Herrenchiemsee, weißblau der Himmel, kleine Wölkchen verzieren ihn nur, rundherum die Bergwelt majetätisch, wie für eine Königin gemacht. Erbaut von Ludwig II. Klein-Versailles sollte es werden, ein Bau mit viel Marmor, Gold, nicht alles echt, aber spielt das eine Rolle, wenn Angela Merkel zu Besuch ist mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der als bayerischer Finanzminister schon mal Herr aller Schlösser im Freistaat war ? Das war gestern. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte mehrdeutig: „Du willst es doch auch“. Das alles unter einem Foto mit Merkel und Söder auf einem Schiff auf dem Chiemsee.
Ausgerechnet Merkel, die nüchterne Norddeutsche, der Prunk nicht viel bedeutet, die Tochter eines einstigen evangelischen Pfarrers. Ein wunderbarer Ort, politisch obendrein mit Verbindung zur Republik, hat doch hier der Verfassungskonvent 1948 im Auftrag der Ministerpräsidenten der Länder die Grundlage entworfen für das spätere Grundgesetz, für den Parlamentarischen Rat. Mehr Geschichte geht kaum.
Aber 1948 war Angela Dorothea Merkel noch gar nicht auf dieser Welt, 1954 in Hamburg geboren, später aufgewachsen in der DDR, wo sie Physik studierte. Und jetzt ist sie in dieser Traumkulisse, die ich kenne. Wir sind oft in Prien am Chiemsee, haben im letzten Jahr Herrenchiemsee und den Spiegelsaal besucht, die Bilder vom Verfassungskonvent gesehen. Kein Wunder bei all dieser Herrlichkeit, dass einer wie Markus Söder immer wieder mit dem Satz zitiert wird: „Mein Platz ist in Bayern“. Ob der Satz gültig bleibt, wenn der Mann gerufen werden sollte, Kanzlerkandidat in Berlin zu werden, um Merkel zu beerben? Wenn die Umfragen weiter den Nürnberger Söder derart auf Wolke 7 tragen, dass er gar nicht anders kann, als Ja zu sagen. Dabei wirkt der Söder mit seinen 1,94 Metern Größe gar nicht so bescheiden, überhaupt gehörte Bescheidenheit in seiner Karriere eher nicht zu seinen Tugenden, eher wirkte er wie der Gernegroß. Es war ja nicht von ungefähr, dass sein früherer Chef, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer ihm „Schmutzeleien“ nachsagte, weil er ihm wohl unterstellte, die Sache mit dem unehelichen Kind Seehofers in Berlin durchgestochen zu haben. Was Söders Leute dementieren. Was heißt das schon!?
Aber bleiben wir bei Merkel, von der die CSU-Freunde Söders sich erhofften, dass sie ihn quasi auf den Thron heben würde, auf den Wassern dieses Sees. Was sie nicht tat und was sie auch nicht kann. Der Kanzlerkandidat der Union ist ein Kandidat von CDU und CSU, die CDU ist viel stärker als die bayerische Schwester, hat also den ersten Zugriff zu diesem Amt, das eigentlich gar keines ist, es ist eine Vorstufe zur Macht im Bund. Aber allein die Bilder vom Treffen Merkel/Söder, ihrer gemeinsamen Fahrt mit einem Schiff über den See, all das wird als Geschenk der Merkel für den Bayern gewertet, der die Konkurrenten Laschet, Merz, Röttgen hinter sich gelassen hat. Aber der Söder muss aufpassen, dass da nicht überzogen wird. Der Rest der Republik mag Bayern, verbringt gern den Urlaub im Süden, man liebt das Oktoberfest und kopiert es in Berlin, man trägt außerhalb des Freistaats schon man Tracht, aber was man nicht so gern hört ist diese „Superbayern-Pose“, wie man sie von Uli Hoeness und den Fußballern des FC Bayern kennt, das geht dem einen oder anderen schon mal gehörig auf die Nerven.
