Als Schalke-Fan hat man es ja seit Monaten nicht leicht. Niederlagen-Rekordmeister könnte man die Königsblauen fast nennen. Als Anhänger des Klubs, der ich immer noch bin, muss man sich solchen Spott gefallen lassen. Aber jetzt haben die „Blauen“ wichtige Punkte gemacht, sie haben sich erhoben, sind aufgestanden, weil sie Schalker sind(so ähnlich lautet ein bekannter Song des S04), sie halten gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung und gehen auf Distanz zur AfD, die über diese Aktion glaubt, sich lustig machen zu können. Und das Ganze geschah gerade jetzt, am 27. Januar 2021, dem Holocaust-Gedenktag. Namentlich dem AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner(54) zeigte S04 die rote Karte: „Unabhängig von unserer sportlichen Situation: Schalke wird nie auf Ihr Niveau absteigen.“ Beifall von allen Rängen, Schalke trägt die königsblauen Farben, liebt es bunt und nicht braun. Und das Tolle dabei: Der BVB hat sich hinter die Schalker gestellt, auch Hertha BSC hat S04 zugestimmt wie die grün-weißen Bremer. Fußball verbindet, er spaltet nicht.
Dieser Sieg freut vor allem auch Schalkes-Ehrenvorsitzenden Gerd Rehberg(85), Ehrenbürger von Gelsenkirchen, früher mal Bürgermeister der Stadt. Ein Urgestein des Reviers, der es unter Tage vom Lehrling über den Hauer zum Steiger gebracht hat. Gearbeitet hat er auf der Zeche Westerholt. Ich habe mit Rehberg telefoniert, kenne ihn aus der Zeit, als er als Vorsitzender von Schalke 04 gelegentlich Gast des damaligen und leider viel zu früh verstorbenen Sport-Chefs der WAZ, Hans-Josef „Hennes“ Justen, war. Eine ehrliche Haut, wie man im Ruhrgebiet zu sagen pflegt, bodenständig, einer von uns. Die Aktion von S04 gegen Rassismus gefällt dem Sozialdemokraten -Mitglied seit 1958- sehr. „Gerade in dieser Zeit, wo sich der Egoismus überall breit macht, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, finde ich es Klasse, wie die Schalker Menschlichkeit zeigen, gegen Diskrimierung auftreten, gegen Rassismus. Und dann noch an so einem Tag, an dem weltweit daran erinnert wurde, wie die Rote Armee die letzten 9000 Häftlinge aus dem KZ Auschwitz befreite.“
Für Rehberg sind das alles auch Erinnerungen an eine schwere Zeit. „Mitte Januar 1945 bin ich, gerade mal 9 Jahre alt, an der Hand meiner Mutter von Ostpreußen über die Ostsee nach Dänemark geflohen. Es war bitterkalt, wir hatten nicht viel, aber wir überlebten. Zeitweise mußten wir mit 30 Personen in einem Raum übernachten.“ Und wenn er den Namen Auschwitz hört, muss er an all die „armen Menschen denken, die unter dem Terror der Nazis leiden mussten. Millionen wurden ermordet, weil sie Juden waren, Sinti und Roma, Andersdenkende. Abertausende wurden gequält, geschlagen, gefoltert. Das darf nicht vergessen werden. Ich bin froh, dass meine Schalker, denen es sportlich im Moment nicht so gut geht, sich für Menschlichkeit einsetzen und gegen Rassismus.“
Diese Gedenktage findet Rehberg sehr wichtig, weil viele gar nicht wissen, wie das damals war. „Als Schüler in einer Schule in Powunden/Ostpreußen hatte ich einen Schulleiter, der kam in seiner braunen Uniform in die Klasse, auf dem rechten Ärmel war das SA-Zeichen. Als Schüler wollten wir alle in die Hitler-Jugend, mich haben sie nicht genommen, weil ich zu klein war.“ So war das damals, Anfang der 1940er Jahre, Rehberg ist Jahrgang 1936. „Wir mussten in der Schule die Hände vorstrecken, damit der Lehrer kontrollieren konnte, ob sie auch sauber waren.“ So geht die Geschiche aus den Augen eines Kindes.
