Die Analysen über die erschreckenden und bisher nicht vorstellbaren Ereignisse in Amerika kommen meistens sehr schnell auf einen für mich zentralen Punkt, nämlich die dortige Rolle der Medien. Dabei muss man wissen, dass Presse und Rundfunk in den USA anders ticken als hierzulande. Sie haben sich anders entwickelt und verstehen sich anders als bei uns, wo sie eine öffentliche Aufgabe haben. Unser duales Rundfunksystem basiert auf Gesetzen und Staatsverträgen, die Meinungsmacht einschränken und Pluralismus garantieren sollen. In den USA sind gerade die elektronischen Medien in erster Linie Wirtschaftsunternehmen, denen es um kommerziellen Gewinn geht und denen die Verfassung eine nicht durch Gesetze einschränkbare Meinungsfreiheit gewährt. Deshalb ist auch die Vorstellung von Binnenpluralismus, die unser öffentlich-rechtliches System prägt, in der amerikanischen Fernseh- und Hörfunklandschaft nicht das Prinzip, nach dem dort gearbeitet wird. Und eine Grundversorgung mit Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung, deren Notwendigkeit unser Verfassungsgericht immer wieder festgeschrieben hat, kennt das amerikanische Mediensystem so auch nicht.
Facebook, Twitter, YouTube & Co. sind die konsequente Fortsetzung dieses anderen Verständnisses der Rolle und der Funktionsweise der Medien. Die sozialen Medien haben die ohnehin vorhandenen gesellschaftlichen Probleme in den USA massiv verschärft, nämlich die Vertiefung der sozialen Unterschiede und die Fragmentierung, ja die Spaltung der Gesellschaft. Die scheinbar grenzenlose Informationsmenge des Internets hat dazu geführt, dass die Orientierung über richtig oder falsch, über wahr oder unwahr nicht mehr so einfach möglich ist. Das Entstehen von Echokammern und Filterblasen ist die logische Konsequenz. Was fehlt, ist die Grundversorgung in dem Sinne, wie sie unser traditionelles Mediensystem auszeichnet, im World Wide Web aber nicht wirklich vorstellbar ist. Deshalb habe ich wenig Hoffnung, dass sich die politisch so angespannte und gegenwärtig so aufgeheizte Lage in den USA wesentlich bessert, solange nicht die Defizite des Mediensystems erkannt und repariert werden. Und auch die Regulierung der sozialen Medien müsste vor diesem Hintergrund entschlossener angegangen werden. Weil wir in unserem deutschen Mediensystem einen Grundversorgungsauftrag haben, ist unsere Gesellschaft weniger anfällig als die amerikanische für Polarisierung und Populismus. Das wage ich zu behaupten. Die Eigendynamik der Digitalisierung, die Rolle der sozialen Medien und die Fragmentierung der Gesellschaft sind aber auch bei uns nicht zu leugnen. Die mangelnde Reformbereitschaft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie auch die beschränkte Reaktionsfähigkeit der föderalen Medienpolitik lassen befürchten, dass es auch hier erst noch schlimmer kommen muss, bevor es wieder besser wird. Im Kern geht es um das Verständnis von Rundfunk als öffentliche Aufgabe. Diese besser zu definieren, sie zu schützen und zu stärken ist notwendiger denn je. Das sollten uns die Ereignisse in den USA deutlich vor Augen geführt haben.
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