„Der klagende Held“, überschrieb „ZeitOnline“ die Geschichte über Friedrich Merz, weil der sich wieder einmal ungerecht behandelt fühlte. Und deshalb gegen das sogenannte Partei-Establishment wetterte und diesem vorwarf, man wolle den für den Machtausgang entscheidenden Parteitag der CDU nur deshalb hinauszögern, weil der angeblich augenblickliche Favorit für das Amt des CDU-Chefs-und später des Unions-Kanzlerkandidaten und noch später Kanzlers- eben dies nicht werden solle. Der selbst erklärte Favorit heißt natürlich Friedrich Merz. Und weil er seiner Wut so richtig freien Lauf ließ, was seine Chancen innerhalb der Union nicht vergrößert haben wird, titelte der „Spiegel“ in seiner Audiostory: „Merz hat den Charaktertest nicht bestanden.“ Richtig ist, dass der Kandidat für den CDU-Vorsitz- einer neben Armin Laschet und Norbert Röttgen- anscheinend alle, die gegen ihn sind, öffentlich bekämpfen will. Taktisch klug ist das nicht. Eher finden sich seine Kritiker in der Einschätzung des Sauerländers bestärkt, er sei ein rachsüchtiger älterer Mann, der nur deshalb noch einmal die politische Bühne betreten habe, um Angela Merkel zu beerben, jene einstige CDU-Vorsitzende und Immer-Noch-Kanzlerin, die ihn damals weggedrückt(unfreundlicher ausgedrückt: weggebissen) habe als Fraktionschef der Union und damit aus der Polit-Laufbahn geworfen habe. Am Mittwoch wird dieser Friedrich Merz 65 Jahre alt.
Um mit Merkel zu beginnen: Tatsächlich hat die damalige CDU-Chefin Angela Merkel in Absprache mit CSU-Chef Edmund Stoiber ihren Anspruch auf den Unions-Fraktionsvorsitz angemeldet. Das war wohl eines der Ergebnisse ihres gemeinsamen Frühstücks in Wolfratshausen im Jahre 2002, bei dem sie dem bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber die Kanzlerkandidatur auf dem Tablett servierte. Merz, der Amtsinhaber, verzichtete auf eine Kandidatur als Chef der Fraktion der Union und machte damit den Weg frei für Merkel. Er hätte seinen Hut in den Ring werfen können, so mächtig war Merkel damals noch nicht, dass eine Kampfkandidatur chancenlos gewesen wäre. Egal, seit dieser Zeit hält sich die Mär, Merkel habe ihn wie andere Gegner aus der CDU „weggebissen“. Aber es hält sich auch der wenig schmeichelhafte Eindruck über Merz: Er sei feige und habe die Arena kampflos verlassen.
Verbale Rundumschläge
Man könnte nun die Frage stellen, wie Angela Merkel auf Merzens Wut-Attacke gegen das Establishment reagiert habe. Die Antwort kennt nur sie selbst, nie würde sie sich eine solche Blöße gegeben haben, wie es Friedrich Merz getan hat. Merkel weiß, dass solche verbalen Rundumschläge nicht beliebt sind, dass man damit nicht punkten kann. Ein kluger Merz hätte geschwiegen und auf andere Art versucht, seine Lage innerhalb der Union zu verbessern. Denn darum geht es. Die über 1000 Delegierten wählen den neuen CDU-Vorsitzenden, ein Amt, das frei wurde, weil die Merkel-Nachfolgerin Annette Kramp-Karrenbauer, zugleich Bundesverteidigungsministerin, vor Monaten ihren Verzicht auf den Vorsitz oder besser Rückzug vom Vorsitz erklärt hatte. Kann sein, dass sie sich überfordert fühlte, möglich, dass sie sich zwischen vielen Stühlen wähnte, nicht ausgeschlossen, dass sie nicht klarkam mit dem Amt, weil die einstige Vorsitzende Merkel weiterhin Bundeskanzlerin geblieben ist und damit weiter die entscheidenden Zügel der Politik in der Hand behält.
