicht wirklich eine Sensation und eher nur Tradition, wenn seine politische Bedeutung von den deutschen Leitmedien nicht geradezu beflissen medial überhöht würde. Schon mehr enttäuschend und nervend ist aber für die Sozialdemokratie die Tatsache, dass eine zumindest fachlich kompetente Regierungsarbeit der SPD-Seite in den Umfragen so gut wie nicht parteibezogen honoriert wird und die SPD hartnäckig nicht über 24-26 Prozent hinauskommt. Die Union dagegen kann dagegen in allen Umfragen ihren stolzen Wahlsieg von 2013 mit Werten um die 41 Prozent-Marke nachhaltig bestätigen. Es ist einfach so, als ob alles, was die SPD an populären Dingen kompetent durchgesetzt und umgesetzt hat, auch als Angela Merkels Erfolg gewertet und damit der Union genauso zugerechnet wird. Aber auch das ist eigentlich bei Großen Koalitionen nicht wirklich überraschend.
Bundestagswahlkampf 2017 um die Juniorrolle?
Es ist sogar so, dass auch nach der Thüringer Koalition aus Linke, SPD und Grünen die ohnehin immer sehr theoretische bundespolitische Mehrheit jenseits von Angela Merkel nicht näher gerückt ist: Durch die jüngsten Wahlerfolge der AfD wird die nur hypothetische Formation Rot-Rot-Grün im Bund schon rechnerisch noch unwahrscheinlicher. Zudem ist politisch auch bei den Grünen die Präferenz für eine Koalition mit der Union dominant. Und selbst wenn es nicht so wäre, kann man mit einem in der SPD immer wirksamen öffentlichen Orkan gegen eine bundespolitische Koalition mit den Linken rechnen.
Bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen in den Umfragen könnte also der Bundestagswahlkampf 2017 ein nicht mehr wie 2013 nur schamhaft verdeckter, sondern offener Konkurrenzkampf von SPD und Grünen um die Juniorpartnerrolle in der Regierung von Angela Merkel werden. Für die SPD wäre dies ein demütigender Alptraum, da ja auch spätestens jetzt offiziell die Präferenzen der Union für Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl bekannt sind. Das ist die strategische Falle, in der die SPD aktuell sitzt.
Die SPD braucht in der Großen Koalition mehr Eigenprofil
Fazit: Wenn es die Sozialdemokratie in der GroKo nicht schafft, durch mehr Eigenprofil die gegenwärtigen Parteipräferenzen in der Wählerschaft entscheidend für sich zu verbessern, verspielt sie in der Restzeit dieser Regierung auch noch ihre Rolle als Volkspartei mit Kanzler(innen)anspruch. Bei den aktuellen Kräfteverhältnissen würde die Aufstellung eines eigenen Kanzlerkandidaten nicht nur die betroffene Person geradezu politisch ruinieren, sondern auch zu einer unwürdigen Humoreske werden. Schon die rechnerische Chancenlosigkeit der Rolle von Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat für eine Rot-Grüne Formation war 2013 das zentrale Wahlkampfhandicap und hat die Mobilisierung des SPD-Wählerpotentials gelähmt. Eine Wiederholung dieses irrealen Versuchs unter noch realitätsferneren Bedingungen würde dazu führen, dass der oder die Kandidatin der SPD im Wahlkampf aus Sicht der Medien und der Öffentlichkeit – natürlich unter Ausnahme der SPD-Wahlkampfslogans- nur noch um die Vizekanzler(innen)position kämpft und die SPD sich ihre Rolle als Volkspartei mitten im Wahlkampf abschminken kann:
Wo ist in dieser Situation eigentlich der strategisch grundsätzliche Ansatzpunkt für die SPD? Sie braucht zur Veränderung der scheinbar zementierten Kräfteverhältnisse zwischen Union und SPD in den verbleibenden knapp zwei Jahren bis zur Vorwahlphase ein deutlich markanteres Eigenprofil: Das geht nicht nur nach der Devise, dass man im rein fachlich kompetenten Beigeordneten-Stil bei Bundeskanzlerin Merkel „mitregiert“. Es reicht auch nicht, berechtigte Forderungen aufzustellen und diese dann doch unter „Bauchschmerzen“ – wie z.B. möglicherweise bei TTIP- letzten Endes fallen zu lassen. Und es reicht schon gar nicht, außenpolitisch nur im Grundtrend einer neuen bedrohlichen Ost-West-Eskalation beschwichtigend oder bremsend mit zu schwimmen.
Die Lage ist so bitterernst für die SPD, dass vor allem Sigmar Gabriel und Frank Walter Steinmeier vor einer riesigen Herausforderung stehen: Wenn sie jetzt nicht ernsthaft und konfliktbereit versuchen, die politische Dynamik und Agenda auch international aktiv und sichtbar selbst richtungsmäßig zu beeinflussen, wird die Große Koalition zu einer schiefen Ebene, auf der die SPD weiter abrutscht.
Ein historisches Beispiel
Ein sehr historischer Blick auf die Geschichte der Großen Koalition 1966-1969 zeigt, dass bei Kontroversen der internationalen Wirtschafts-und Außenpolitik die SPD in der Regierung durchaus ein markantes Eigenprofil entwickeln kann: So wie einst durch Karl Schiller in der währungspolitisch umstrittenen Frage einer DM-Aufwertung, oder durch Willy Brandt in der Frage einer deeskalierenden neuen Ostpolitik. Dieser damalige Mut zum Eigenprofil hat nicht nur für unser Land international entscheidende positive Impulse gesetzt, sondern auch der SPD politisch Gewicht und Kraft für Jahrzehnte gegeben.
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