Sie können es nicht lassen, unsere profilsüchtigen Politiker. Alle zusammen kriegen in Deutschland die Corona-Pandemie nicht in den Griff; deswegen hangeln wir uns ja von einem LockDown zum nächsten und verlieren langsam kollektiv die Nerven. Dann wurde auch noch der Impfstart blamabel verstolpert. Wer an der Malaise Schuld hat und wer schuldlos ist, können die Bürger nicht ausmachen. Dafür prescht dann der eine Ministerpräsident vor, gibt den ganz harten Hund, will alle anderen mit besonders strengen Einschränkungen gegen Corona ausstechen – Typ Markus Söder. Schon kontert der andere Regierungschef und redet möglichst frühen Lockerungen das Wort – Typ Armin Laschet, als der noch nicht CDU-Vorsitzender war. Und jetzt spielt Daniel Günther, erster Mann des kleinen Ferienlandes Schleswig-Holstein den Erlöser; – ohne jeglichen Bezug zur Realität, aber man kann’s doch mal versuchen.
Als gebe es dafür jetzt oder in absehbarer Zeit auch nur die geringste Chance, legte Günther einen mehrseitigen Vier-Stufen-Plan für Lockerungen vor mit etwa 30 Unterpunkten. Dabei sind Lockerungen, bleibt man realistisch, überhaupt nicht in Sicht. Wozu dann dieser Plan ? Klopft man ihn auf seine gegenwärtige Praktikabilität ab, kann man nur zu dem Schluss kommen, da hat sich ein leibhaftiger Ministerpräsident als Spökenkieker versucht.
Ganz genau definiert der jugendliche Herr Günther beispielsweise, ab wann „grundlegende körpernahe Dienstleistungen wieder erlaubt“ werden können, der Einzelhandel und die Gastronomie mit welchen Einschränkungen und unter welchen Auflagen öffnen dürfen, wann Theater und Konzerthäuser erstmal „für einzelne Schulgruppen“ aufmachen, wann „Freizeitparks wieder öffnen und Ausflugsschiffe wieder ablegen dürfen“. Das hänge jeweils von den sogenannten Inzidenzzahlen ab, also wieviel Infizierte – 100, 50, oder gar unter 35 – es auf 100.000 Einwohner gebe. Dazu – und damit wird es dann wieder unübersichtlich – kämen ergänzende Erwägungen wie die Lage auf den Intensivstationen, die Impfquoten und die mögliche Verbreitung von neuartigen Mutationen.
Der Kieler Regierungschef macht geltend, die Ministerpräsidenten hätten sich doch darauf verständigt, einen Ausstiegsplan aus den Beschränkungen zu erarbeiten. Da habe Schleswig-Holstein eben mal „vorgelegt“. In der Tat ist es Aufgabe von Politik, frühzeitig und vorsorglich Pläne zu entwickeln, so wie es gut gewesen wäre, aber vielerorts nicht passiert ist, unsere Schulen mit Computern und W-Lan für Distanz-Unterricht auszustatten. Aber Abschieds-Szenarien von Corona voreilig und völlig zur Unzeit in die Öffentlichkeit zu blasen, ist sinnlos, kann sogar unverantwortlich sein. Zwar warnt auch Günther vor „übertriebenen Erwartungen“ an seinen Plan, doch der Medienprofi sollte wissen, dass solche Fußnoten gerne übersehen werden. So jubilierte bereits eine große Illustrierte in ihrem online-Dienst: „Weg aus dem Lockdown ? Stufenplan für künftige Corona-Lockerungen“.
Das genau ist die Gefahr, die Daniel Günther mit seinem Papier heraufbeschwört: Dass falsche Erwartungen geweckt werden, die enttäuscht werden müssen. Und dann wird es noch schwerer, die Menschen bei der Stange zu halten, ihnen immer länger und länger jene kollektive Disziplin abzuverlangen, ohne die Corona nicht zu besiegen ist.
Wie irrelevant und irreal jeglicher Ausstiegsplan derzeit ist, beweist Günthers Bundesland Schleswig-Holstein. Da gibt es auf’s Ganze gesehen derzeit nur 93 Infizierte auf 100.000 Einwohner – ein relativ günstiger Inzidenzwert. Aber im Kreis Pinneberg, der bekanntlich zu Schleswig-Holstein gehört, sind es fast 200. Und in Flensburg wurde die besonders gefährliche britische Mutation des Corona-Virus bei mehreren Bewohnern nachgewiesen. Fazit: Alles überall völlig unberechenbar. Was soll da ein Stufenplan für Lockerungen ? Was drin steht, ist für sich genommen nicht einmal falsch. Man kann es sogar simpel nennen. Wenn sich die Situation bessert, darf gelockert werden. Eine Binse, genauso selbstverständlich wie beispielsweise die Erkenntnis, dass man im Hochsommer kurze Hosen tragen kann. Nur nützt diese Erkenntnis im Winter genauso wenig wie Günthers Zukunftsplan in der quälenden Corona-Gegenwart.