Es hat mich nicht gewundert, dass Hans-Jochen Vogel, der gerade auf dem Friedhof von München-Bogenhausen beerdigt wurde, selbst nach seinem Tode das letzte Wort behielt und es von seiner Frau Liselotte verlesen ließ. Er wusste, dass sein Leben zu Ende ging, also diktierte er dem Sohn eine letzte Erklärung, mit der die Trauerfeier am Gasteig beendet wurde. “ Sorgen Sie dafür, dass Deutschland bleibt, wofür wir gekämpft haben.“ Das war sein Vermächtnis an die Adresse aller Demokraten, auch und besonders an die seiner Partei.
Dem anwesenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier dürften die letzten Worte des großen Sozialdemokraten Vogel gefallen haben. Hat doch das deutsche Staatsoberhaupt, dessen SPD-Mitgliedschaft während seiner Amtszeit als Bundespräsident traditionell ruht, selbst mehrfach die Demokraten im Lande angesprochen, für den Erhalt der Republik, für den Bestand des parlamentarischen Systems zu kämpfen. Von ihm stammt der Satz: „Demokratie braucht Demokraten.“ Nichts kommt von ungefähr, wir alle müssen aufpassen, dass Rechtspopulisten, Neonazis, Fremdenfeinde, Antisemiten nicht die Oberhand gewinnen. Sie, die das System hassen und deren entscheidende Repräsentanten verachten, dürfen keinen Erfolg haben.
Der Feind steht rechts. Der Satz könnte auch von einem wie Hans-Jochen Vogel sein. Er stammt aber vom Reichskanzler Joseph Wirth, dem Vertreter des linken, sozialpolitischen Flügels der Zentrumspartei, gesprochen nach dem Attentant auf Walther Rathenau 1922, den die Nationalisten damals verächtlich attackiert und durch Spottverse zu seinem Mord aufgerufen hatten. Vogels Worte, das Erbe der Alten zu bewahren, sind als Mahnung an alle zu verstehen. Gerade eine Partei wie die SPD, die in ihrer berühmten Geschichte es mit vielen Feinden zu tun hatte, die ihre Repräsentanten verfolgte, einsperrte, folterte und tötete, mit Feinden, die die Partei immer mal wieder verboten hatte, muss diesen Kampf gegen die Feinde unserer parlamentarischen Demokratie aufnehmen.
Mein Gott, wir haben doch eine Geschichte, lautete ein Satz, den Hans-Jochen Vogel in seinem langen Leben immer wieder sagte, wenn er angesprochen wurde auf Existenznöte der SPD. Und die SPD steckt seit Jahr und Tag in ihrer schwersten Krise. In Umfragen wird sie nur noch als Nummer drei angeführt, hinter der Union, den Grünen und nur knapp vor der AfD. „Sorgen Sie dafür, dass Deutschland so bleibt, wofür wir gekämpft haben.“ Vogel hat die Nazis erlebt, er war im Krieg in Italien, er hat die Schrecken der Nazi-Diktatur nie vergessen, den Holocaust, die Verfolgung von Andersdenkenden, das Außerkraftsetzen von Recht und Gesetz, die Willkür-Herrschaft. Sorgen Sie dafür.. Anwesend waren von Seiten der Sozialdemokraten das neue SPD-Führungs-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Vizekanzler und vielleicht Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey, Justizministerin Christine Lambrecht sowie Münchens OB Dieter Reiter. „Sein Leben stand ganz im Dienst der Menschen“, betonte Walter-Borjans in seiner Rede. „Er hat vorgelebt, was es wert ist, eine Haltung zu haben.“ Mehr Gerechtigkeit, das gehörte zu den Zielen Vogels. Führen heißt dienen, war Vogels Linie. Dienen dem Volk, der Partei, in dieser Reihenfolge. Er profilierte sich nie zu Lasten der SPD, die eigene Karriere war nie sein Ansporn. „Wir sind dankbar für sein Lebenswerk“, so Walter-Borjans.
Die SPD könnte viel von Hans-Jochen Vogel lernen, wenn sie ein paar seiner Gedanken und Leitlinien befolgte. Wenn sie den Worten bei der Trauerfeier Taten folgen ließe, wenn sie Geschlossenheit demonstrierte, die ganze SPD, die Führung der Partei, der Fraktion, die Minister in der Groko, alle Sozialdemokraten im Bund, in den Ländern und in den Kommunen. Wenn sie ihr Augenmerk auf die Sorgen und Nöte von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern richtete, sich kümmerte um Löhne und Mieten, um Bildung und Ausbildung gerade der Kinder von Familien, die nicht in den besten Vierteln der Republik zu Hause sind. Hans-Jochen Vogel war ein Vorbild für sie alle, ein großer Deutscher, der zudem durch seine Selbstbeschränkung und Integrität glänzte.“Vielen Dank für Ihr Engagement“, zitiert die SZ aus dem Kondolenzbuch. „So müsste die heutige SPD sein!“
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