Diese 60 Minuten, die eine Talkrunde bei Anne Will dauert, haben am ersten Adventssonntag gereicht, um deprimierend das Totalversagen der Politik in der Corona-Krise zu verdeutlichen. Fernsehen kann eben doch – dieser gedankliche Seitensprung sei erlaubt – sehr viel zum öffentlichen Diskurs beitragen. (Mit herzlichem Gruß an die CDU-AfD-Koalition in Sachsen-Anhalt, die das öffentlich-rechtliche System zerschießen will.)
Zurück zur Sache: „Wie sinnvoll ist Deutschlands Corona-Strategie noch ?“ wollte Anne Will zu Beginn ihrer Fragerunde wissen. Die Antwort, die sich jeder Zuschauer hinterher selbst geben konnte: „Überhaupt nicht mehr“.
Talk-Gäste: CSU-Ministerpräsident Markus Söder, der sozialdemokratische Berliner Bürgermeister Michael Müller und FDP-Chef Christian Lindner. Die drei kann man in der Rückbetrachtung vergessen. Nichts oder wenig Neues von den Vertretern der Politik-Kaste. Die hat ja auch bislang nicht mehr zustande gebracht hat als ein ständiges Lavieren zwischen Verschärfung und Lockerung der Corona-Maßnahmen bei nunmehr gleichbleibend hohen Infektions- und Todesraten. Einzige Ausnahme ein paar Söder-Sätze mit verblüffend ehrlicher Selbstkritik. Dazu am Ende mehr.
Nein, es waren zwei Damen in Anne Wills Runde, die das Versagen der Politik für jedermann verständlich erläuterten: Die Physikerin Viola Priesmann vom Max-Planck-Institut und die Journalistin und intime Asien-Kennerin Vanessa Vu. Bindet man deren Aussagen und Erkenntnisse zusammen, ist der gegenwärtige „Lockdown Light“ geradezu „zynisch“ (Vanessa Vu) und seine Wirkunslosigkeit durch schlichte Mathematik belegt. Allein sinnvoll wäre ein wirklich radikaler Lockdown, bei dem das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bis auf das Notwendigste einer Grundversorgung heruntergefahren wird. Damit könnten die Fallzahlen innerhalb weniger Wochen dermaßen drastisch gesenkt werden, dass danach ein weitgehend normales Leben möglich wäre. Flankiert werden müsste das durch strengste Quarantäne-Regeln für Reisende aus dem Ausland.
Was die beiden Damen in der Talkshow zum Besten gaben, war von geradezu ergreifender Schlichtheit und so einleuchtend, dass man sich fragen möchte, warum unsere Politiker das nicht kapieren wollen. Priesemann: „Die niedrigen Fallzahlen sind viel, viel, viel besser kontrollierbar.“ Hörte die Politik endlich auf kenntnisreiche Epidemiologen, ließe sich die Infektionswelle mit einem „kompletten Lockdown“ in rund drei Wochen brechen. Stattdessen stünden in der Politik unterschiedliche Lager „gegeneinander“. Sarkastisch sekundierte Vanessa Vu: „Ich brauche meine Böller, ich brauche meine Fußballspiele.“
Asiatische Länder machten es doch vor – nicht nur Vietnam, China und andere totalitäre Staaten, sondern auch Demokratien wie Japan, Südkorea oder Taiwan. Dort sei Corona faktisch besiegt, es gebe nur sehr wenig Infizierte und sehr wenig Tote. Das seien die Erfolge eindeutiger, einheitlicher und strikter Maßnahmen. Die allerdings würden auch einleuchtend kommuniziert. „Da wird nicht gemeckert“; das dann als Breitseite gegen Bürger, die schon den Untergang von Demokratie und Abendland beweinen, wenn sie für eine Zeit auf – zugegeben – sehr viel verzichten müssen. „Hier“, so Vanessa Vu weiter, „stolpern wir von einem Bund-Länder-Gipfel in den nächsten. Das führt zu einer wahnsinnigen Verwirrung der Bevölkerung.“
Bei einer solchen Diskussion möchte man geradezu wehmütig daran erinnern, wie vehement und letztlich erfolglos die Kanzlerin und – merke ! – Naturwissenschaftlerin Angela Merkel frühzeitig schärfere und eindeutigere Maßnahmen gegen Corona durchsetzen wollte. Aber immer wieder wurde sie von Ministerpräsident*innen ausgebremst, weil die sich mit Sonderregelungen und Lockerungen bei ihren Wählern ranschmeißen wollten. Ganz vorne bei den Aufweichern NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der gerne CDU-Chef und Kanzlerkandidat werden möchte. Akzeptiert man die Lehren aus Anne Wills Talkshow, kann man Laschet eine gehörige Mitschuld daran vorwerfen, dass wir jetzt schier endlos in der Corona-Schleife gefangen sind. Geradezu ein politischer Treppenwitz ist es, wenn jetzt ausgerechnet dieser Ministerpräsident neue Konzepte im Kampf gegen Corona fordert mit dem Satz: „Noch ein weiteres Jahr wie dieses halten Gesellschaft und Wirtschaft nicht durch.“
Und jetzt doch noch mal – wie eingangs angekündigt – zurück zu Markus Söder. Der resümierte, „die zehnstündigen Ministerpräsidentenrunden sind nicht vergnügungssteuerpflichtig“, weil jeder erstmal für sich ein Schlupfloch suche. Und dann: „Ich glaube, wir streiten einfach zuviel.“
Und das, diese Anmerkung sei erlaubt, kostet dann eben verdammt viele Menschenleben.
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