Königsmacherin
Die Kanzlerin als Königsmacherin? Sie wird es genießen, wie ihr die Herren der CSU zu Füßen liegen, wie dieser Söder ihren Corona-Kurs strikt befolgt. Da war doch was? Noch 2018 hatte derselbe Söder, der die Kanzlerin in jüngster Zeit über den Schellenkönig lobt, wegen der Asylpolitik heftig attackiert und diese Politik als „grundlegenden Fehler“ bezeichnet. Vor einem Jahr noch reiste Söder nach Wien, um sich der Sympathie des Kanzlers Kurz zu versichern. Das wird Merkel nicht vergessen haben. Ebenso weiß sie gewiss noch, wie der Amtsvorgänger von Söder, Seehofer, sie auf dem CSU-Parteitag gedemütigt hat. Das war 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, wo die CSU immer wieder nach Obergrenzen rief, Grenzkontrollen forderte und den Kurs von Merkel schmähte. Seehofer darf noch als Bundes-Innenminister in ihrem Kabinett weitermachen, zu sagen hat er kaum was. Sie wird gelacht haben, als sie hörte, derselbe Seehofer habe angeregt, Merkel möge doch eine weitere Legislaturperiode Kanzlerin bleiben.
Sie haben sie alle unterschätzt, die Angela Dorothea Merkel, die Politiker der CDU, der CSU, die Jounalisten. Als sie damals, nach dem Fall der Mauer nach Bonn kam, als Helmut Kohl sie „mein Mädchen“ nannte und sie zur Ministerin für Frauen und Jugend erhob, kannte man sie am Rhein so gut wie nicht. Man machte Witze über sie, über ihr Äußeres, ihre Frisur, weil alles unscheinbar war. Spöttisch wurde in der CDU gefragt: Hat die keinen Friseur? Kauft sie im Second-Hand-Laden ein? Kaum ein Medium, das sich mit Angela Merkel beschäftigte. Wenn irgendwo ihr Name fiel, winkten sogenannte Experten ab. Die doch nicht. Mit einer Ausnahme: Eduard Ackermann, der Kohl-Intimus und wirkliche Kenner des politischen Betriebs am Rhein, sagte: „Angela Merkel würde ich nicht unterschätzen. Die lernt schnell.“ Gemeint, sie lerne schnell von ihrem Meister und Gönner Kohl.
Jahre später, sie war inzwischen Generalsekretärin der CDU geworden, wuchs ihr Einfluss in der Union, aber kaum jemand traute ihr den großten Schritt zu. Und plötzlich, im Jahr 2000, war sie CDU-Vorsitzende. Aber Kanzlerin Angela Merkel? Die doch nicht. Evangelisch, aus dem Osten, geschieden, keine Kinder, ohne Hausmacht, so lauteten die gängigen Vorurteile über Merkel. Sie wird sie gekannt und gewusst haben, aus welcher Männer-Ecke die meiste Kritik kam. Die Männer-Truppe um Koch, Wulff, Beust, vereint in einem völlig überschätzten Anden-Pakt, ließ sie gewähren in der Annahme, wenn es Ernst würde, hätte sie keine Chance. Und so war es fast automatisch, normal, dass sie 2002 die Kanzlerkandidatur dem CSU-Chef Edmund Stoiber bei einem Frühstück in Wolfratshausen antrug. Stoiber, der Alleskönner aus Bayern, Vorzeige-Ministerpräsident, einer der Strauß-Erben. Stoiber kämpfte wacker gegen Gerhard Schröder, um am Ende zu verlieren, wenn auch denkbar knapp. Ein paar Minuten konnte der Bayer an jenem Sonntagabend 2002 glauben, er habe es geschafft und könnte sich „ein Glas Champagner öffnen“. Merkel wird zugeschaut haben, wie Stoiber die Niederlage aufnahm.
Kohl in der FAZ abserviert
Merkel und die Männer in der CDU und CSU. Wie sie Helmut Kohl mitten in der Spendenaffäre abservierte, über einen Namensartikel in der FAZ. Das hatte was. Selbst Merkel-Kritiker zollten Respekt. Donnerwetter! Die traut sich was! Die Kohl-Ära war beendet. Und später zeigte sie einem Kohl-Kronprinzen, Wolfgang Schäuble, die Grenzen auf. Auch er war in eine Spenden-Affäre verwickelt, also löste sie ihn ab. Der Traum vom Kanzleramt war ausgeträumt für Schäuble. Die lange unterschätzte Frau war Partei- und Fraktionschefin. Friedrich Merz zog es vor, nicht gegen Angela Merkel anzutreten. Immerhin war er Fraktionschef. Aus und vorbei. Schäuble und Merz mussten erfahren, dass Frau in der CDU plötzlich mit Macht zu tun hat, Angela Merkel hat sie an sich gezogen. Merkel holte Schäuble in ihre Kabinette, als Innenminister, als Finanzminister, aber auch hier zeigte sie ihm in der Euro-Krise, im Umgang mit Griechenland, wer die Fäden der Macht in Händen hielt. Das gilt selbstverständlich für wichtige Personalien wie das Amt des Bundespräsidenten. Ob Schäuble es werden wollte? Mag sein, aber er wurde es nicht.
