Die Diskussion über die Anschaffung beziehungsweise den Einsatz bewaffneter Drohnen ist eigenartig. Drohnen sind unbemannte, geräuscharme, vom Erdboden aus gesteuerte, motorbetriebene Flugobjekte, die zivile staatliche und private, aber auch militärische Zwecke erfüllen können. Sie messen, registrieren, fotografieren, beobachten, zeichnen auf, geben Daten in Echtzeit weiter, sie schießen sofern hierfür gerüstet, Projektile ab, die töten und zerstören. Sie enthalten alte Technologie und neueste Technologie in Kombination.
Weil sich diese Geräte verhältnismäßig langsam in der Luft bewegen, werden sie vielfach erfolgreich bekämpft. Das ist vor allem dort so, wo der militärische Gegner über moderne Abwehrmöglichkeiten verfügt. In großen Räumen mit dünner Besiedlung und kaum vorhandener Infrastruktur bewegen sich bewaffnete Drohnen ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Drohnen sind vergleichsweise billig in der Anschaffung, es gibt sie aus Ausrüstungs- und Rüstungsunternehmen verschiedener Länder: Russische Föderation, China, USA oder auch aus israelischen Unternehmen beispielsweise. Sie sind begehrt, die Bedienung wird gegebenenfalls mitgeliefert. Es gibt eine wachsende Nachfrage. In den nächsten Jahren werden neben Staaten auch unterstaatliche Banden, die Terror ausüben, im Besitz solcher bewaffneter Geräte sein, wenn das nicht heute bereits der Fall ist. Man hält die Drohnen für eine Waffentechnologie der Zukunft. Ob das stimmt, ist noch nicht klar. Aber mit Gewissheit ist anzunehmen, dass sie in allen kriegerischen Auseinandersetzungen eine Rolle spielen werden: Terror, Ideologie, Vergeltung, Revanche, Eroberung.
Im Unterschied zur Tätigkeit eines Artilleristen, dessen Waffe in 20, 30 oder 40 Kilometern tötet oder des Waffentechnikers, der eine Rakete startet, ist die Tätigkeit des „Operators“ der Drohne scheinbar vertraut, Alltagserfahrung für Millionen Menschen: Der „Operator“ sitzt vor einem Bildschirm, beobachtet ein Geschehen, bewegt einen Steuerungsmechanismus, umgangssprachlich „Joystick“ genannt, löst einen tödlichen, elektronischen Befehl aus. Das tun heute Millionen und Abermillionen. Das ist zentral für einen Teil der heutigen Unterhaltungskultur. Die ist alltägliche, virtuelle, aber dennoch aktive Tötungskultur. Wer über die Bewaffnung von Drohnen berichtet und redet, der findet sich nolens volens in dieser virtuellen Tötungskultur wieder, klinisch sauber, reproduzierbar, in der Nähe eines Gefühls von Allmacht beheimatet. Das wirkt wie eine Droge in unserer komplizierten, durchregulierten und zugleich individualisierten Welt. Niemand sollte diese Ebene der Erfahrung unterschätzen und auch nicht unterschätzen, welch moralischer Impuls darin steckt, all das abzulehnen. In manchen Köpfen von Kritikern ist auch die „Joysticker“- Erfahrung vorhanden.
Bundeswehr Parlamentsarmee
Das sind die sicher nicht simplen Tatsachen, die man zur Kenntnis nehmen kann, ohne sich in eine pro- und contra- Diskussion eingebunden zu fühlen. Ich möchte die Eingangs-Schilderung auf unsere Verhältnisse in der Bundesrepublik anwenden. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das Parlament entscheidet über Ausrüstung, Beschaffung, Einsatz. Gott lob gibt es in Deutschland keine gottähnliche Präsidialfigur, der ein Koffer mit den Freigabechiffren für Waffen hinterher getragen wird. Nach allem, was ich erfahre, macht sich unser Parlament mehrheitlich die Aufgabe, „Armee- Parlament“ zu sein, nicht leicht. Es gibt keine Militarisierung der Abgeordneten-Köpfe. Die Parlaments-Armee soll bekommen, was sie braucht, um ihre Aufträge zu erfüllen und um sich zu schützen. Auch in der Frage einer Drohnen-Bewaffnung war das so. Die Diskussion darüber läuft mit unterschiedlicher Intensität seit wenigstens sechs Jahren. Zuletzt hatte sich die regierende Koalition darauf verständigt, Drohnen anzuschaffen, die sich mit Waffen bestücken lassen.
Dies wurde durch den SPD- Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans gestoppt, der kein Parlamentsmitglied ist. Sein Argument: Es sei noch nicht genug und vor allem in der Breite über die Drohnen-Frage gesprochen worden. Die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag folgte ihm, der Sprecher für Verteidigungsfragen, Fritz Felgentreu, legte daraufhin sein Amt nieder. Die TAZ nannte diese Entwicklung „erfreulich“, weil die SPD sich „nicht einfach stumpf vermeintlichen militärpolitischen Notwendigkeiten“ beuge. Die Begründung der SPD-Führung sei hingegen „mau“, gemeint ist schlapp, unzureichend. Das ist insofern aufschlussreich, weil eine Wendung in dieser Frage, sollte die taktisch motiviert gewesen sein, wenig ertragreich wäre. Einen Teil-Pazifismus demonstrieren zu wollen, das nimmt man der Partei nicht ab, die zwischen 1969 und heute fünf Mal einen Verteidigungsminister aufbot.
