Ein Befreiungsschlag? Das glückliche Ende eines Dramas, in dem der „Spiegel“ sich auf offener Bühne über Monate selbst zerlegte? Nein, mit der Entlassung von Wolfgang Büchner ist der Vorhang höchstens für einen Akt im Spiegel-Drama gefallen. Die strukturellen Probleme, die das führende deutsche Magazin hat, sind mit der viel zu spät gefällten Entscheidung über Büchners Zukunft nicht gelöst.
Man kann diese „Spiegelstory“ auf drei verschiedene Arten lesen. Als ein Personenstück über die Schlangengrube in der Hamburger Ericusspitze. Als letzte Warnung dafür, dass der deutsche Magazinjournalismus ums Überleben kämpfen muss. Und schließlich als Lehrstück über die ungeklärte Frage, ob und wie Print und Online zusammenpassen.
Das Elend in dem Personenstück begann damit, dass sich Büchner mit der Redaktion schon angelegt hatte, als er als Chefredakteur zwar berufen war, aber seinen Job noch nicht angetreten hatte. Mit der Berufung von „Bild“-Mann Nikolaus Blome zum Leiter des Berliner Spiegel-Büros und zum stellvertretenden Chefredakteur brachte Büchner nicht nur die „Spiegel“-Truppe gegen sich auf, sondern zeigte, dass er den Spirit der Spiegelleute, für die Diekmanns „Bild“ mit Journalismus nur wenig zu tun hat, nicht verstanden hatte. So war Büchner noch gar nicht in Hamburg, als bereits über einen Nachfolger spekuliert wurde und zum Kampf aller gegen alle geblasen wurde. „Spiegel“-Gesellschafter gegen Mitarbeiter KG, Chefredakteur gegen Ressortleiter, Print-Spiegel gegen Spiegelonline.
Namen für die Nachfolge Büchners wurden genannt; einmal soll „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo fast an der Angel gewesen sein, dann aber angeblich bei einem Gespräch mit dem Gesellschafter Jacob Augstein abgeschreckt worden sein. Ein weiterer Akt im Personenstück: Geschäftsführer Ove Saffe hielt an Büchner fest, weil er ihn geholt hatte. Büchners Scheitern bedeutete auch Saffe`s Scheitern. So kam es dann auch: Nur, Büchner ist Ende des Jahres weg, Saffe darf noch bis Mitte des nächsten Jahres bleiben. Seit gestern nun atmen alle durch und hoffen, dass Brinkbäumer, seit 1993 beim Spiegel, als neuer Chef Ruhe in den Laden bringt und die verfeindeten Lager befriedet.
Lesart zwei: Dem früher als dpa-Chef durchaus erfolgreichem Büchner ist vom „Spiegel“-Establishment, von den mächtigen Ressortleitern und Besitzstandswahrern der Mitarbeiter KG lediglich der schwarze Peter zugeschoben worden, weil sie wissen, dass es mit der alten Durchschlagskraft des „Spiegel“ vorbei ist, aber keine Antwort darauf haben, wie Magazinjournalismus bei den Lesern wieder interessant gemacht werden kann. Da stehen sie nicht allein da. Der „Stern“ sucht im Leserschwund taumelnd nach einem neuen Konzept. Beim „Focus“ geht es steil nach unten. Und wie beim „Spiegel“ hat man auch dort mit dem schnellen Austausch der Chefredakteure gehofft, das Ende der Talfahrt stoppen zu können. Geholfen hat es nichts.
Und schließlich die dritte und vermutlich entmutigendste Lesart: Ratlosigkeit darüber, wie sich Print und Online erfolgreich verzahnen lassen. Die Lehrmeinungen darüber gehen diametral auseinander. Der ehemalige Zeit-online-Chef und heutige „Guardian“-Direktor für Digitalstrategie, Wolfgang Blau, ist überzeugt, dass sich die Angebote im Netz und im Print nicht über einen Kamm scheren lassen, dass es unterschiedliche journalistische Ansätze sind und dass jeweils andere Nutzerschichten zu bedienen sind.
In der „Süddeutschen Zeitung“ zum Beispiel sieht man das anders. Vom nächsten Jahr an sollen Online-Redaktion und die Redaktion der gedruckten SZ in einen Topf geworfen werden und miteinander beide Produkte bedienen. Ein Konzept, das Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des „Standard“ vor zwei Jahren bei dem führenden österreichischen Blatt eingeführt hat und mit dessen Ergebnissen sie zufrieden ist. Aber ist auf dem härter umkämpften deutschen Markt erfolgversprechend, was sich in der beschaulicheren Szene in Österreich trägt?
Bevor nicht klar ist, ob aus der Kombination von Print und Online ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt werden kann, wird der Markt taumeln, wird auch der „Spiegel“ jenseits von irgendwelchen Chefredakteursnamen nicht zur Ruhe kommen.