In Rehbergs aktiver Zeit als Schalker Vorsitzender wird der ruhmreiche Verein, der während der Hitler-Zeit von Hitler und Co. umgarnt wird, manche verorten S04 damals auch als Nazi-Klub, mit der Vergangenheit konfrontiert. In der Tat werden nach der Machtübernahme der Nazis 1933 die jüdischen Mitglieder schnell aussortiert, wie fast überall im Reich dominiert auch in Schalke die NSDAP. Namhafte Spieler treten der Partei bei, wie Szepan und Kuzorra, Szepan unterschreibt sogar einen Wahlaufruf für die NSDAP. Kein Ruhmesblatt gewiß für die Blauen, sie waren nicht besser als die vielen anderen Millionen Deutschen, die mitmachten und Heil-Hitler schrieen, solange der auf der Siegerstraße war. Erst danach, als fast alles in Trümmern lag, auch die Moral, wollten viele nicht dabei gewesen sein, nichts von den Verbrechen der Nazis gewusst haben.
Die Blauen stellen sich der braunen Vergangenheit
Aber der Verein vom Schalker Markt duckt sich nicht weg, sondern stellt sich der Kritik. In einem Buch(Zwischen Blau und Weiß liegt Grau) wird der Einfluss der Nazis auf Schalke herausgearbeitet, darunter auch der Erwerb eines Textilgeschäftes in Gelsenkirchen durch Fritz Szepan, in den 30er Jahren der beste deutsche Fußballer. Das Modehaus gehörte einer jüdischen Familie, die aber im Rahmen der Arisierung-so nannten das die braunen Herren- ihr Geschäft für 7000 Reichsmark verkaufen musste. Fritz Szepan wird der neue Eigentümer, seine Familie verdient dadurch ein mehrfaches dessen, was sie vorher hatten. Dieses Thema spielt ein paar Jahre später eine Rolle, als Schalke die Arena auf dem Berger Feld errichtet und dann einer neuen Straße in diesem Viertel den Namen Fritz-Szepan-Weg geben will. Der Protest aus historischen Gründen-wie gerade erzählt- lässt nicht lange auf sich warten. Rudi Assauer, vor ein paar Jahren verstorben, ist genervt von dieser Debatte und plädiert in seiner typischen Art dafür, dann der Staße doch den Namen „Scheißhaus-Weg“ zu geben, was natürlich nicht geschieht. Man einigt sich auf Ernst-Kuzorra-Weg, der war der Schwager von Szepan und spielte damals mit Szepan zusammen manchen Gegner mit dem Schalker Kreisel gelegentlich schwindelig.
Zur Geschichte von Schalke gehört, dass S04 vor der Vereinnahmung durch die Nazis viele jüdische Freunde und Sponsoren hatte, darunter 1932 einen 1. Vorsitzenden, den jüdischen Zahnarzt Dr. Paul Grünfeld. Sponsoren bezahlten teils durch Naturalien, ein Fleischer habe eine “ blau angepinselte Sau durch Schalke“ getrieben, wie es mal in der WAZ kolportiert wurde. Auch der Textilhändler Kornblum zählte zu den S04-Sponsoren. Einer bezahlte Kuzorra den Führerschein. Sie waren alle Juden wie der Mann aus dem Presseausschuß von Schalke, Franz Nathan. Und heute sind die Verbindungen zwischen Schalke und Israel längst bestens. Einer wie Gerd Rehberg kann darauf verweisen, dass er befreundet ist mit einem früheren israelischen Botschafter in Deutschland, der Schalke-Fan ist und dem er anläßlich einer Ehrung seine silberne S04-Nadel ans Revers des Jacketts gesteckt und der ihn nach Israel eingeladen hatte. Nein, zu Schalke passen die Braunen nicht, die Rassisten. Da hat Gerd Rehberg schon Recht. Und auch wenn ein AfD-Politiker wie Brandner aus Herten stammt, dem Nachbarort von Gelsenkirchen und Geburtsort von Rudi Assauer, die Blauen haben es lieber bunt als braun, lieber tolerant und offen als dumpf.