Merz hätte, stillschweigend natürlich, von Merkel in all den Jahren lernen können, wie man mit Intrigen aus Hinterzimmer-Gesprächen umgeht, wie man sich verhält, wenn immer wieder die Presse mit Geschichten bedient wird, dass sie es eigentlich nicht könne, weil sie aus dem Osten sei, evangelisch, geschieden, ohne Kinder, ohne Hausmacht. Diese unschönen Dinge konnte Merkel über Jahre über sich in den Zeitungen lesen, sie stammten aus CDU-Quellen, aus der Fraktion, aus Kreisen von CDU-Ministerpräsidenten. Sie hat sie ertragen und sie hat sie alle überlebt, die sich für besser hielten. Ihre einstigen Widersacher, die am Wahlabend 2005 auf der Lauer lagen, die Kochs und andere, weil Merkel ein eher bescheidenes Wahlergebnis gegen Gerhard Schröder erzielt hatte, der aber in der Fernsehrunde dann mit Merkel derart laut abrechnete, dass Merkel davon profitierte, weil sich die Unions-Reihen hinter ihr schlossen. Seitdem ist sie Kanzlerin und war bis vor Jahr und Tag CDU-Chefin. In einem Jahr will sie abtreten. Augenblicklich erlebt sie eine Zeit, in der sie sich vor Lob kaum noch retten kann. Selbst einer, der sie vor Jahren noch heftig attackiert und von einer „Herrschaft des Unrechts“ geschimpft hatte, Horst Seehofer, hat kürzlich für eine weitere Amtszeit von Merkel plädiert. Sie wird es nicht machen. Hat sie klar und deutlich betont.
Erfolgreicher Geschäftsmann
Aber das ist nicht der Stil von Merz. Er überragt viele seiner Kollegen und Kontrahenten an Körperlänge, aber wirkliche Größe hat er bisher nicht gezeigt. Er hat, als er die Politik verließ und Merkel und anderen das Regieren überließ, erfolgreiche Geschäfte gemacht, ist zu einem Millionär aufgestiegen, besitzt zwei Flugzeuge. Hut ab! Kein Grund, neidisch zu sein. Aber zu glauben, er könne nach all den Jahren, wo er den Politik-Betrieb von außen betrachtete und gelegentlich kritisierte, sich mal eben zurückmelden: Hallo, hier bin ich wieder, Euer Friedrich Merz. Ich will der neue CDU-Chef und Kanzler werden. Dies funktioniert so nicht, auch wenn er gerade die Zustimmung von Teilen der Jungen Union erhalten hat. Die aber stellt nur einen Teil der Parteitags-Delegierten. Ähnlich verhält es sich mit dem Wirtschaftsrat, der ihm und seinen Ideen nahesteht. Was Friedrich Merz abgeht, hat er gerade wieder bewiesen, als er eingestand, dass er mit einem Trump zurecht käme. Der kluge Armin Laschet, einer der beiden Kontrahenten um den CDU-Vorsitz, ließ sich dazu nicht vernehmen, weil es sich um eine inneramerikanische Angelegenheit handelte und um ein laufendes Verfahren. Aber so ist Merz, kein Brückenbauer, wie Laschet, keiner, der auf andere zugeht, sie für sich gewinnen will, indem er ihnen zuhört.
Er werde sich nicht zermürben lassen, hat er klagend betont und dabei seine für ihn typische „grimmige Fröhlichkeit“(ZeitOnline) gezeigt, die nur belegt, was seine Kritiker betonen, „dass er ein rachsüchtiger älterer Mann ist, der aus der Zeit und nun auch noch aus der Rolle gefallen“(ZeitOnline) sei. Quasi wie Trump im Ich-Modus. Ich gegen die. womit ich nicht behaupten will, dass Merz ein Trump ist. Nein, es gibt keine Verschwörung gegen Merz, aber nicht wenige in der CDU, denen er erneut Gründe geliefert hat, warum sie ihn ablehnen. Und da sollte er Leute wie den Hessen Volker Bouffier-Ministerpräsident- nicht unterschätzen, auch nicht die Kanzlerin, die Amtsinhaberin Kramp-Karrenbauer, auch nicht einen wie Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister kandidiert nicht selbst, sondern als Beifahrer von Armin Laschet.
