Das Verhältnis der meisten Europäer, insbesondere auch Deutschlands zu Russland, ist seit einiger Zeit arg gestört. Der Kreml-Herrscher Putin hat wiederholt Anlass zu einigen Irritationen geboten. Die Grenzüberschreitung in Richtung Ukraine und die Eroberung der Krim mit militärischer Gewalt, der Auftragsmord in Berlin, die Vergiftung des Regime-Kritikers Alexei Nawalny, der überharte Einsatz gegen Demonstranten in russischen Städten und andere Aktivitäten zeugen keineswegs von einer Politik, die auf ein besseres Miteinander des russischen Staates und der demokratischen Ländern zielt.
Verbindung zu Russland nicht kappen!
Dennoch gilt es, trotz aller Schwierigkeiten den Dialog mit Präsident Putin nicht völlig abzubrechen. Viele geopolitische Probleme lassen sich nur mit und nicht gegen Russlands Führung lösen. Deshalb ist es sehr klug, dass die Bundeskanzlerin ihre eindeutige Position gegenüber der Putin-Politik nicht verhehlt, doch zugleich den Dialog mit dem Kreml nicht völlig einstellt. Gerade jüngst hat Angela Merkel darauf hingewiesen, dass der Austausch mit Russland auf verschiedenen Gebieten weitergehen sollte – in den Wirtschaftsbeziehungen, beim Klimaschutz, in der Wissenschaft. Ohne einen Dialog wird gewiss nichts zum Positiven gewendet werden; eher ist eine neue Eiszeit zwischen dem Kreml und den westlichen Demokratien zu befürchten. Gemeinsam mit der neuen US-Administration mit Präsident Biden geht es nicht nur um eine Neuorientierung der Beziehungen zu China, sondern eben auch zu Russland. Die Chancen, ein neues Kapitel in der Weltpolitik zu eröffnen, sollten jedenfalls wahrgenommen werden.
Gaspipeline: Ein Win-Win-Projekt
Eine direkte Verbindung im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Russland und Deutschland ist das Nord Stream 2-Projekt. Diese Gaspipeline, in die der französische Energiekonzern Engie, die österreichische OMV, das Unternehmen Royal Dutch Shell sowie die deutschen Firmen Uniper und Wintershall als Partner der russischen Gazprom viele Milliarden Euro investiert haben, steht kurz vor der Fertigstellung. Die Gaslieferungen aus Russland sollen zu einer Diversifizierung der Bezugsquellen beitragen und so die zukünftige Versorgung Deutschlands und anderer europäischer Staaten sichern. Deutschland hat bereits seit Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts beste Erfahrungen mit dem – damals noch sowjetischen – Lieferanten gemacht. Selbst in den Zeiten, als der NATO-Doppelbeschluss realisiert wurde und der sogenannte „Raketenzaun“ zwischen Ost und West errichtet worden war, floss das Gas ohne jede Unterbrechung. Auch heute und morgen bietet die Pipeline hervorragende Win-Win-Möglichkeiten für alle Beteiligten.
Gas für das Gelingen der Energiewende
Gerade Deutschland muss für die eingeleitete Energiewende auf Gas setzen. Wenn die Kohle und zugleich die Kernenergie hierzulande für die Strom- und Wärmeerzeugung endgültig ausscheiden sollen, werden verlässliche Alternativen benötigt. Wind und Sonne, Biogas und Wasserkraft sind nur zum Teil dazu geeignet, um eine sichere, saubere und kostengünstige Energieversorgung zu garantieren. Vor allem sind Wind und Sonne disruptive Quellen: Die Ergiebigkeit des Windes – sei es on shore, sei es offshore – ist nahezu unberechenbar; die Widerstände gegen Windrotoren an Land nehmen eher zu denn ab. Die Sonne als Energielieferant ist ebenfalls unkalkulierbar – und auch in Zukunft wird sie des Nachts nicht scheinen. Schließlich fehlen bislang große Stromspeicher und insbesondere auch Stromleitungen in Deutschland. Angesichts dieser Probleme sind die deutschen Strompreise inzwischen so hoch wie in kaum einem anderen Land. Die energiepolitischen Ambitionen, möglichst hierzulande bald die Wasserstoff-Technologie mit Erfolg zu realisieren, dürften jäh scheitern, wenn nicht die Rahmenbedingungen so schnell wie möglich wesentlich verbessert werden.
