Die SPD hat es nicht leicht. In der Öffentlichkeit wird wohl kaum eine Partei derartig attackiert und/oder mit Häme überschüttet, wie die Sozialdemokratie.Besonders drastisch hat das kürzlich Heribert Prantl in seiner wöchentlichen SZ-Kolumne beschrieben: „Man hat es sich angewöhnt, sie als Bordstein zu behandeln, an den es sich gut pinkeln lässt.“ Was sie auch tut in der Groko, was immer dort an sozialpolitischen Leistungen beschlossen und verkündet wird, es wird der ältesten deutschen Partei nicht gut geschrieben. Die Sympathiekurve ist auf dem Weg nach unten bei 13 bis 14 Prozentpunkten angekommen, Ende offen. Und nichts deutet daraufhin, dass dieser miserable Trend gestoppt werden könnte. Das ist keine Schwarzmalerei. Mag sein, dass es bei einigen mit verschmähter Liebe zu tun hat, bei anderen mit der Lust am Untergang, ja auch Schröders Agenda 2010 hat eine maßgebliche negative Rolle gespielt, der Weggang von Oskar Lafontaine. Ihre alten Verdienste gelten nicht mehr, für seine Geschichte wird niemand gewählt.
Vor ein paar Tagen reagierte ein Mann in mittleren Jahren auf den Hinweis, es gebe eine neue SPD-Führung, mit den wirklich nicht anerkennenden Worten: Wo hat man denn die ausgegraben? Gegenfrage: Warum haben anstelle von „die“ nicht die Prominenten aus der SPD kandididiert, zum Beispiel Stephan Weil, der Ministerpräsident aus Niedersachsen? Warum hat der gekniffen, aber dann quasi aus der Galerie die Warnung vor der Wahl von „denen“ abgelassen? Mit die sind Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gemeint. Nun muss man nicht jede Bemerkung ernstnehmen, zumal sie auch von Leuten kommt, die noch nie die SPD gewählt haben oder der SPD nahestehen. Aber es ist auch wahr, dass das Stimmungstief, in dem sich die Partei von Willy Brandt seit Jahr und Tag befindet, anhält. Und es ist leider auch wahr, dass Sozialdemokraten an dieser schlechten Stimmung ihren gehörigen Anteil haben. Sie meckern kräftig mit, wenn über ihre Partei geredet wird, sie mäkeln an allem herum, wo SPD drauf steht, es scheint eine Lieblings-Disziplin von Genossen zu sein, alles schlecht zu reden, was ihre Führungsleute in Berlin anrichten. Die Groko kann beschließen, was sie will, an der Kritik der Regierung, in der namhafte SPD-Politiker sitzen und Verantwortung tragen, beteiligen sich auch und vor allem Sozialdemokraten. Es scheint, als regierten sie nicht gern, zumindest lieben sie die Oppositions-Rolle, was die Darstellung der Partei in der Öffentlichkeit erschwert. Sie müsste sich entscheiden: Entweder regiert man oder opponiert man. Und sie müsste aufhören, schlechte Laune zu verbreiten. Solche Leute lädt man weder zu sich nach Hause ein oder schenkt ihnen an der Wahlurne ihr Vertrauen.
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken waren bis zu Ihrer Wahl nicht Teil des Berliner Establishments, der eine, Walter-Borjans, kam aus dem Altenteil zurück in die aktive Politik, die andere, Frau Esken, wurde von Kritikern mit der wenig schmeichelhaften Bermerkung „Provinz, Hinterbänklerin“ bedacht. Die Prominenz der Partei hatte auf Scholz gesetzt und teilweise sogar vor der Wahl der beiden aus der Provinz gewarnt. Ich habe mich immer wieder gefragt, was denn der Olaf Scholz so Großes in der Regierung Merkel geleistet hat? Wo ist seine Ausstrahlung? Warum traut sich ein solcher Mann, der als Vizekanzler und Partei-Vize auch die Verantwortung dafür trägt, dass die SPD in Umfragen gerade noch zwischen 13 und 14 Prozent bekommt, es zu, die SPD zu neuen Höhen zu führen? Wieso erhob er wie selbstverständlich den Anspruch, im Falle seiner Wahl zum SPD-Chef werde er Kanzlerkandidat?
