Es ist schon merkwürdig, die Reaktionen auf den SPD-Parteitag und das neue Führungs-Duo zu lesen. Da wird gerade so getan, als sei die SPD mit einem Olaf Scholz erfolgreich gewesen. Dass die Partei bei 14 Prozent in Umfragen gelandet ist, scheint dabei keine Rolle zu spielen. Dass sie in Bayern unterhalb der Zehn-Prozent-Grenze geblieben ist, wird einzig den bayerischen Genossen angelastet. Dass sie keine Rolle gespielt hat zuletzt in Thüringen und Sachsen, vergessen. Oder? Die SPD habe die Wirtschaftskompetenz verloren, lese ich im „Tagesspiegel“. Dabei könnte sie „heute von einem Olaf Scholz verkörpert werden, wenn man ihn ließe.“ Olaf Scholz war SPD-Partei-Vize und ist immer noch Vizekanzler. Er steht für das Weiter-So. Und die 14 Prozent.
Aber so ist das mit den Leitmedien in der Hauptstadt, die glauben, alles zu wissen oder voraussagen zu können. Und die dann beleidigt reagieren, wenn das Volk der SPD, also deren Mitglieder sich eine andere Führung wählt, als die Journaille in Berlin prognostiziert hatte. Ist doch klar, wer gewinnt, so oder ähnlich hatten sie vor der Auszählung auf einen wie Scholz getippt. Der Nowabo doch nicht, der war doch schon Rentner, die Esken doch nicht, Hinterbänklerin, dann noch aus Baden-Württemberg, Provinzpolitiker. Wie wollen denn die in Berlin Politik machen, die kennen sich doch dort gar nicht aus. Zum Totlachen, solche Meinungen. Kamen nicht viele aus der Provinz? Adenauer aus Köln, Kiesinger aus Stuttgart, Brandt aus Berlin, Schmidt aus Hamburg, Kohl aus der Pfalz, Schröder aus Niedersachsen, Merkel aus der Uckermark. Und so weiter…
Dann werden Stimmen aus der Bundestags-Fraktion laut, natürlich selten mit Namen hinterlegt. Die seien gegen die neue Führung, wollten sich ihre Arbeit, ihre Erfolge nicht kaputt reden lassen. Ich glaube, da steckt was anderes dahinter, nämlich die Sorge, dass es zu Neuwahlen kommen könnte. Und dann würden einige Sozialdemokraten ihre Mandate verlieren, käme es zu einem Wahlergebnis in Höhe der genannten Umfragen. Dann das Gerede, dass die SPD nach links rücke. Weil sie für die Wiedereinführung der Vermögensteuer ist, dafür also, dass die Reichen einen höheren Anteil an den Staatskosten leisten sollen? Überhaupt, dass die breiten Schultern mehr tragen sollen als die schmalen? Dass hat schon Willy Brandt gesagt und auch einer wie Johannes Rau, zwei herausragende Sozialdemokraten aus der Vergangenheit, auf die sich Nowabo, ein studierter Volkswirt, berufen hat. Die schwarze Null aufzugeben, das soll also linke Politik sein. Dabei konnte man in letzter Zeit von Wirtschafts-Experten entsprechende Forderungen hören, man konnte lesen, dass sie für massive Investitionen in eine marode Infrastruktur seien. Wenn es an den erforderlichen Planungskapazitäten mangelt, dann müssen wir da auch ran. Ärmel hoch statt Lamentieren.
Was ich aus vielen Stimmen der Presse in Berlin herauslese, ist Arroganz, Häme, Überheblichkeit. Wovor haben sie Angst? Dass sie die Deutungshoheit verlieren? Keine Sorge, die ist teils schon verloren gegangen. Man müsste nur mal in die Wählerinnen und Wähler hineinhorchen, dann spürte man etwas von den Sorgen und Nöten von Millionen, die ihre Miete nicht bezahlen können, von Alleinerziehenden, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Aber die da oben reden von linkspopulistischer SPD. Walter-Borjans will das Land aus der „neoliberalen Pampa“ führen. Was ist daran falsch? Ich weiß nicht, ob die neue SPD-Führung das schafft. Aber sie hat ein anspruchsvolles Ziel beschrieben, das zu erreichen Schwerstarbeit erfordert. Warum wird das gleich zerredet? Ach ja, der eine kommt aus seinem Rentner-Sessel, die andere ist Hinterbänklerin
Das kann ja nichts werden. Niemand in Berlin kennt die beiden. Übrigens hat FDP-Chef Christian Lindner, bekannt mehr als Talkshow-König, auf die Wahl der neuen SPD-Führung mit einem “ Ich bin völlig baff“ reagiert. Ja, das konnten sie viele in Berlin nicht vorstellen.