Mit einem Vorsitzenden der CDU Merz liefe die Partei Gefahr, ihren Charakter der Volkspartei zu verlieren. Konservativ zu sein, das gehört zur Union dazu, aber das Soziale darf nicht fehlen. Mit Merz wäre das aber sehr schwer zu verkaufen, weil er dazu neigt, zu polarisieren und die CDU in Lager zu spalten. Gerade hat er sein neues Buch von Christan Lindner(FDP) vorstellen lassen. Das hätte ich nicht getan. Lindner spielt in Berlin nur noch eine Rolle ganz am Rande. Selbst in der eigenen Partei hat er kaum noch etwas zu melden. Dass das so ist, hat er sich selber zuzuschreiben. Mehr Markt, mehr Wirtschaft, dabei hat der freie Markt in der Pandemie seine Schwächen gezeigt, weil plötzlich wichtige Produkte nicht mehr im Lande zu bekommen sind. Der Ruf nach der deutschen Apotheke, die alles hat, wurde laut. Der starke Staat ist wieder gefragt, der den Rahmen setzt. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft fürs Gewinnen zuständig ist, gemeint auch das Abkassieren, während der Steuerzahler die Verluste ausgleicht. Ein System stellt sich doch selbst infrage, wenn nach jahrenlangem Aufschwung ein Fünftel der Arbeitnehmer zu Niedriglöhnen schuftet, wenn die Altersarmut in einer Stadt wie Bonn-nur als Beispiel- zunimmt. Das passt doch alles nicht zusammen. Mehr Eigenverantwortung, mehr Leistung, Verzicht- mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger ziehen da nicht mit, sie empfinden Forderungen nach mehr Privatisierung als kapitalistische Parolen, weil sie spüren, dass der soziale Ausgleich nicht mehr funktioniert. Die Reichen werden immer reicher, ein paar Dutzend Superreichen gehört mehr als 40 Millionen Bundesbürgern.
Buch voller Floskeln und Leerformeln
Das neueste Merz-Buch hat übrigens den Titel:“ Neue Zeit. Neue Verantwortung. Demokratie und Soziale Markwirtschaft im 21. Jahrhundert“. In der SZ wurde das Werk beschrieben. Die Überschrift sagt alles: „Der Gebrauchtsatz-Händler.“ Floskeln, Leerformeln nahezu überall. Beispiel: „Auch in dieser Krise entstehen Chancen.“ Nummer zwei: „Die deutsche Geschichte ist eine Geschichte der Höhen und Tiefen.“ Eine weitere fundamentale Erkenntnis, die der Autor den Lesern mitteilt:“Nichts ist so gut, dass es nicht besser werden kann.“ Der SZ-Rezensent räumt ein, dass es vielleicht ungerecht sei, Friedrich Merz den Vorwurf zu machen, „er trete vor allem deshalb an, weil er noch eine Rechnung mit Merkel, der CDU und sich selbst offen habe.“ Aber dass dieser Eindruck da ist, dafür hat Merz selber gesorgt. In Meinungsumfragen hat er an Zustimmung eingebüßt. Die meisten Anhänger findet Merz laut einer Civey-Umfrage für den „Spiegel“ bei den Anhängern der AfD-55,2 vh- und der FDP- 56,8 vh. Bei der CDU-CSU beträgt dieser Anteil nur 33,4 vh. In dieser Umfrage rangiert Armin Laschet hinter Merz, Spahn und Röttgen. Fragt man nach dem Kanzlerkandidaten, müssten eigentlich alle CDU-Kandidaten verzichten. Hier liegt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit 40,3 vh klar vor Merz mit 18,6 vh, Spahn, der ja nicht antritt, kommt auf 10,8 vh, Norbert Röttgen auf bescheidene 4,7 vh und der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet nur auf 4,1 vh.
Fragt man nach der Beliebtheit der Parteien, liegt die Union stabil bei rund 38vH . Merz weiß das zu erklären, das hänge mit der Beliebtheit von Angela Merkel zusammen, die aber in einem Jahr weg vom Fenster sei. Aber wenn das so ist, frage ich mich, warum er nicht versucht hat, diese Merkel-Politik zu seiner zu machen, diese Politik der ruhigen Hand, der nötigen Zurückhaltung, der Bescheidenheit im Auftreten. Schwäbische Hausfrau hat man sie auch genannt. Noch einmal zitiere ich die „Süddeutsche Zeitung“: Merz fehlt, was Merkel hat.
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