Zu Anfang des bald vergangenen Jahres ahnten wir von Corona und der Heimsuchung durch eine Pandemie noch nichts. Als wir im Februar beim Langlaufen im Chiemgau waren, gab es das Thema zwar, aber es war weit weg, irgendwo im fernen China. Wer kannte damals schon Wuhan? Wir feierten mit Freunden unser Wiedersehen, umarmten uns, genossen Schweinsbraten, Weizenbier und Wein. Als wir dann ein paar Tage später wieder zu Hause am Rhein waren, hatte Corona uns schon eingeholt. Wenig später folgten die bekannten und unbeliebten Einschränkungen unseres Lebens, horteten die Menschen plötzlich Klopapier und kauften Nudeln und Mehl, als gäbe es kein Morgen. Wann hatte es das das letzte Mal gegeben? Das öffentliche Leben, es fand nicht mehr statt, wie wir es liebten, Innenstädte boten Bilder der Leere. Der Staat unterstützte seine Bürger und die Arbeitgeber, damit sie weiterleben konnten und nicht pleite gingen. Wir lernten diese Regierung und ihre Arbeit gerade wegen Corona zu schätzen, ihr Ansehen stieg und stieg. Es ist immer noch hoch und hoch ist auch der Anteil der Bürgerinnen und Bürger, die die Maßnahmen gegen Corona samt aller Beschränkungen für gut befinden. Der Staat, gemeint die Regierungen in Berlin und in den Ländern. Der Staat, das sind wir, wir alle, die Steuerzahler, vertreten werden wir durch die Abgeordneten. Und ihre Mehrheit hat diese Milliarden-Euro-Hilfen beschlossen, die vielen zugute kommen. Und die wir alle irgendwann zurückzahlen müssen.
Wir lernten wieder Begriffe zu schätzen, die hinter Glas zu verstauben drohten: Solidarität mit den Alten und Schwachen, Verantwortung des einen für den anderen, Gemeinsinn wurde wieder zu einem aktuellen, ja modernen Begriff. Der Staat durfte wieder ein starker sein, anders als im neoliberalen Sinne, wo Privat vor Staat gehen möge, weil es angeblich angebrachter wäre, öffentliche Güter zu privatisieren und solidarisches Handeln zurückzufahren. Wie oft habe ich das in den Jahren davor gehört, diese Predigten von der Selbstbestimmung. Plötzlich, Corona sei dank, erkannten wir wieder den Sinn und Nutzen unseres solidarischen Systems, wurde der Dreiklang, den die Jüngeren gar nicht mehr kennen, wieder beschworen, ich sage ihn gern noch einmal auf, weil er so wichtig ist und unseren Staat über die Jahrzehnte stark gemacht hat: die Jungen helfen den Alten, die Gesunden den Kranken, die Starken den Schwachen.
Corona, diese Seuche, die uns alle treffen kann, machte uns klar, wie verwundbar wir sind. Das Virus macht keinen Bogen um uns herum, es kennt keine Grenzen, es schert sich nicht um Verabredungen zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Es ist da und wir müssen uns davor schützen. Mit Abstand, Mund-Nasenschutz, Hygieneregeln. Wir mussten lernen, auf Feiern zu verzichten. Das wurde vielen gerade jetzt zur Weihnachtszeit wieder bewusst und jetzt zur Jahreswende ist es aktuell. Es wird keine großen Feste an Sylvester geben, keine ausgelassenen Parties, kein Feuerwerk am Brandenburger Tor im großen Stil. Ist das nun Selbstdisziplinierung, sind das Entbehrungen? Es ist Verzicht, ja, Verzicht auf Treffen mit Freunden in Kneipen und Restaurants, Verzicht auf Besuche von Theatern und Opern, Verzicht auf Skifahren in weiten Teilen der Alpen, Verzicht auf ein festliches Menü in einem feinen Hotel in Bonn, München oder Hamburg und Berlin. Das ist es, was wir lernen mussten, wie wichtig uns und vielen anderen die Gemeinschaft war und ist. Das geht mir ab, den Freunden, den Nachbarn. Man wünscht sich zurück an den Tisch beim Türken, um dort miteinander zu reden über Gott und die Welt, etwas zu trinken und zu essen. Das fehlt uns allen. Aber ganz ehrlich, ist das nicht schon ein bisschen Klagen auf höherem Niveau? Zumindest, wenn man selber gesund ist und keine Großeltern in einem Heim hat, die zurückgezogen leben müssen, die vereinsamen können, die sterben, ohne dass man sie auf diesem Wege begleiten konnte.