Nicht wenige in Berlin, auch die so genannten Leitmedien, reagierten enttäuscht bis beleidigt über das Wahlergebnis der SPD. Führende Journalisten in Berlin hatten sogar auf einen klaren Sieg von Scholz gesetzt: 70 zu 30 lautete ihre Prognose. Keiner von ihnen hatte mal das Ohr an die SPD gehalten, also in die Partei hineingehorcht. Als es aber passiert war, die Wahl von Walter-Borjans und Esken, hieß es beinahe empörend: die Jusos haben die Wahl entschieden, als bestünde die SPD überwiegend aus Jungsozialisten. Dabei hat jeder nur eine Stimme, gleich ob jung oder alt. Dann wurde am Ergebnis herumgemäkelt: Nur etwas über die Hälfte der Parteimitglieder habe mitgestimmt. Warum wird das Walter-Borjans und Esken zum Vorwurf gemacht?
Wie gesagt, an all diesen Mäkeleien sind auch Sozialdemokraten beteiligt. Und wie zu hören ist, kommen diese mehr als kritischen Stimmen an der neuen SPD-Führung auch aus den Reihen der Bundestagsfraktion im Berliner Reichstag. Dass die Bundestagsabgeordneten der SPD Angst vor einer vorgezogenen Neuwahl haben, ja haben müssen, liegt auf der Hand. Wenn die Umfragen einigermaßen richtig sind und die SPD nur auf rund 13 bis 14 Prozent der Stimmen käme, würde das für nicht wenige Genossen das Ende ihrer beruflichen Karriere in Berlin bedeuten. Aber glauben denn dieselben Genossen, dass sich das Stimmungstief für ihre Partei verändern ließe, wenn die Fraktion gegen die eigene Parteiführung arbeitet? Bis zum ordentlichen Wahltermin 2021 ist nicht mehr viel Zeit, eine zerstrittene Partei wie die SPD müsste eher noch mehr Verluste befürchten, als ihr das Wahlforscher prognostizieren. Wenn die gerade gewählte Parteiführung von den eigenen Leuten abgemeiert wird, wird das von den Wählerinnen und Wählern nicht honoriert. Der Letzte macht das Licht aus!
„Am Bett der SPD“ überschrieb Heribert Prantl seine oben zitierte Kolumne in der „Süddeutschen Zeitung“. Der frühere Politik-Chef der SZ versuchte, einen Hoffnungsschimmer für die geprügelte Partei zu verbreiten. „Die Wiederauferstehung einer Partei, der man nichts mehr zugetraut hatte“, lautete die Unterzeile, weil die SPD „eines ihrer besten Papiere“ seit dem Godesberger Programm beschlossen hatte. Prantl machte das an dem Beschluss Nummer 3 auf dem jüngsten Parteitag in Berlin fest. Titel: „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“. Es ist der Versuch, die Republik als einen demokratischen und sozialen Bundesstaat neu aufzurichten, zu justieren, wo etwas aus dem Ruder läuft. Solidarität neu zu verankern, da Millionen wegen der Digitalisierung ihren Job verlieren und sich anders aufstellen müssen, eine Solidarität, die angesichts drohender Armut für Kinder und Alte immer wichtiger wird. Solidarität, das ist ja alte SPD-Sprache, ist Teil des Grundgesetzes dieser Partei. Noch einmal Prantl: „Die SPD webt ein Band, welches das Leben umspannt.“ Schön wärs, wenn das die Genossen auch so sähen, wenn sie endlich wieder zusammenfinden und Seit an Seit schreiten und nicht streiten. Nur so kann eine solche Wiederauferstehung gelingen. Es dürfte der letzte Schuss sein, den diese Partei hat. Und der muss sitzen.
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