Länder mit außenpolitischen Ambitionen und Pflichten müssen sich mit dieser Waffen- Entwicklung auseinandersetzen – ob sie wollen oder nicht. Denn sie werden den bewaffneten Drohnen in irgendwelchen Weisen begegnen: Entweder gilt es Drohnen abzuwehren, die töten können oder es wird nach bewaffneten Drohnen gerufen, weil durch sie eigene Kräfte geschützt werden könnten. Ein Abkommen, um den Einsatz bewaffneter Drohnen zu regulieren, zu verringern, einzugrenzen, ist nicht in Sicht. Soldaten der Bundeswehr berichteten, dass sie auf ihren Ausbildungsmissionen in Westafrika mit folgender Situation konfrontiert würden: Banden islamistischer Terroristen würden dabei beobachtet, dass sie sich für einen Überfall auf ein Dorf bereit machten. Beobachtet von unbewaffneten Drohnen der Bundeswehr. Eine solche Situation könne auch für Soldaten der Bundeswehr eintreten. Eingreifen könnten nur Flugzeuge oder Hubschrauber anderer, in dieser Region stationierter Länder – Frankreich und die USA. Während Hilfe für Zivilisten und Unterstützung der Soldaten der Bundeswehr angefordert und herbei geschafft werde, vergehe kostbare, lebensrettende Zeit.
Die Parlamentsarmee Bundeswehr ist heute mit rund 4000 Frauen und Männern auf drei Kontinenten und in 13 Einsatzgebieten engagiert. Deren Soldatinnen und Soldaten sind je nach Mission heute bereits dem Risiko ausgesetzt, sich nicht rasch genug sichern zu können. Dieses Risiko wird in den anstehenden Jahren noch zunehmen. Daher sagen Bundeswehr- Repräsentanten: Man brauche bewaffnete Drohnen. Die Handhabung solcher Waffen wurde mit Blick auf die bevorstehende Anschaffung bis ins Detail abgesprochen, sagen die Frauen und Männer der SPD im Verteidigungsausschuss; unter denen übrigens die Drohnenfrage kein Rechts-links-rechts-Thema ist.
Ein Extra-Weg der Republik
Eine Konsequenz der heutigen Lage wäre, dass die Bundesrepublik kein vollwertiges Mitglied auf völkerrechtlich gebotenen Einsätzen mehr wäre, sondern sich auf Beschaffung, Beobachtung, Transport und Sanitärwesen zu beschränken hätte, weil die Bundeswehr bei darüber hinausreichenden Funktionen passen müsste. Während Drohnen „zunehmend zum festen Bestandteil der Kriegsführung“ würden, müsste die Bundesrepublik einen Extra-Weg einschlagen. Das kann man machen, man muss allerdings wissen, auf was man sich einlässt.
Man behilft sich zurzeit mit einem Kunstgriff: Der Krieg zwischen Aserbeidschan und Armenien sei durch den Einsatz bewaffneter Drohnen faktisch entscheiden worden, heißt es. Das sei ein symmetrischer Krieg zwischen statusgleichen Kräften gewesen. Bisher habe man angenommen, solche Waffen würden vor allem während asymmetrischer Auseinandersetzungen eingesetzt, zum Schutz der eigenen Leute und der Zivilbevölkerung. Und überdies bestehe kein Zeitdruck, weil die bestellten Drohnen sowieso erst 2022 auf Abschussvorrichtungen umgerüstet werden könnten.
Das klingt vernünftig. Aber irgendwann steht sie wieder da, die Frage: Bestmöglicher Schutz der eigenen Soldaten auf gefahrvollen Missionen oder Teil- Pazifismus und Extra- Weg der Bundesrepublik.
Bildquelle: Wikipedia, Rekke, gemeinfrei
Lieber Kollege Klaus Vater,
ich kann Ihrem Fazit, dass nun mal bewaffnete Drohnen „zunehmend zum festen Bestandteil der Kriegsführung“ würden und deshalb die Bundesrepublik keinen „Extra-Weg“ einschlagen dürfe, beim besten Willen nicht zustimmen. Diese Argumentation folgt der Logik des Wettrüstens und gegen diese Logik sind Sozialdemokraten seit der Ära Brandt stets angetreten.
Ich habe mir nun die Anhörungen, die parlamentarischen Anfragen und die Antworten der Bundesregierung angeschaut: Immer ging es um die Drohne als Selbstverteidigungswaffe.