Und jetzt nochmal zur aktuellen Geschichte: Der FC Schalke 04 beteiligt sich an einer Aktionswoche anläßlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar. Es ist der Tag, an dem vor 76 Jahren die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz von den Nazis befreite. (Dazu im Blog-der-Republik: Das Unbegreifliche zu begreifen)Mit zahlreichen Aktionen nimmt Schalke an einer Gedenkwoche teil. Hut ab, kann ich da nur sagen und gebe bewusst meine berufliche Neutralität auf. Der Fußball kann Vorbild sein. Auch in den Stadien kommt es immer wieder zu rassistischen Engleisungen. Schalkes früherer Nationalspieler Gerald Asamoah weiß davon ein Lied zu singen, er wurde damals nicht selten in gegnerischen Stadien mit Affenlauten begrüßt. Damals hätte ich mir gewünscht, dass die jeweiligen Vereinsvorstände per Megaphon oder Mikrophon diese Schreihälse zum Verlassen des Stadions aufgefordert hätten. Schalkes Aufsichtsrats-Präsident Clemens Tönnies trat vor Monaten zurück, weil er sprachlich daneben gegriffen hatte. Der Blog-der-Republik hat darüber berichtet.
Fährmann für Gleichberechtigung
Zu den S04-Aktionen gegen Rassismus zählt auch ein Video, das die Königsblauen in den sozialen Netzwerken teilten. „Steht gemeinsam mit uns auf- gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung und für ein buntes, tolerantes Schalke“ heißt es von Seiten der Schalker auf Twitter. Angelehnt ist die Kampagne an den Fangesang „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“. In einem Video beteiligen sich zahlreiche Spieler, Vereinsmitarbeiter und Fans an der Aktion. „Ich stehe auf für Gleichberechtigung“, so Torwart Ralf Fährmann, ein Ur-Schalker. Menschlichkeit, Chancengleichheit, Rassismus und Homophobie werden angesprochen, Themen nicht nach dem Geschmack der rechtspopulistischen AfD. Schon vor einem Jahr veranstalteten die Schalker beim Spiel gegen den SC Paderborn einen Aktionsspieltag. Motto: Steht auf, wenn ihr Schalker seid. Steht auf, wenn ihr Menschen seid.“ Damals wurde die Aktion gestört durch rassistische Äußerungen von zwei Zuschauern.
Dieses Mal gab es viele zustimmende Antworten auf das Video von S04. Allein AfD-Brandner nahm die Nachricht, die gegen Ausgrenzung gerichtet ist, zum Anlass, um über die Königsblauen zu lästern. Wörtlich sagte er in einem Schreiben an den Klub: „S04 setzt Zeichen: Nicht nur in der Tabelle.“ Was man in Gelsenkirchen als Spott über Schalkes Fußball-Misere und die bedrohliche Finanzlage deutete. Die Antwort erhielt Brandner prompt: „Herr Brandner, sich über Werte wie Vielfalt und Toleranz lustig zu machen, ist für einen gewählten Volksvertreter arm. Unabhängig von unserer sportlichen Situation: Schalke wird nie auf ihr Niveau absteigen.“
Beifall kam aus vielen Ecken. Der BVB, der sonst Schalke eher Schlechtes wünscht, applaudierte: „Starkes Statement! Danke S04.“ Werder Bremen, Gegner der Blauen am Samstag, schrieb: „Klare Kante und gute Worte! Sauber, S04.“ Und der Bundesligist Hertha BSC, der sich gerade von Trainer und Manager getrennt hat, weil es in Berlin auch nicht so läuft wie erhofft, schloss sich den Gratulanten an: „Ganz genau so ist es, S04.“ Damit nicht genug. Schwarz-Gelbe Fans riefen den Blauen zu: „In den Farben getrennt, in der Sache vereint.“ Das ist wichtig auch für Dortmund, gibt es doch in der Borussen-Stadt eine rechtsextreme Szene, die immer wieder für negative Schlagzeilen am Westenhellweg sorgt.
Auf Schalke sei „kein Platz für Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung, dafür stehen wir auf und ein“. So wird Sebastian Buntkirchen, S04-Direktor für Fans und Vereinsangelegenheiten zitiert. Buntkirchen ist auch Geschäftsführer der Stiftung „Schalke hilft.“ AfD-Brandner reagierte, die Kommentare seien „bemerkenswert und zeichensetzend.“ Dazu passt das Schlusswort des früheren Mediendirektors von S04, ‚Thomas Spiegel. „Erster Rückrundensieg.“ Moralisch zumindest. Das findet auch Gerd Rehberg. Der nach diesem moralischen Hoch seines Vereins hofft, dass die „Schalker Spieler am Samstag auch ins Tor von Werder Bremen treffen.“
Quelle: ruhr24.de