Seit nunmehr 41 Jahren gibt es die Grünen-Partei. Entstanden aus dem Protest gegen die Umweltzerstörung, aber aus der Bewegung ist längst eine Partei geworden, die einen Lauf hat, wie es neudeutsch heißt. Was sich auch in den Mitgliederzahlen- im April waren es über 100000- ausdrückt, zunehmende Tendenz. Und wer einen Lauf hat, will gewinnen. Der setzt auf Sieg, nicht länger auf Platz. Will sagen: Die Grünen wollen nach der nächsten Bundestagswahl im September diesen Jahres nicht nur in die Bundesregierung, sie wollen ins Kanzleramt. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben beide erklärt, dass sie sich das Amt zutrauen. Grün-Schwarz ist das Ziel, nicht Schwarz-Grün. Da sollen sich die Christdemokraten mal nichts vormachen. Baden-Württemberg, einst das Kernland der Schwarzen, könnte als Vorbild dienen. Dort regiert der Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann(72) seit 2011, zuerst mit der SPD und dann mit der CDU. Er tritt bei der nächsten Wahl in diesem Jahr noch einmal an. Kretschmann gilt als konservativer Grüner, der mal als Ministerialrat des ersten Grünen-Umweltministers Joschka Fischer in Hessen gearbeitet hat.
Man spürt die Veränderung der Grünen seit Monaten. Geschlossenheit ist das, was ihre führenden Repräsentanten nach außen darstellen, Streit war vorgestern, Selbstbewusstsein zeichnet sie aus, keine Besserwisserei mehr im Stile von Oberlehrern. Sie verbreiten gute Laune statt den Miesepeter zu geben. Annalena Baerbock ist gerade 40 Jahre alt, sie ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern, hat ihren Master in London gemacht, sie sitzt seit 2013 im Bundestag. Ihr Co-Pilot ist Robert Habeck, 51 Jahre alt, er ist ein promovierter Doktor der Philosophie, verheiratet, er hat vier erwachsene Söhne. Er war Landesminister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein in einer sogenannen Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen. Seit 2018 führt er gemeinsam mit Baerbock die Partei Bündnis 90/Die Grünen.
In den Umfragen liegen die Grünen konstant bei rund 20 Prozent, vor Zeiten hatten sie schon mal Werte knapp unter 25 Prozent. Damals lag die Union bei 28 Prozent. Heute rangieren CDU und CSU bei über 35 Prozent. Experten sind sich sicher, dass die Union diese Werte nur der Beliebtheit der Kanzlerin, Angela Merkel, verdankt. Aber Merkel tritt bei der Bundestagswahl nicht mehr an, das Nein gilt, auch wenn einige Journalisten meinten, die Frau aus der Uckermark ließe sich zu einer weiteren Kandidatur überreden. Warum sollte sie das tun? Es gab Zeiten, da wollten die Unions-Anhänger sie am liebsten weghaben. Nicht vergessen die unschönen Szenen auf einem CSU-Parteitag, als Horst Seehofer in seiner Funktion als bayerischer Ministerpräsident und CSU-Parteichef Merkel wegen ihrer Flüchtliingspolitik abkanzelte und von einem Regime des Unrechts sprach. Merkel dürfte das in Erinnerung haben.
Union ist überbewertet
Die Union, sagt Habeck, sei mit 35 und mehr Prozent überbewertet. Da hat er wohl Recht. Die Frage wird sein, wieviel die Union ohne Merkel wert ist? Habeck ist nicht entgangen, dass die CDU seit dem Verzicht Merkels auf den CDU-Vorsitz ohne Kopf und Kurs dasteht. Annegret Kramp-Karrenbauer konnte die Lücke nicht schließen und hat früh aufgegeben. Die Nachfolge ist nicht geklärt. Da treten am Wochenende drei Männer, Merz, Laschet und Röttgen, alle aus dem Landesverband NRW, an, um CDU-Chef zu werden. Keiner wirkt überzeugend. Deshalb ist ja auch die Kanzlerkandidatur der Union völlig offen, und deshalb plädieren viele aus der Union in Umfragen eher für einen Mann, der gar nicht CDU-Chef werden kann: CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Markus Söder. Wobei der auch nicht so glorreich im Freistaat regiert, in dem mit die höchsten Corona-Ansteckungszahlen registriert werden. Aber Söder kann die Fehler und Schwächen seiner Führung überdecken- noch, muss man hinzufügen. Das könnte anders aussehen, käme er aus der Deckung und würde Ansprüche aufs Kanzleramt anmelden. Ich frage mich schon länger, wie es möglich ist, dass einer wie Andreas Scheuer immer noch Bundesverkehrsminister ist. Der Mann ist eine Zumutung, die auch und vor allem zu Lasten des Herrn Söder geht. Denn jede Koalitionspartei bestimmt ihre Minister in Berlin selber.
Früher waren die Grünen auf Umwelt-Themen festgelegt. Das ist längst vorbei. Umwelt oder besser der Klimawandel ist eines von den Problemen, mit denen die Grünen bei der Bundestagswahl punkten wollen. Sie fordern Investitionen in Schulen, Schwimmbäder, Innenstädte, mehr Hilfen für Pflegeberufe. Alles Themen, die man eigentlich bei der SPD vermuten würde, aber die Sozialdemokraten wirken irgendwie müde, abgeschlafft und sie sind auch nicht mehr „in“. Die Medien in der Hauptstadt kümmern sich nicht mehr um die alte Traditionspartei, es sei denn, sie liefert Gründe, um auf sie einzuprügeln, weil die SPD Kritik an der Union übt wegen deren Plänen mit bewaffneten Drohnen oder weil sie etwas an der Gesundheitspolitik des beliebten Bundesministers Jens Spahn auszusetzen hat. Was gar nicht geht, wie man in der SZ lesen kann, denn Spahn könnte ein Mann mit politischer Zukunft sein.
Aber egal. Das alles stört die einstigen Ökopaxe nicht, sie wollen an die Fleischtöpfe, sie scheinen den Spruch von SPD-Urgestein Franz Müntefering verinnerlicht zu haben: Opposition ist Mist. Und so sitzen die Grünen zwar noch auf den Oppositionsbänken im Berliner Reichstag, aber sie treten kaum mehr als Oppositionspartei auf, die die Arbeit der Regierung kritisch verfolgt. Nein, die Grünen unterstützen zum Beispiel in der Impfstrategie die Beschlüsse der Bundesregierung, Kritik an Gesundheitsminister Jens Spahn kommt eher von den Liberalen und den Linken. Und was Merkel betrifft: Die Grünen liegen ihr zu Füßen- fast wie ein Großteil der sogenannten Leitmedien.
Die Grünen machen sich hübsch für die Zeit nach der Bundestagswahl. Sie wollen den Kanzler stellen oder die Kanzlerin. Diese Frage haben sie bisher nicht geklärt. Und es ist schon auffallend, wie harmonisch die beiden Anwärter auf die Kanzlerkandidatur der Grünen miteinander umgehen. Kein Wort der Kritik. Zwischen Ostern und Pfingsten wollen sie diese Entscheidung treffen, „wenn die Bäume wieder grün sind.“ Wer der Favorit ist? Vor Wochen hätte ich auf Robert Habeck gewettet, jetzt würde ich eher auf die selbstbewusste Annalena Baerbock setzen. Wie war noch ihr Zitat? Baerbock: „Ja, ich traue auch mir das Kanzleramt zu.“
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