Nie zuvor in der Geschichte der CDU verlief die Wahl eines neuen Bundesvorsitzenden so spannend wie aktuell, da es um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer geht. An diesem Wochenende (16. Januar 2021) wird der virtuelle Parteitag stattfinden. Die drei Kandidaten – Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen –, die aus Nordrhein-Westfalen kommen, treten als Konkurrenten um die Spitzenposition an. 1001 Delegierte aus allen deutschen Landen werden ihr Votum abgeben.
Umfragen: Muster ohne Wert
Ihre Entscheidung muss noch schriftlich an die Parteizentrale bestätigt werden. Das Endergebnis wird am 22. Januar vorliegen. Seit Monaten wird öffentlich darüber spekuliert, wer aus diesem Bewerber-Trio das Rennen gewinnen wird. Die verschiedenen Institute für Demoskopie haben immer wieder Umfrageergebnisse präsentiert, die indessen mehr verwirrend denn erhellend waren. Denn bei den Erhebungen wurden Umfragen bei einem allgemeinen Panel der Gesamtbevölkerung, bei CDU-Wählern oder in einigen Landesverbänden gemacht. Diese Ergebnisse fielen im Verlauf der Zeit recht unterschiedlich aus: Zumeist lag der Sauerländer Merz vorne, gefolgt von Laschet und Röttgen. Doch diese Umfragen waren Muster ohne Wert, denn nur die Parteitagsdelegierten der CDU sind stimmberechtigt und werden den neuen Vorsitzenden wählen.
Entscheidung der 1001 Delegierten
Ihre Entscheidung werden die 1001 Frauen und Männer aus der CDU nach ihren eigenen Kriterien treffen. Dabei wird es vor allem darum gehen, wem sie am meisten zutrauen, ihre Partei erfolgreich in die Zukunft zu führen. In den letzten Jahren, da Angela Merkel als Bundesvorsitzende fungierte, hat die CDU mehr und mehr an Profil verloren. Nicht wenige Mitglieder kritisierten ganz offen die schleichende Sozialdemokratisierung. Sie wurde in der Großen Koalition mit hohen Sozialausgaben betrieben. Zudem wurden die teure Energiewende, die verschleppte Digitalisierung der Republik, die umstrittene Immigrations- und wenig erfolgreiche Integrationspolitik von den verschiedenen Gruppen der Union bemängelt. Einigen Parteimitgliedern fehlten die konservativen Werte und der klare Kurs der Sozialen Marktwirtschaft, anderen missfiel die übertriebene Ökologisierung oder die Vernachlässigung des Mittelstandes. Doch hielt man sich mit der offenen Kritik mehr oder weniger zurück, solange die CDU die Kanzlerin mit ihrer Bundesregierung stellte. Fast lautlos wurden auch die schlechten Ergebnisse bei den Bundestagswahlen und die herben Verluste in den Bundesländern hingenommen. Das einzige Glanzlicht gab es hier für die CDU in Nordrhein-Westfalen mit dem Sieg von Armin Laschet gegen die SPD-Frau Hannelore Kraft.
Das schwierige Erbe nach Merkel und Kramp-Karrenbauer
Die Nachfolgerin von Angela Merkel hatte zwar einen guten Start als Generalsekretärin, doch als Parteivorsitzende blieb Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur blass, sondern ein krasser Ausfall. Sie wurde in der Öffentlichkeit kaum als Führungspersönlichkeit wahrgenommen; ihre Auftritte wirkten eher unglücklich und profillos. Ihr Generalsekretär, Paul Ziemiak, vermochte gleichfalls kaum Impulse in die CDU hinein zu geben, tat sich bei Sachthemen außerordentlich schwer und blieb im Vergleich zu früheren Vorgängern wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler oder Volker Rühe ein Schattengewächs. Angesichts der strukturellen Probleme ihrer Partei befürchten nicht wenige CDU-Mitglieder, dass die Union in den nächsten Jahren in das gleiche schwere Fahrwasser wie die SPD geraten könnte. Die Sozialdemokraten haben mit Wahlergebnissen von rund 10 % in einigen Bundesländern und mit gerade noch 15 % in Umfragen für den Bund längst den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, verloren.
Wahljahr 2021: Nagelprobe für den neuen CDU-Chef
Der neu zu wählende CDU-Bundesvorsitzende muss deshalb mit Elan und Mut ein schweres Erbe übernehmen und die CDU als attraktive Zukunftspartei profilieren. Im Jahr 2021 werden nicht nur im September der Bundestag gewählt, sondern auch 6 Landtags- und einige Kommunalwahlen stattfinden. Die überwiegende Mehrzahl der 1001 Parteitagsdelegierten sind Mandats- oder Funktionsträger der CDU, viele wollen es noch werden. Deshalb werden sie bei ihrem Votum vor allem danach entscheiden, mit wem von den drei Bewerbern sie ihr persönliches Ziel am ehesten erreichen können.
Elder statesman: Friedrich Merz
Für Friedrich Merz spricht, dass er ein Politiker mit hoher Rednerkunst und mit profunden Kenntnissen der Wirtschaft ist. Auch als langjähriger Vorsitzender der Atlantik-Brücke verfügt er über große Erfahrungen in der Außenpolitik, insbesondere im Verhältnis zwischen den USA und Europa. Merz würde die CDU gewiss wieder stärker auf einen konservativen Kurs bringen und die notwendige Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft einleiten. Dazu gehört für ihn, die unternehmerische Dynamik zu beleben, neue Technologien mit der Digitalisierung, Pharmaforschung, Quantencomputern und anderen Bereichen zu forcieren sowie gezielt Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz zu intensivieren. So verwundert es kaum, dass Merz, der sich zwar rund 15 Jahre nicht mehr als aktiver Politiker bestätigte und niemals ein Ministeramt bekleidete, insbesondere vom CDU-Wirtschaftsrat und von der Mittelstandsvereinigung der Union starken Rückenwind erhalten wird.
