Wir spielen das Spiel einmal durch. Es geht so: Treffen sich fünf Menschen, die für den Blog der Republik schreiben, um etwas zu besprechen. Sie treffen sich in einem Raum, hübsch voneinander getrennt. Diese fünf haben – vorsichtig gerechnet – an jedem der letzten sieben Tage jeweils und im Schnitt 10 berufliche, familiäre oder sonstige Kontakte gehabt. Wiederholte Treffen mit derselben Person sind bereits abgezogen. Das macht in der Summe 350 Kontakte während dieser sieben Tage.
350 Kontakte. Jede einzelne dieser 350- Kontaktpersonen hatte während der letzten sieben Tage ebenfalls täglich Kontakte. Lege ich wie oben die Zahl 10 hierbei zugrunde, dann sind das bereits 24 500 Kontakte. Legte ich hingegen Durchschnittswerte zugrunde, die Gesundheitsämter nennen (20), verdoppelte sich die Gesamtzahl auf etwa 48 000. Mit Blick auf dieses Geschehen ist – wiederum vorsichtig geschrieben – nicht auszuschließen, dass sich darunter 1 oder mehrere mit dem Cov2- Virus Infizierte befunden haben.
Was ich hier aufgeschrieben habe, das ist eine Art „Modellchen“, mehr nicht. Es zeigt lediglich, dass die abstrakte Inzidenzzahl von 100 Infizierten auf 100 000 Einwohner etwas mit jedem und jeder von uns zu tun hat.
Sie halten diese „Modellchen“ für Kappes? Okay, in Ordnung. das nehme ich hin. „Zur Strafe“ dafür mache ich die weitere Geschichte etwas komplizierter und (noch) näher an der Realität liegend. Ich frage:
Welche Faktoren sind für das Infektionsgeschehen relevant?
Zuerst einmal die Frage: Finden Kontakte im Raum statt oder draußen – ohne Begrenzung durch Boden, Wände und Decke.
Dann kommt es auf die Anzahl der Personen an, die in einem Raum miteinander diskutieren, laut reden, lachen.
Ferner kommt es auf die Dauer der Anwesenheit in diesem Raum an.
Die durchschnittliche Distanz der Personen zueinander spielt eine große Rolle: Das Soll sind 1,5 Meter. Sie können selbst am besten beurteilen, wie oft Sie diese 1,5 Meter im Verlauf eines Treffens unterschritten haben.
Die Zahl der Bewegungen. Rasche Bewegungen oder langsame Bewegungen der Körper.
Die Raumtemperatur.
Außerdem: Ständiger Schutz durch Maske oder lediglich zeitweise. Und die Qualität des Schutzes durch Masken.
Stehende Luft im Raum, ständiger Luftzug, zeitweiliges Lüften.
Unsere Aufmerksamkeit lässt erfahrungsgemäß nach, wenn wir den einen Raum verlassen, um in einen andern zu gelangen, wenn wir uns verabschieden etc.
Und dann hängt das weitere Geschehen davon ab, ob im Raum eine infizierte Person war und mit welcher Viruslast sie ausgestattet war; also wie viele Viren sie von sich geben konnte.
Schließlich: Wie viele Personen waren im Raum, die zu Risikogruppen zählen wie zum Beispiel ältere Menschen mit chronischen Atemwegs Erkrankungen.
Ich könnte das nun weiter „verfeinern“.
All das hat jedenfalls Bedeutung. Angewandte Mathematik sozusagen. Ach ja, ich hatte vergessen zu erwähnen, dass auch eine solche Fünfer-Begegnung wie zu Beginn beschrieben, durchaus Teil des dynamischen Prozesses sein oder werden kann, der am Ende dazu geführt hat, dass nun alle 24 Stunden an die 20 000 Neuinfizierte gezählt werden. Die Dinge hängen eben alle miteinander zusammen.
Gibt es eine grundlegende Bedingung zum Begreifen dieses Geschehens? Ja, die gibt es.
Es ist die Einsicht in das dargelegte hochkomplexe Geschehen. Ich weiß, dass sich das besserwisserisch liest, es ist aber keineswegs so gemeint.
Wir müssen uns von der Vorstellung trennen, es mit einer simplen Situation zu tun zu haben, die uns eigentlich nur am Rande berührt, weil Fehler ja nur die anderen begehen. Wir stehen mit all unseren Gewohnheiten und Eigenheiten also nicht außerhalb des Geschehens wie die Astronomen auf dem Mount Palomar, die ferne Sterne besichtigen; wir sind mittendrin.
Ist uns das klar, sollten wir den nächsten Schritt tun: Wir sind mittendrin aber unterschiedlich von diesem komplexen Geschehen betroffen. Da gibt es diejenigen, die heute Tag für Trag zur Wertschöpfung beitragen, die in Betrieben und Dienstleistung Verantwortung tragen oder welche mit wichtigen Mandaten, die zu Kontakten gezwungen sind. Das unterscheidet die von jenen, etwa Rentner und Rentnerinnen, die ihre Kontakte leichter einschränken können. Andere haben Geld ausgegeben, um ihr Geschäft endlich weiter betreiben zu können. Das heißt: Wir sind in unterschiedlicher Weise betroffen, es sind also unterschiedliche Betroffenheiten und reale materielle Interessen mit im Spiel.
Die eingangs begonnene Geschichte/das „Modelchen“ spielt sich in einem Raum ab. Sobald ich den Raum „auflöse“, löst sich die Geschichte auf. Das heißt: Wenn möglichst viele Räume leer und möglichst viele Übergänge von hier nach dort unterbleiben, kann das Geschehen abbrechen. Sonst geht die Geschichte weiter, läuft unser Spiel bis zu einem sehr bitteren Ende.
Ab einem bestimmten Punkt des Geschehens gibt es nur noch einen „Schuss“, wenn man will, dass
- die erforderlichen Gesundheitsleistungen weiterhin für alle erbracht werden können,
- die Anzahl der Toten möglichst niedrig bleibt und
- wenn man will, dass ein besserer Zustand bald wieder erreicht werden kann.
Der einzige „Schuss“? Das ist die radikale Reduzierung der realen und heute möglichen Begegnungen/Kontakte. Man kann alles andere durch-buchstabieren. Es funktioniert nicht.
Die Pandemie selber ist Gegenstand von Irrtümern, voranschreitenden Lernens und unterschiedlicher Interessen. Die Frage, ob es eine Zweite Welle geben werde, wurde noch im Juli /August unterschiedlich beantwortet: Nur keine Hysterie. Der KBV-Vorsitzende Gassen (FDP-nahe dem Vernehmen nach) hat noch vor einigen Wochen bei Plasberg gegen Merkels 19 000 Fälle pro Tag polemisiert.
Der neueste Dreh ist: Lasst uns die besonders Gefährdeten gut schützen, dann können wir auf den lückenlosen Verfolg einzelner Infektionsketten verzichten. Der erwähnte KBV-Vorsitzende regte Nachbarschaftshilfen an. Darauf hat der Blog der Republik bereits vor Monaten aufmerksam gemacht. Auch das funktioniert nicht. Weil dem Virus die Absichten der Gassen und anderer gleichgültig sind. Und weil die Chance darin besteht, das Infektionsgeschehen herunter zu bringen und vier Wochen Zeit „zu kaufen“. Die müssen nun genutzt werden, bevor die Versorgung mit nötigen Gesundheitsleistungen wegen Überlastung nicht mehr möglich ist. Die Zeit läuft.
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