Die letzten Monate haben uns alle vor große Herausforderungen gestellt. Wir halten Abstand zu unseren Mitmenschen, beschränken Kontakte zu Bekannten, Freunden und Familie auf das Nötigste und bleiben einfach Zuhause. Trotz der Distanz zueinander hat sich auch etwas zum Guten verändert. Obwohl wir uns räumlich voneinander isolieren, sind wir als Gesellschaft doch ein Stück weiter zusammengerückt. Gesundheit, Sicherheit, im Kreis der Freunde und Familie zu leben – all das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Gleichzeitig wurden wir an die Unverzichtbarkeit Derjenigen erinnert, die kaum gesellschaftliche Anerkennung und mediale Aufmerksamkeit erfahren.
Darin liegt die wahrscheinlich wichtigste Herausforderung der UNO-Flüchtlingshilfe als nationalem Partner des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) begründet: Die Menschen und Krisen ins Gedächtnis der Zivilgesellschaft zu rufen, die längst in Vergessenheit geraten sind.
Vergessene Flüchtlingskrisen sind meist lang andauernde Katastrophen mit großem humanitären Bedarf. Sie sind geprägt von fehlender öffentlicher Aufmerksamkeit, geringem medialen Interesse und einem gravierenden Mangel an Hilfsgütern und Spenden. Oft ist auch kaum politischer Wille zu erkennen, diese Krisen ein Ende zu setzen.
Nach der „Nichtvergesser“-Initiative des Auswärtigen Amtes zählen dazu unter anderem die Krisen im Jemen, im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia, in Bangladesch/Myanmar und in Venezuela.
Auch der Konflikt in Syrien droht eine dieser sogenannten vergessenen Krisen zu werden, denn er dauert nun schon fast länger als beide Weltkriege zusammen – im kommenden Jahr sind es schreckliche zehn Jahre. Die Folge: Das Medieninteresse lässt spürbar nach. Dabei handelt es sich bei den Syrer*innen um die größte Flüchtlingsgruppe der Welt: Jeder zweite syrische Mann, jede Frau und jedes Kind wurden seit Beginn des Konflikts 2011 gewaltsam vertrieben – oft sogar mehr als einmal.
Länder die selbst auf Hilfe angewiesen sind, wie der Libanon nach der fatalen Explosionskatastrophe in Beirut dieses Jahr oder der Irak (gleichzeitig Herkunfts- und Aufnahmeland für Flüchtlinge), leisten bereits Unterstützung und sind bis aufs Äußerste beansprucht: So ist inzwischen jede(r) siebte Einwohner(in) im Libanon ein Flüchtling.
Derweil herrscht unterhalb der Arabischen Halbinsel, in den Konfliktregionen des Jemen, eine weitere Katastrophe. Mit über 24 Millionen Binnenvertriebenen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, handelt es sich beim Jemen um die größte humanitäre Krise der Welt. Trotzdem hat das Land rund 268.000 Flüchtlinge aufgenommen. Auch hier besteht kaum noch öffentliches Interesse, denn Hintergründe des Konfliktes, die (wechselnden) Allianzen und Kontrahenten sind komplex und schwer durchschaubar.
Nach den jüngsten UN-Erhebungen herrscht in den Konfliktgebieten Jemens, wo sich zurzeit die Hälfte der vier Millionen vertriebenen Jemeniten aufhält, eine gravierende Ernährungsunsicherheit. Die andauernden bewaffneten Konflikte, COVID-19, eine hohe Inflation und fehlende Erwerbsmöglichkeiten führen dazu, dass Familien sich nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel leisten können. Mitarbeiter*innen des UNHCR berichten, dass eine Mahlzeit oft nur aus einer Schale Reis oder einer Tasse Tee mit einem Stück Brot besteht.
Geflüchtete Eltern müssen sich häufig entscheiden, ob sie Nahrungsmittel kaufen, oder sich mit allen verfügbaren Mitteln vor dem Corona-Virus schützen. Um zu überleben, nehmen viele Familien nur noch eine Mahlzeit am Tag zu sich.
Als eine der wenigen Hilfsorganisationen vor Ort verstärkt der UNHCR diesen Winter seine Unterstützung im Jemen mit Hilfsgütern und direkter Bargeldhilfe.
Die Corona-Pandemie hat die Situation der Geflüchteten weltweit nicht nur verschärft, sie führt auch dazu, dass sie noch weniger im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit sind. Gleichzeitig haben uns die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gezeigt, dass jede(r) Einzelne zählt und wir alle etwas bewirken können. Was ich tue, wie ich meinen Alltag gestalte, betrifft auf einmal nicht nur mich persönlich oder mein eigenes Umfeld, sondern die gesamte Gesellschaft. Diesen Sinn für Solidarität, dieses Verantwortungsgefühl dürfen wir nicht so schnell vergessen. Besiegen werden wir die Pandemie letztlich nur, wenn wir uns mit Denjenigen solidarisieren, die dem Virus schutzlos ausgeliefert sind – ob in Deutschland oder in anderen Teilen der Welt.