Noch immer nicht hat sich der so genannte Mainstream in der Hauptstadt mit der Mitglieder-Befragung abgefunden. Plötzlich wird daran erinnert, dass Oskar Lafontaine eine SPD-Mitglieder-Befragung gewonnen hätte und nicht Gerhard Schröder, hätte man ein solche Abstimmung damals 1995 durchgeführt. Kann sein, möglich, niemand weiß das außer den Kommentar-Helden in Berlin. Und dann haben die Genossinnen und Genossen noch anders votiert, als die Medien-Macher dies vorhergesagt hatten. Eine Unverschämtheit der Mitglieder der SPD. Oder? Sie haben nicht mal auf die Warnung von Stephan Weil gehört, der ist immerhin Ministerpräsident von Niedersachsen. Der hatte zwar selber nicht den Mut, seinen Hut in den Ring zu werfen, verteilte aber dann Warnungen und Ratschläge.
Zurück zu den Wurzeln
Übrigens lagen die Warnungen eines Herrn Weil auf der Linie der CDU, die sich ebenfalls einen Olaf Scholz gewünscht hatte. Es sollte Weiter-So gehen, war doch so gemütlich, Merkel, die CDU-Frau, blieb Kanzlerin, die SPD durfte mitregieren, Minister stellen. Dass die Partei in den Keller sauste von damals 34,2 Prozent (2005) auf heute 14 Prozent(Umfragen), muss man wohl akzeptieren. Die Münteferings, Gabriels und Co müssten doch eigentlich mal den Mund halten, als dauernd Ratschläge zu verteilen. Wer gehörte zur Spitze der SPD in den Jahren nach 2005? Esken wohl nicht und auch Walter-Borjans nicht. Aber sie können es nicht, einfach so.
Dass die SPD teils zu ihren Wurzeln zurückkehren will, müsste eigentlich jeder verstehen, der davon liest, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Dass die wenigen Reichen immer reicher werden und die vielen Armen immer weniger haben vom Wohlstand der doch so reichen Bundesrepublik. 2,4 Millionen Kinder leben in Armut, die „Tafeln“ in Deutschland haben Hoch-Konjunktur. Der Armutsforscher Prof. Butterwegge beklagt eine „zerrissene“ Gesellschaft. Und damit, mit dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit soll sich eine SPD nicht befassen?! Ein Mindestlohn von 12 Euro soll Teufelszeug sein? Wer weniger bekommt für seine Arbeit, kann davon nicht leben, wer die 12 Euro erhält, wird dann immer noch nicht vermögend.
Im Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ las ich einige Leserbriefe zu dem Thema. Aus einem will ich ein paar Sätze zitieren: „Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans führen die SPD in den Abgrund? Falscher Ansatz, denn da ist sie schon. Es geht nur noch darum, wer führt die SPD wieder da raus. Ob Esken und Walter-Borjans das können, mag fraglich sein. Aber dass es jene garantiert nicht sein können, die die SPD in den Abgrund geführt haben, ist wohl mehr als logisch. Und Scholz als Garant, dass Frau Merkel die komplette Wahlperiode überlebt, kann es auch nicht sein. Zu erkennen, dass sich etwas ändern muss, ist die erste Voraussetzung, dass sich etwas ändert.“ Ich kann nur hoffen, dass Esken/Nowabo und all die anderen in der neuen SPD-Führung sich nicht einschüchtern lassen von jener Kritik, die mehr Vorurteilen entspringt, von Seiten, die an einem Aufschwung der SPD gar nicht interessiert sind, weil sie geschichtsvergessen, wie sie sind, nicht bedenken, dass das politische Fundament dieser Republik auf den beiden Volksparteien ruht. Würde eine wie die SPD vor die Hunde gehen, würde das Gleichgewicht des Landes mehr als gefährdet. Wir dürfen nie vergessen: Der Feind steht rechts, auch dies muss Thema der neuen SPD sein, der Kampf gegen den sich ausbreitenden Rechts-Extremismus, gegen die Neonazis, die Rassisten, Fremdenfeinde, Antisemiten. Es geht nicht nur um den Zusammenhalt der SPD, es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.