Nüchtern betrachtet sind die Montagsdemos angeblicher europäischer Patrioten in Dresden ein Stück aus Absurdistan. In einem Landstrich, in dem der Bevölkerungsanteil an Muslimen weit unter einem Prozent liegt, eben wegen dieser Bevölkerungsgruppe Überfremdung und das Ende des Abendlandes zu befürchten, ist reichlich schräg. Oder besser: rational nur schwer nachzuvollziehen.
Unter den Demonstranten, deren Zahl binnen weniger Wochen von einigen Hundert auf 15 000 gestiegen ist, sind Neonazis aus der rechtsextremistischen sächsischen Szene, AFD-Anhänger und Menschen, die sich von der Gesellschaft abgehängt und als Verlierer fühlen und bekannte Krawallblogger.
Die Kanzlerin hat die Demos verurteilt und Bürger gewarnt, sich nicht vor den Karren von Fremdenfeindlichkeit spannen zu lassen. Justizminister Heiko Maas hat den montäglichen Spuk als „Schande für Deutschland“ bezeichnet. Der Ton gegen die Bewegung, die sich „Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlands“ nennt, ist in den letzten Tagen schärfer geworden. Vielleicht auch deshalb, weil sich niemand so genau erklären kann oder will, wie die Stimmung so breit werden konnte. Aber es wäre übertrieben, die tatsächlich Demonstrierenden in Dresden als Massenbewegung zu bezeichnen.
Alle Versuche, den Protest über Dresden hinaus zu verankern, sind bisher gescheitert. Weder in Berlin noch in Düsseldorf, noch in Bonn konnte mehr als ein Häuflein vorwiegend aus der bekannten Neonaziszene mobilisiert werden. Und dass an diesem Montag in Dresden die Zahl der „Spaziergänger“ im Vergleich zur Vorwoche noch einmal um 5000 gestiegen war, mag auch damit zusammen hängen, dass im Fernsehen auf allen Kanälen über „Pegida“ getalkt und damit indirekt Werbung für Dresden als Wallfahrtsort der ewig Gestrigen und neu Verblendeten, der Spießer und der Mitläufer gemacht wurde.
Also Ruhe bewahren, den Islamgegnern und Angstmachern vor einer Überfremdung nicht allzu viel Beachtung schenken? Nein, denn die sogenannten „Abendspaziergänge“ sind lediglich ein dünner Aufguss jener Parolen, mit denen sich die Pegida-Szene im Netz breit gemacht hat. Dort spielt die gefährliche Musik: Mit Hasstiraden gegen alles vermeintlich Fremde, mit Verachtung für die Demokratie und Ablehnung der gleichgeschalteten „Lügenpresse“. In dieser Kombination kann einem angst und bange vor dem Gemisch aus Rechtsradikalen, Zynikern und Hassbloggern werden. Sie wollen aufmischen, und durch Eroberung der digitalen Stammtische die Gesetze des gesellschaftlichen Miteinanders aufheben oder wenigstens verächtlich machen. Sie schaffen sich eine eigene Öffentlichkeit, weil sie die etablierte Öffentlichkeit ablehnen. Sie schüren Politik- und Demokratieverdrossenheit und stellen nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern die Daseinsberechtigung vermeintlicher Mainstreammedien in Frage.
Das Neuland, wie die Kanzlerin das Netz einmal genannt hat, ist zur Bastion dumpfster Hatz und übelster Verschwörungstheorien geworden. Eine digitale Parallelgesellschaft, die mit den die Gesellschaft tragenden Institutionen und Konventionen nichts mehr m Hut hat.