Durchsichtige Einwände gegen das Projekt
Gegen Nordstream 2 gab und gibt es immer noch beachtliche Widerstände. Zunächst hatte die Ukraine größte Sorgen, dass sie nicht weiterhin hohe Gebühren für die Durchleitung des russischen Gases durch eine Transit-Pipeline über Land kassieren könnte. Diese Bedenken bestehen nicht mehr, da auch weiterhin diese Rohrleitung genutzt werden wird. Andere Einwände kamen auch aus Polen, Litauen, Lettland und Estland, wobei die Bedenken vor allem der anti-russischen Einstellung entsprangen. Drohungen gab es aus den USA: Sowohl Republikaner als auch Demokraten schossen mächtig gegen die Nordsee-Pipeline, drohten gar beteiligten Firmen mit Sanktionen und sprachen der deutschen Regierung die energiepolitische Autonomie ab. Vor allem geht es den USA darum, mehr Flüssiggas aus amerikanischen Quellen per Fracking gefördert, nach Europa zu liefern. Mit mehr Russengas – so das Argument aus Washington – mache man sich allzu abhängig von Putin.
Frankreich: Mehr Kernenergie, weniger Gas
Besonders erstaunen muss, dass nun aktuell Frankreich sich gegen Nordstream 2 stellt und die Bundesregierung auffordert, dem Projekt ein Ende zu bereiten. Die französische Regierung war von Anfang an kein begeisterter Partner für Nordstream 2. Jetzt war aus Paris die Befürchtung zu vernehmen, Russland könne die Gaslieferungen als politische Druckmittel gegen die EU einsetzen. Außenminister Jean-Yves Le Drian nahm die Kritik osteuropäischer Staaten auf und forderte, „den autoritären Kurs in Moskau dürfe man nicht einfach hinnehmen“.
In der Tat importiert Deutschland wesentlich mehr Erdgas als Frankreich – und doppelt so viel aus russischen Quellen. Unser französischer Nachbar setzt zudem weiterhin auf die Kernenergie: etwa 70 % des französischen Stroms wird nuklear und damit CO2-frei erzeugt. Bei der Primärenergie machen das Gas 15 %, das Öl 30 % und die Kernenergie 40 % aus. Außerdem ist Frankreich eine Drehscheibe für Flüssiggas (LNG) mit den drei Häfen Fos sur Mer, Saint-Nazaire und Dunkerque. 21 % des Flüssiggases kamen bislang aus Katar, 15 % aus den USA und immerhin 20 % aus Russland. In den nächsten Jahrzehnten will Frankreich das Erdgas in dem Energiemix stark reduzieren – bis 2050 den Anteil sogar auf Null.
Beteiligung des französischen Konzerns Engie
Besonders verwundern muss an der französischen Einstellung zu Nordstream 2, dass der Staat an dem Kapital des Energieunternehmens Engie mit rund 23 % (fast 34 % der Stimmrechte) beteiligt ist. Engie hat etwa 10 % des umstrittenen Pipeline-Projekts finanziert und darüber hinaus einen Kredit in Höhe von mehr als 700 Millionen € an Gazprom gegeben. Offenbar wird in Paris mit großer Aufmerksamkeit die deutsche Energiewende beobachtet. Dabei sind die Schwierigkeiten der verlässlichen Energieversorgung hierzulande und die gleichzeitige Erreichung der CO2-Reduzierungsziele nicht zu übersehen. Ohne mehr Gas – auch aus Russland – droht diese Wende gar zu einem immer teureren Debakel zu werden. Schon heute belasten die hohen Energiepreise die privaten Haushalte und die deutschen Unternehmen. Frankreich könnte als energiekostengünstiger Industriestandort seine Attraktivität für Firmen aus Deutschland wesentlich verbessern. Angesichts der erneuten Bedenken unserer französischen Freunde wird wohl der Spruch auf dem Hosenbandorden einfallen: Honi soit, qui mal y pense ( Ein Schelm sei der, der Böses dabei denkt).
Bildquelle: Wikipedia, Gerd Fahrenhorst / CC BY SA 4.0