Der Hinweis auf den Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien ist kein „Kunstgriff“ – wie sie verharmlosend schreiben -, sondern war ein Augenöffner. Selbst die Verteidigungsministerin sprach vom „ersten echten Drohnenkrieg in der Geschichte“. Sie hat damit selbst die Diskussion um eine Bewaffnung deutscher Drohnen um eine neue Dimension erweitert. Eine solch erweiterte Debatte wurde bisher weder im Plenum des Bundestages noch in den Medien geführt und sie ist dringend notwendig.
Der bestmögliche Schutz von Soldatinnen und Soldaten besteht im Übrigen darin, sie gar nicht erst in einen Krieg zu schicken. Und wenn die Soldatinnen und Soldaten schon an die Front geschickt werden, haben sie selbstverständlich größtmöglichen Schutz verdient. Aber gerade weil Sie selbst darauf hingewiesen haben, dass selbst unterstaatliche Banden in Besitz solcher bewaffneter Drohnen gelangen und Terror ausüben könnten, wäre es da nicht naheliegend zur Selbstverteidigung erst einmal an eine Abwehrwaffe gegen Drohnen zu denken, statt selbst bewaffnete Drohnen einzusetzen? Üben die eigenen Drohnen eigentlich keinen Terror, das heißt Furcht und Schrecken durch eine permanente über den bedrohten (auch zivile) Menschen kreisende Todesgefahr aus?
Das hypothetische Beispiel das Sie ausmalen, in dem eine bewaffnete Drohne Schutz bieten könnte, hat schon der bisherige verteidigungspolitische Sprecher Fritz Felgentreu bemüht. Gibt es einen konkreten Fall, wo die Bewaffnung unserer Aufklärungsdrohnen, eine Soldatin oder einen Soldaten geschützt hätte? Die vielen Fälle, wo Drohnen zum Angriffsmittel werden und tatsächlich auch schon wurden, werden dabei verdrängt.
Nach den Erkenntnissen aus dem Krieg um Berg-Karabach müssen wir uns fragen, ob der Drohneneinsatz, selbst wenn er zur Selbstverteidigung dienen soll, nicht einen Drohneneinsatz der anderen Seite provoziert. In den letzten Jahren ist es zu einer bedenklichen Praxis des Einsatzes von bewaffneten Drohnen gekommen, die den Rahmen des Völkerrechts überschritten haben. Besteht nicht die Gefahr, dass man auf eine schiefe Ebene gerät und dass die Schwelle vom „Einsatz zum Schutz der Truppe“ hin zur Angriffswaffe nicht allzu leicht überschritten wird? Es sind schon zu viele Menschen durch Drohnen getötet worden – auch Zivilisten.
Wie wird es um ein deutsches Mandat bestellt sein, wenn man in Kooperationen mit anderen Staaten im Kampf ist, die keinen restriktiven Umgang beim Drohneneinsatz pflegen?
Das mit dem parlamentarisch legitimierten Mandat hört sich gut an, aber Völkerrechtler haben zurecht darauf hingewiesen, dass es einen Mangel an rechtlichen Verfahren gebe, um Einsätze, die das völkerrechtliche Gewaltverbot überschreiten, überprüfen zu können.
Die von einem Drohnenangriff betroffenen zivilen Individuen, haben gegen rechtswidrige Einsätze ohnehin keine rechtlichen Möglichkeiten, sich zur Wehr zur setzen, wie sich gerade (am 16. Dezember) vor dem Bundesverfassungsgericht gezeigt hat.
Wird eine Bewaffnung deutscher Drohnen nicht die Gefahr ihrer Weiterverbreitung auch an Staaten erhöhen, die statt Panzer und Kampfflugzeuge künftig Drohnen erwerben? Denn was sind Panzer noch wert, wenn sie zielsicher aus sicherer Entfernung samt Besatzung zerstört werden können? Machen bewaffnete Drohnen Kriege nicht einfacher und senken sie nicht die Hemmschwelle für Angriffe?
Müssten wir angesichts dieser Entwicklung uns nicht zumindest mit gleicher Energie um eine weitere Forderung aus dem Koalitionsvertrag kümmern, nämliche dass Deutschland „künftig für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Drohnen in ein internationales Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintreten“ soll?
Zumindest müsste die Bundesregierung gleichzeitig mit einer Entscheidung über die Bewaffnung von Drohnen alle Anstrengungen auf internationaler Ebene unternehmen, dass es nicht zu einem Wettlauf zur Automatisierung und zur Verselbständigung derartiger Waffensysteme hin zu einer maschinellen Autonomie mit einem Verlust an menschlicher Kontrolle über den Gewalteinsatz – zum Schießen ohne menschliche Entscheidung – kommt.
Solche Fragen haben in der bisherigen Debatte keine Rolle gespielt, zumindest sind sie nicht beantwortet worden. Vor einer Entscheidung über diesen militärtechnologischen und sicherheitspolitischen Umbruch, den die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr darstellt, sollten solche Fragen in einer angemessenen öffentlichen Debatte beantwortet werden und nicht in einer Zeit, die aufgrund der Corana-Pandemie für uns alle schwierig ist und unsere volle Aufmerksamkeit fordert.
Herzliche Grüße
Wolfgang Lieb