Eine Bankrotterklärung der europäischen Humanität, Schande für Europa und die EU-Migrationspolitik, aber auch Rassismusvorwürfe gegen einheimische Bosnier: So nur einige wütende Parolen, die zu hören sind, wenn man mit Flüchtlingen spricht, die es irgendwie geschafft haben, aus den erbärmlichen Flüchtlingslagern im Norden Bosniens nach Deutschland zu kommen, obwohl die Bundesrepublik derzeit eigentlich keine Flüchtlinge von dort aufnimmt. „Europa will uns nicht, das wird uns immer deutlicher bewusst“, sagt etwa Ali aus Iran in fließendem Englisch. Er ist in Dortmund gestrandet. „Mal sehen, wie es weitergeht hier“, schiebt er nach. Dann zeigt der Mann, er sich folglich illegal in Deutschland aufhalten muss, einige Fotos auf seinem Smartphone. Diese zeigen die schlechten Zustände in den Flüchtlingscamps. Man sieht offene Zelte, die im Matsch zu versinken drohen.
Viele andere, vor allem Afghanen, Iraner, Iraker und Syrer, verharren weiter in Bosnien. Unter unmenschlichen Verhältnissen, berichten auch Korrespondenten, die sich ein eigenes Bild vor Ort gemacht haben. Während der Winter vielerorts Kälte und Schnee bringt, so auch in Bosnien, wo die Winter für gewöhnlich sehr streng sind, warnen Hilfsorganisationen und Wetterexperten indes vor einer weiteren Verschlechterung der Lage. Es fehle weiterhin oft an Essen, Wasser, Decken und Strom.
Die Vorgänge in dem früheren Bürgerkriegsland sind nur schwer zu ertragen. Und, dass obwohl Brüssel Gelder in Millionenhöhe in das kleine Balkanland fließen ließ. Seit 2018 profitierte das Land von mehr als 80 Millionen Euro aus der EU. Die Zahlungen waren eigentlich mit Auflagen verbunden: So sollte unter anderem die Migrationssituation verbessert werden. Da sollte es doch allemal drin sein, für winterfeste Lager zu sorgen. Aktuell sieht man von den vielen Millionen kaum etwas. Internationale Hilfsorganisationen haben sich nach eigenen Angaben monatelang bei lokalen Behörden vergeblich um einen Strom- und Wasseranschluss in den Camps bemüht. Ein Aachener Flüchtlingsbündnis ruft nun die deutsche Bevölkerung zu Spenden für die Flüchtlinge in Bihac auf. Weil die lokalen Behörden es nicht hinbekommen.
Aber noch viel schlimmer findet Ali das Verhalten der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen. Von Rassismus und Ablehnung der Einheimischen ist die Rede. Die Lage ist angespannt, heißt es von Beobachtern vor Ort. In der Stadt Bihac organisierten rechte Politiker eine Demonstration gegen Flüchtlinge. „Auch in Bosnien wollten sie uns nicht“, sagt Ali, der sogar von Übergriffen der lokalen Bevölkerung auf Flüchtlinge berichtet. Die Berichterstattung in den nationalen Medien trüge indes zu der angespannten Lage bei.
Ehemalige Flüchtlinge setzen sich für aktuelle Flüchtlinge ein
Das ist umso tragischer, als dass viele Bosnier selbst ihre Heimat Anfang der 1990er-Jahre verlassen mussten, als der blutige Bürgerkrieg in dem Vielvölkerstaat tobte. Sie fanden unter anderem in Deutschland verlässliche Unterstützung und Asyl. Zum Teil wurde Deutschland ihre neue Heimat. Viele Exil-Bosnier senden immer noch hohe Geldbeträge in die alte, verarmte Heimat, wovon die Zurückgebliebenen oder Zurückgekehrten profitieren. Sollte man sich nicht da auf die eigene Geschichte von Flucht und Vertreibung besinnen und den Flüchtlingen eher helfen als sie zu beschimpfen oder zu attackieren? Ja, meinen viele.ehemalige Flüchtlinge des Bosnien-Krieges auf der ganzen Welt. Sie haben in einem Offenen Brief an Entscheidungsträger in ihrer alten Heimat gegen die Hetze und die schlechte Behandlung, die Flüchtlinge in Bosnien erfahren, protestiert. Unter den Unterzeichnern des Briefes sind auch prominente Künstler. Die Protestnote kann auf der Webseite www.kroatien-nachrichten.de auf deutsch gelesen werden und auf der Plattform www.change.org unterzeichnet werden. Dort heißt es etwa von einer Exil-Bosnierin: „Wenn ich die Nachrichten lese, wie Flüchtlinge in Bosnien behandelt werden, schäme ich mich, Bosnierin zu sein.“
Viele Bosnier sind wie eine Vielzahl der Flüchtlinge Muslime. Gerne wird von der viel zitierten pan-muslimischen Solidarität gesprochen. Jetzt könnte man sie mit Inhalt und Taten füllen und vorleben.
Zuletzt will das Land in einigen Jahren Mitglied der Europäischen Union werden. Das sollte doch eigentlich auch mit Pflichten verbunden sein. Eine davon ist die sogenannte Good Governance. Damit ist gemeint, verlässlich, effizient und transparent mit Geld umzugehen. Und Notleidenden zu helfen und sie nicht zu drangsalieren.