„Die SPD muss sich für die Menschen einsetzen, die den Laden zusammenhalten, muss sich kümmern um die Pflegekräfte, die Krankenschwestern, die Sanitäter, die Feuerwehrleute, die Kassiererinnen und Kassierer in den Supermärkten, die LKW-Fahrer und die Faher von Bussen und U-Bahnen“, sagte Rudolf Dreßler, der SPD-Politiker und Gewerkschafter am Vorabend des 1. Mai, des Tages der Arbeit. Er weiß wovon er redet, er ist seit 1969 Mitglied der SPD, seit über 50 Jahren also hält einer wie Rudolf Dreßler (79) der alten Arbeiterpartei die Treue, in guten wie in schlechten Tagen könnte man hinzufügen, wenn da nicht seit einigen Jahren das letztere vorherrschen würde. Denn der SPD geht es nicht gut, höflich formuliert. Sie wirkt zuweilen kopf- und führungslos, ist in der Groko unter der Kanzlerin Angela Merkel, deren CDU von der Krise profitiert und in Höhen aufsteigt, während die SPD abgeschlagen ist. Man kann Dreßler auch als altes Schlachtross bezeichnen, ohne ihm zu nahe zu treten. Er hat manche Schlacht für die SPD geschlagen, das Soziale war für ihn das Herzstück seiner Partei.
Natürlich war und ist er Gewerkschafter. Und natürlich hat er seinem Freund und politischen Mitstreiter von der anderen Seite, der CDU, Norbert Blüm, einen Nachruf geschrieben, der innerlicher kaum sein konnte. Er wird ihn vermissen, den Norbert Blüm, weil der einen Standpunkt hatte, eine Haltung, die sich nicht nach denen da oben richtete, sondern eher der Linie folgte, wie sie Rudolf Dreßler in seinem Nachruf zitierte: Nur der Staat sei stark, der sich um die Schwächsten kümmert. Wie wahr. Der Blog-der-Republik hat mit Rudolf Dreßler ein Gespräch geführt. Das Zitat stammt von Nell-Breuning, dem Nestor der katholischen Soziallehre. Der Satz steht dem Inhalt nach in der Schweizer Verfassung.
Ich würde Lafontaine zurückholen in die SPD
Wie Blüm hat Dreßler den Neoliberalismus nie für den richtigen Weg gehalten, nie hat er einem schwachen Staat das Wort geredet, der zurücktreten müsse vor dem Privaten. Es gibt zuviele Beispiele, dass die Reichen in der Krise nach dem Staat rufen, weil sie die Verluste der Allgemeinheit aufhalsen wollen, während sie die Gewinne für sich behalten. Der Markt wird es schon regeln? Daran glaubt er so wenig wie Norbert Blüm daran geglaubt hat. Und auch einer wie Oskar Lafontaine hat daran nicht geglaubt, und nicht ohne Grund eine Kontrolle der Finanzmärkte gefordert. Und natürlich den Primat der Politik vor der Wirtschaft verlangt.
Oskar Lafontaine, wie Dreßler ein alter Sozi, wenn der Begriff nicht missverstanden wird. Leider hat der Saarländer 1999 die Brocken hingeschmissen, der Bundesfinanzminister Lafontaine, Parteichef der SPD, Bundestagsabgeordneter. Ob Gerhard Schröder ohne ihn die Wahl 1998 gewonnen hätte, darf bezweifelt werden. Später hat Lafontaine die SPD verlassen und ist heute Mitglied der Linken. Die SPD hat diesen Verlust nie verkraftet. „Ich würde ihn in die SPD zurückholen,“, sagt einer wie Dreßler, der den Kontakt zum Saarländer nie abgebrochen hat. Was im übrigen auch für Johannes Rau galt, den langjährigen Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten.
Dreßler erinnert im Gespräch mit dem Blog-der-Republik an die Verdienste Lafontaines, wie der die Partei zusammengehalten, an den Kitt, mit dem er Risse zugeklebt habe. Oskar Lafontaine habe den Bruch mit seiner Partei, der er Jahrzehnte angehört hatte, die er wesentlich mitgestaltet hat, nicht gewollt. Er habe mehrere Gespräche angeboten, ohne dass die Führung der Partei darauf eingegangen sei. „Ich bedaure das sehr, er fehlt uns“, betont Dreßler. Das Prinzip der Solidarität sei immer auch das Herzensanliegen von Oskar Lafontaine gewesen, eine Solidarität, die die Liberalität begründet. Dressler zitiert den Dreiklang, der die soziale Marktwirtschaft ausmacht: Die Jungen helfen den Alten, die Starken den Schwachen, die Gesunden den Kranken.
Gesellschaftlich unentbehrlich
Der frühere SPD-Sozialpolitiker, Staatssekretär, Erfinder der Pflegeversicherung mit Blüm, sieht in der existenzbedrohenden Corona-Krise Chancen zum Handeln. „Es reicht nicht, den sogenannten systemrelevanten Berufen wie Pflegekräften, Krankenschwestern, Sanitätern und Kassiererinnen in Supermärkten Beifall zu klatschen. Wenn die Kanzlerin schon diese Berufe in ihrer Regierungserklärung lobt, weil sie „den Laden am Laufen halten“, dann sollten wir sie auch besser bezahlen, im Alltag besser würdigen und ihre Arbeit nicht nur mit einer einmaligen Prämie abtun.“ Dreßler geht hier einen Schritt weiter. „Die Politik muss dies vorantreiben, dafür sorgen, dass wir mehr Leute in diesen Berufen ausbilden und sie gut bezahlen. Wir können uns in diesen Berufsfeldern doch nicht abhängig machen von Arbeitskräften aus Polen und Rumänien. Um unser selbst willen, um unsere Existenz auf Dauer zu sichern, müssen wir hier handeln und diese Berufe besser fördern. Benennen wir diese Tätigkeiten nicht länger abstrakt `systemrelevant`, sondern als das was sie sind: gesellschaftlich unentbehrlich.“ Und er bekräftigt: „Es stimmt ja, dass wir erst merken, wie wichtig uns die Arbeit der Müllwerker ist, wenn der Müll nicht abgeholt wird. Davon müssen wir weg, müssen diese Berufsgruppen mehr anerkennen, aber nicht nur durch Beifall und Reden, sondern auch durch Bezahlung. Das wäre besser, als das Geld kriminellen Bankern hinterherzuwerfen, die ohnehin schon Millionäre sind.“
Diese Wünsche formulierte Dreßler auch an die Führung der SPD. Man könnte auch einwerfen: Es wird Zeit für die älteste deutsche Partei, sich ihrer Wurzeln zu erinnern. Als Partei der Arbeit. Der 1. Mai wäre ein Tag, wo die SPD an diese alten Tugenden anknüpfen könnte: An den Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit, um mehr Demokratie zu wagen, um Entspannung in der Außenpolitik statt mehr Waffen. Man hört Willy Brandt heraus. Einer wie er wird vermisst.
Bildquelle: SPD Leimen
Die SPD muss wieder die Partei der Arbeit werden.