Überraschungskandidat Norbert Röttgen
Norbert Röttgen konnte sich gerade in jüngster Zeit als Außenpolitiker profilieren. In seinen zahlreichen TV-Auftritten zur Präsidentenwahl in den USA, zum EU-China-Investitionsabkommen und anderen wichtigen Themen der Globalisierung machte er als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages durchweg eine gute Figur, glänzte mit seinen profunden Kenntnissen und klaren Analysen. Röttgen hat sei 1994 sein Bundestagsmandat im Rhein-Sieg-Kreis stets direkt gewonnen. Er war einige Zeit lang Bundesumweltminister, wurde jedoch von der Kanzlerin aus dem Amt entlassen. Seine verunglückte Kandidatur zum Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen war für ihn und viele CDU-Mitglieder kein Ruhmesblatt. Mit seiner Kandidatur für den Parteivorsitz hat er gewiss überrascht und das Rennen noch spannender gemacht. Als durchaus sympathischer Jurist aus dem Rheinland könnte Röttgen bei der Jungen Union und Teilen der Frauen-Union punkten. Allerdings werden ihm nur Außenseiterchancen eingeräumt.
Teamplayer Armin Laschet
Mit einem großen Amtsbonus geht indessen Armin Laschet in den Wettbewerb um den CDU-Vorsitz. Er verfügt über intensive Erfahrungen im Bundestag, Europa-Parlament und im Landtag. Sein größter Coup war der überraschende Aufstieg zum Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Der Mann aus Aachen war stets ein Teamplayer: Mit Herbert Reul, Karl-Josef Laumann und Lutz Lienenkämper formte er ein starkes Landeskabinett, in dem er in der Koalition mit der FDP regiert. Rechtzeitig vor dem CDU-Parteitag hat Laschet im Team mit Jens Spahn programmatische Vorstellungen „Für ein innovatives und lebenswertes Deutschland“ vorgelegt. Darin stehen die Digitalisierung, die Neugründung von Unternehmen, der Abbau von Bürokratie, die Mitarbeiterbeteiligung, ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft und das Engagement im Vordergrund. Ebenso will das Team Laschet/Spahn auf die Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft setzen. Seine konkreten Vorschläge erstrecken sich auf den Ausbau der Wasserstoff-Technologie, auf den Strukturwandel in den Kohleregionen, auf die Vereinbarung von Ökonomie und Ökologie. Aufstieg durch die beste Bildung stehen auf der Prioritätenliste ebenso wie Null-Toleranz gegen Kriminalität und Extremismus. Zudem sollen die Stärkung des Gesundheitswesens gegen die Pandemie, die Produktion von Medikamenten sowie der Katastrophenschutz von Laschet angestrebt werden.
Impulse für die CDU-Zukunft von Laschet und Spahn
Armin Laschet, der bereits seit langem stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist, konkretisiert zudem gemeinsam mit Jens Spahn seine Vorstellungen zur Zukunft der Partei: Dabei geht es um die Übersetzung des christlichen Menschenbildes in Politik für heute, um das Leben der Werte, um die Stärkung der Mitgliederbeteiligung und vor allem auch um die klare Abgrenzung nach rechts. Programmatisch macht damit der Mann aus Aachen ein starkes Angebot, das die meisten Mitglieder seiner CDU begeistern könnte. Aus der engen Kooperation mit Jens Spahn sollte sich ein weiterer Vorteil ergeben. Hinzu mag das durchaus positive Krisenmanagement im Kampf gegen die Corona-Pandemie kommen: Im Vergleich zu fast allen anderen Bundesländern ist es Laschet mit seinen zuständigen Kabinettskollegen am besten gelungen, die Expansion der Infektion und die Zahl der Sterbefälle zu begrenzen. Dass diese Erfolge von ihm in den Medien nach Einschätzung mancher Kritiker nicht übermäßig inszeniert wurden, während etwa sein Kollege aus Bayern, Markus Söder, die katastrophalen Entwicklungen im Freistaat lautstark zu übertünchen versuchte, sollten die 1001 Delegierten richtig einordnen.
Schwierige Rahmenbedingungen des Parteitages
Vieles spricht dafür, dass keiner der drei Bewerber im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Delegierten-Stimmen erzielen wird. Eine Stichwahl dürfte folgen, in der wohl Laschet und Merz gegeneinander antreten. Für den NRW-Ministerpräsidenten dürfte es schließlich ein „happy end“ geben. Doch muss dafür eine hohe Hürde überwunden werden. Manche Delegierte werden sich erst nach den Reden auf diesem virtuellen Parteitag entscheiden – Reden in die Linsen von Kameras, ohne Publikum auf den Rängen der Halle, ohne spontanen Beifall und spürbare Stimmung. Die Rahmenbedingungen dieses ungewöhnlichen Parteitages gestalten sich außerordentlich schwierig. Wer von den Kandidaten sie optimal beherrscht, wird daraus gewiss einen – vielleicht nicht unbedingt den entscheidenden – Vorteil haben.
Bildquelle: Wikipedia, Daniel71953, public domain