Impfstoff auch für Afrika
Wie oft hörte ich oder wünschte ich anderen: Bleib gesund! Ja, das war mehr als das sonst übliche Guten-Tag. Gesund bleiben während der Corona-Zeit, das ist es, was wir uns immer wieder wünschen. Und natürlich geht auch Angst um, von Corona infiziert zu werden. Die täglichen Zahlen über explodierende Ansteckungsfälle und Tote gehen ja nicht an einem vorbei, sie setzen sich fest im Kopf. Wer möchte sich nicht am liebsten sofort testen lassen! Wie haben wir den Impfstoff herbeigesehnt! Jetzt ist er da, wenn auch am Anfang nur in geringen Mengen. Aber es geht los mit der Impferei, hier und in aller Welt. Ich finde es gut, dass der Impfstoff zum Beispiel in Europa auf alle Staaten verteilt wird. Deutschland ist ein starkes Land, der Impfstoff wurde hier entwickelt. Und doch darf es keine Bevorzugung geben, nicht von Deutschland. Dass würde die Europäer nur auseinandertreiben in einer Zeit, da der Zusammenhalt in der EU durch den Brexit und die Polen und die Ungarn ohnehin gefährdet ist. Auch die Ärmstern müssen geimpft werden können. Das gilt selbstverständlich auch für Afrika.
Solidarität. Der Begriff zieht sich durch diese Debatte. Solidarität mit den Älteren und am stärksten in den Pflegeheimen bedrohten Menschen. Gegen den Impf-Neid müssen wir ankämpfen. Eine 101-Jährige als erste zu impfen, dagegen spricht nichts. Und bitte keine Triage-Debatte! Gleiches Recht für alle, unabhängig vom Alter und Geldbeutel. Das Leben der Jungen und Leistungsträger darf uns nicht mehr wert sein als das der 100-Jährigen. Unsere demokratische Gesellschaft ist eine soliarische Gemeinschaft, ihre humanitäre Stärke zeichnet sie gerade in solchen Zeiten wie einer Pandemie aus.
Verantwortung, Respekt. Rücksicht. Auch dies gehört zu unserem Wertekanon. Einander achten, aufeinander achten. Das bezieht die Polizisten mit ein, die es nicht verdient haben, als Bullen beschimpft zu werden. Sie sind Ordnungshüter, die wir brauchen, die der Gesellschaft dienen. Respekt und Anerkennung verdienen die Sanitäter und Feuerwehrleute, die helfen, wenn es brennt. Wir sollten uns vor sie stellen und sie in Schutz nehmen, wenn irgendwelche Krawallbrüder die Hand gegen sie erheben. Sie leisten wichtige Dienste in und an dieser Gemeinschaft. Nehmen wir Rücksicht auf den Nachbarn und er auf uns! Wir sollten uns nicht mehr Platz verschaffen und Rechte durch den Einsatz von Ellenbogen. Rücksicht auf den Nächsten schmückt diese Gesellschaft, wenn sie denn funktioniert. Was sie nicht immer tut. Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit. Und auch wenn es nicht jedem gefallen wird: Es darf keine Vorrechte geben für Geimpfte gegenüber den Nichtgeimpften. Noch kann sich nicht jeder impfen lassen, weil die Menge an Impf-Dosen fehlt. Es kann noch Monate dauern, bis sie jeden Zipfel des Landes erreicht hat. Ferner ist noch nicht geklärt, ob eine Impfung die Ansteckung anderer verhindert. Wir wollen doch nicht, dass der Kneipen-Zugang kontrolliert wird durch Vorlegen des Impfpasses, oder? Oder soll der Arbeitsplatz davon abhängig gemacht werden, ob jemand schon geimpft worden ist? Aber den Impfgegnern muss auch die Notwendigkeit ihrer Solidarität mit der übrigen Gesellschaft klar gemacht werden.
Das Jahr 2020 war eben auch ein Jahr des fortwährenden Ausnahmezustandes, indem bestehende Regeln immer wieder außer Kraft gesetzt werden mussten. Das Jahr geht zu Ende, ohne dass wir sagen könnten, wir hätten die Pandemie schon hinter uns. Aber richtig ist, dass der Impfstoff Grund zur Hoffnung gibt, dass es besser wird. Auch wenn unsere Geduld weiter auf die Probe gestellt wird. Die Pandemie hat gezeigt, wozu diese Gesellschaft, wenn sie denn zusammenhält, wenn jeder auf etwas verzichtet, fähig ist. Dass der eine für den anderen da ist, dass es Schutz gibt und Hilfe, Sorge und Verbundenheit. Dass wir das sind, was dieses Land über Jahrzehnte stark gemacht hat und nie vergessen sollte: eine solidarische Gemeinschaft. Dazu zählen auch die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, weil sie auf unsere Solidarität gesetzt haben, darauf, dass wir ihnen ein Dach über dem Kopf geben, medizinische Versorgung, zu essen und zu trinken. Kurz: Ihnen helfen, weil dies diese Gesellschaft, die stark ist, auszeichnet. Wir schaffen das, hat die Kanzlerin vor Jahren gesagt. Und wir schaffen das auch, wenn alle anpacken, mitmachen, helfen.
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