Öffentlicher Druck contra sachlich Richtiges – das geht heute nicht mehr gut aus. Zurzeit entwickelt sich enormer öffentlicher Druck gegen das System der Fallpauschalen in den Krankenhäusern. Die Krankenhauspflege wurde bereits aus dem Fallpauschalen- System genommen, die stationäre Versorgung von Kindern wird folgen. Ob das reicht, den Druck zu verringern, weiß heute niemand. Das Gegen-System zu den Fallpauschalen ist die Kostenerstattung: Bezahlt wird, was nachgewiesen und verlangt wird.
Gegenwärtig laufen 38,6 Prozent vom Bruttoeinkommen für Sozialbeiträge durch die Gehaltsabrechnung. Steigt der Beitrag zur Rentenversicherung in den nächsten Jahren um anderthalb bis zwei Prozentpunkte, steigen die Beiträge zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung auch nur geringfügig, werden die 40 Prozent deutlich überstiegen. Zusammen mit der durchschnittlichen Lohnsteuer auf ein Durchschnittseinkommen (in der Steuerklasse I mit Sicherheit) werden 60 Prozent vom Brutto erreicht. Das ist alles andere als politisch und sozial tragfähig.
Der nächste große öffentliche Druck wird beim bedingungslosen Grundeinkommen entwickelt. Anderthalb Millionen Bewerberinnen und Bewerber soll es für 120 „Plätze“ in einem Experiment geben, im Verlauf dessen drei Jahre lang 1200 € für diese 120 Menschen finanziert werden. Das wird funktionieren und nach diesen drei Jahren wird es viele Stimmen geben, die sagen: Mein Leben ist leichter geworden, ich hab geschafft, was ich mit Hartz IV beziehungsweise Grundsicherung nie geschafft hätte.
Rechnen wird dann zu einer konservativen Grundeigenschaft.
Brutto – vor Abzug wegfallender Leistungen auf der Grundlage von Rechtsansprüchen – müssen mehr als tausend Milliarden Euro (also mehr als eine Billion) pro Jahr verdient werden, damit ein Modell wie es eine Gruppe um die Linken- Vorsitzende Katja Kipping seit Längerem vertritt, finanziert werden kann. Etwa 65 bis 70 Prozent des kompletten Staatsverbrauchs würden dann in diese Grundeinkommen fließen. Investitionen, Förderung jeglicher Art, Gehälter der Staatsbediensteten, Pensionen (sofern keine ausreichenden Rücklagen gebildet wurden), Infrastruktur und EU-Mittel, vom Klimaschutz und Öko-Wende ganz zu schweigen – all das müsste aus den restlichen 35 Prozent bezahlt werden.
Finanzieren wollen Kipping und ihre Mitstreiter das durch eine Grundeinkommens-Steuer von bis zu 33 Prozent, eine Steuer der Superreichen von 2,5 Prozent auf deren Vermögen und die Einkommensteuer, die je nach Einkommenshöhe zwischen fünf und 25 Prozent liegen soll. Die Rentenversicherungsbeiträge würden im Gegenzug kräftig sinken, weil das Grundeinkommen die Rente vielfach ersetzt. Hinzu kämen dann noch Krankenkassen und Pflegebeitrag, Wohngeld, Kindergeld, soziale Grundsicherung und anderes fielen weg.
Vielleicht kämen die Bürgerinnen und Bürger auf die lange Sicht gesehen beim Vergleich Leistungen und Lasten irgendwie pari raus; läge dazwischen nicht ein schier unübersteigbarer Berg – und zwar die auf persönlichen Rechten gründenden Ansprüche von Menschen gegen den Sozialstaat –höhere Renten, Pensionen, Zusatzversorgungen etc. Die lassen sich nicht einfach umwandeln oder streichen. Tatsächlich müsste eine Generation zwei Systeme finanzieren: Das auslaufende alte System und das einsetzende neue System. Es würden rund 700 Milliarden € zusätzlich jedes Jahr finanziert werden müssen.
All das wissen clevere Befürworter der Grundeinkommen längst. Sie sind aber bereit, der „Vision“ wegen den Ausbruch aus dem Sozialstaat zu wagen. Bleibt der Scholz-Vorwurf des Neoliberalismus. Der Vorwurf ist in etwa so gravierend wie im Mittelalter der Verdacht, mit Hexen auf dem Blocksberg unzüchtig getanzt zu haben. Der Bonner Alanus-Hochschul- Professor Liebermann kommt der Geschichte näher: Dem Bonner General-Anzeiger sagte der Befürworter des Grundeinkommens, dass das Verhältnis der verschiedenen Ausgaben Positionen im neuen System immer wieder nach Prioritäten auszutarieren seien. Da werde ich sehr hellhörig. Wer tariert da was aus? Löhne und Gehälter nach dem Aufkommen aus neuen und alten Steuern? Liebermann bleibt vage. Richtig ist, dass die Tarifautonomie unter solchen Bedingungen der Prioritätensetzung nicht mehr funktionieren kann. Ich schätze freilich, dass das heutige Visionäre nicht beeindrucken wird.
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