Man denke an den Wahlabend 2005, als Schröder bei der TV-Elefanten-Runde lospolterte und den Eindruck erweckte, als wollte er die Niederlage nicht anerkennen. Es gibt nicht wenige Stimmen, die meinen, mit seinem Auftritt gegen Merkel habe Schröder Merkels Stuhl gefestigt. Denn viele in der Union waren enttäuscht ob des knappen Wahlsieges. Umfragen hatten der CDU und CSU lange einen grandiosen Erfolg vorhergesagt, aber dem Amtsinhaber Schröder war es gelungen, durch einen furiosen Endspurt die Stimmung im Lande fast zu drehen, es wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem knappen Vorsprung für Merkel. Ihre Kontrahenten aus der CDU warteten auf ihre Chance, hieß es in Unions-Kreisen, um Merkel zu stürzen. Das Ergebnis ist bekannt. Koch und Co sind schon länger nicht aktiv in der Politik, während Merkel Kanzlerin ist seit 2005.
Und sie wird es allen Unkenrufen zum Trotz bleiben. Hatte man ihr nicht das vorzeitige Ende ihrer Kanzlerschaft prophezeit, wenn sie das Amt der CDU-Chefin an Annegret Kramp-Karrenbauer abgebe? Und was passierte? Kramp-Karrenbauer wäre ohne Corona längst aus dem Adenauer-Haus verschwunden. Es war schwer für die Saarländerin, sich als CDU-Vorsitzende zu behaupten, während gleichzeitig die Kanzlerin einfach weitermachte, als wäre nichts geschehen. Mehr noch, dank Merkel hat die CDU ihre Umfragewerte derart gesteigert, dass nicht wenige Christdemokraten nichts dagegen hätten, wenn Merkel im Amt bleiben würde. Was kein gutes Zeugnis ist für ihre potentiellen Nachfolger.
Jeder hat Erfahrungen mit La Merkel
Söder, Laschet, Merz, Röttgen. Jeder hat seine Erfahrungen mit Merkel, die früher mal von den Franzosen mit dem Titel gewürdigt wurde: La Merkel. Fragen Sie mal Röttgen, wie der nach der Wahlniederlage in NRW gegen Hannelore Kraft von Merkel abserviert wurde als Umweltminister. Laschet muss darauf hoffen, dass Merkel ihn in NRW besucht. Im Rahmen einer Ruhrkonferenz. Die Ruhr ist schön, der Baldeneysee, aber Herrenchiemsee hat niemand zu bieten. Und Merz, der schon einmal vor Merkel davonlief? Wolfgang Schäuble, der alte Fuchs, will ihm helfen. Aber selbst einer wie Schäuble, der erfahren hat, wie Merkel ihren Platz in der CDU immer mehr ausfüllte, wie sie auf ihre Art diese Partei in den Griff kriegte, ohne dass es eine Herzensangelegenheit gewesen sein muss, dieser Schäuble weiß um den Einfluss dieser Frau, die sich inzwischen in der Partei mindestens so gut auskennt wie er. Eine Frau entscheidet mit darüber, wer von den Männern auf dem Bundesparteitagt der CDU im Dezember CDU-Vorsitzender wird. Was noch nicht bedeutet, dass der dann auch Kanzlerkandidat wird. Sollte es Markus Söder werden wollen, muss er weiter auf gute Umfragen hoffen und darauf, dass der neue CDU-Chef sich selber die Nachfolge Merkels nicht zutraut und Söder den Vortritt lässt.
Merkel wird das alles mit Genugtuung verfolgen. Sie hält die Fäden in den Händen, sie hat ihren Rückzug von der CDU-Spitze selbst gewählt, sie hat für sich entschieden, dass 2021 ihre Kanzlerzeit endet. Anders als all ihre Vorgänger im Kanzleramt geht sie freiwillig: Konrad Adenauer wurde wie Ludwig Erhard aus dem Amt gedrängt, Kurt-Georg Kiesinger wurde nach nur drei Jahren von Willy Brandt abgelöst, der vorzeitig an Helmut Schmidt abgab, der wiederum von Helmut Kohl durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt wurde. Kohl verlor gegen Gerhard Schröder, der gegen Angela Merkel den Kürzeren zog. Die SZ zitiert den alten und erfahrenen Schäuble(77), der gewiss Rechnungen offen hätte mit Merkel, mit dem Satz: Frau Merkel sei schon ein „besonderes Kaliber.“