Am Freitag, dem 20. September hat eine der größten Fridays for Future-Demonstrationen, die es je gegeben hat, stattgefunden, in Europa zeitgleich an unzähligen Orten und weltweit in vielen Ländern. Das war ein riesiger Erfolg der jungen Aktivist*innen, die mit großem organisatorischem Aufwand und viel Phantasie so etwas auf die Beine gestellt haben. Diesmal fanden sie, und so wollte sie es auch, die Unterstützung von den älteren Generationen: Eltern, Lehrer*innen, Schulleiter*innen, Wissenschaftler*innen, Gewerkschaften, Kirchen, ganzen Belegschaften, die ihre Überstunden abfeierten oder Urlaub nahmen und vielen anderen mehr; noch nie war diese Unterstützung war jedenfalls noch nie so groß und breit. Sie alle stehen auf, um auf die Klimakatastrophe und den bisweilen unrettbaren Zustand der Umwelt so lange mit Nachdruck hinzuweisen, bis erkennbare und zeitnah wirksame Maßnahmen aus Politik und Wirtschaft eingeleitet werden, um die tickende Zeitbombe auch nur anzuhalten. Wie in Micheal Endes Märchen-Roman aus den 1970er Jahren es die Kinder sind, die sich schlau gemacht haben und dem Zeitdiebstal durch die Macht der „grauen Herren“ Einhalt zu gebieten, so sind es die Kinder und Jugendlichen von heute, die sich ebenfalls – mittels neuester Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung – schlau gemacht haben, wie verheerend es um das Weltklima steht und wo die Ursachen für Erderwärmung, Verschmutzung der Meere, der Umwelt insgesamt liegen. Ihr Aufschrei richtet sich gegen die Profitgier von Konzernen und eine Politik, die der katastrophalen Entwicklung lange Zeit tatenlos zugeschaut, ja sie verschlafen hat. Sie macht dafür auch die älteren Generationen verantwortlich dafür, ihnen mit der Umweltzerstörung ihre Zukunft zu nehmen. Einer ihrer Slogans lautet: Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.
Mit den folgenden Textauszügen aus dem Momo-Roman möchte ich auf solche Parallelen hinweisen; hier wie bei der FFF-Bewegung ist vom Kinder- und Jugendprotest in Form von Demonstrationen die Rede. Mal sehen, welche Gedanken sich Momos Freunde gemacht haben.
„Die Macht dieser grauen Herren“, fuhr Gigi fort, „liegt darin, wir ihr nun wißt, daß sie unerkannt und im Geheimen arbeiten können. Also ist das einfachste und wirkungsvollste Mittel, um sie unschädlich zu machen, daß alle Leute die Wahrheit über sie erfahren. Und wie werden wir das machen? Wir werden eine große Kinder-Demonstration veranstalten! Wir werden Plakate und Transparente malen und damit durch die Straßen ziehen, wir werden die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf uns lenken. Und wir werden die ganze Stadt hierher zu uns ins Amphitheater einladen, um sie aufzuklären.
Es wird eine ungeheure Aufregung unter den Leuten geben!
Tausende und Abertausende werden herbeiströmen! Und wenn sich hier eine unübersehbare Menschenmenge versammelt hat, dann werden wir das schreckliche Geheimnis aufdecken! Und dann, dann wird sich die Welt mit einem Schlag ändern! Man wird niemand mehr die Zeit stehlen können. Jeder wird so viel davon haben, wie er nur haben will, denn von nun an ist wieder genug da. Und das, meine Freunde, können wir, wir alle gemeinsam schaffen, wenn wir nur wollen. Wollen wir?“
Ein vielstimmiger Jubelschrei war die Antwort.
Diesen und die folgenden Tage herrschte heimlicher, aber fieberhafter Hochbetrieb in der Ruine. Papier und Töpfe voll Farbe und Pinsel und Leim und Bretter und Pappe und Latten, und was sonst noch alles nötig war, wurde herbeigeschafft. … Und während die einen Transparente und Plakate und Umhängetafeln fabrizierten, dachten sich die anderen, die gut schreiben konnten, eindrucksvolle Texte aus und malten sie darauf. …
Als schließlich alles fertig war, stellten sich die Kinder im Amphitheater auf, Gigi, Beppo und Momo an der Spitze, und dann zogen sie mit ihren Tafeln und Transparenten im langen Gänsemarsch in die Stadt. Dazu machten sie Lärm mit Blechdeckeln und Pfeifen, riefen in Sprechchören und sangen folgendes Lied, das Gigi eigens für diesem Abend gedichtet hatte:
„Hört, ihr Leut, und laßt euch sagen:
Fünf vor zwölf hat es geschlagen.
Drum wacht auf und seid gescheit,
denn man stiehlt euch eure Zeit.
Hört, ihr Leut, und laßt euch sagen:
Laßt euch nicht mehr länger plagen!
Kommt am Sonntag so um drei,
hört uns zu, dann seid ihr frei!“
Klar, dass es im Momo-Roman phantastischer zugeht als in der harten Wirklichkeit, mit der es die Fridays for Future-Bewegung zu tun hat. Aber auch der Zeit-Diebstahl (man denke an Rationalisierung, Arbeitsverdichtung, Streß, Zunahme der psychischen Erkrankungen etc.) hat über drei Ecken gedacht mit der globalen Umwelt- und Klimakatastrophe zu tun. Und eine Politisierung der nachwachsenden Generation findet auch hier wie dort statt und ist allemal zu begrüßen.
PS: Ich war am Freitag in Köln mit dabei, sozusagen als eine der Grannies for Future. Es war schon bewegend, mitten drin zu stehen und zu marschieren und dabei die vielen handgemachten Transparente zu sehen, manchmal auch ohne Stock, einfach nur immer wieder hochgehalten und dazu laut skandierte Slogans der Jugendlichen zu hören. Begleitet waren sie von vielen Älteren, einige sogar im Rollstuhl oder mit Rollator. Ein Großvater skandierte: Ihr seid hier, ihr seid laut, weil man euch die Zukunft klaut – also die Umkehrung des Slogans, von einer Generation zur anderen weitergereicht. So war es beabsichtigt. Einen Plakat-Spruch habe ich besonders in Erinnerung: Die Dinos haben auch gedacht, sie hätten noch Zeit. Und es war bewegend, mit wie viel Wohlwollen der Demonstrationszug durch die Innenstadt auch vom Straßenrand her begleitet wurde: Aufmunterungen, Beifall, Unterstützung. Dazu hin und wieder eine Blaskapelle, auch mit kölschen Tönen. Ich habe schon viele Demonstrationen mitgemacht, vor allem in den 1970er und 80er Jahren; doch solch eine bunte, lebendige, laute und schöne noch nicht. Gut so.
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Danke für den Hinweis auf Momo und das Aufbegehren hellsichtiger Kinder!
Am Friday nine-twenty war ich mit einem Freund auf der DEMO in Konstanz, das war richtig klasse, diese Aufbruchsstimmung, dieses lebendige Da-Sein, es hatte was Choreographisches, ein sinnenfroher Rhythmus, eine schöne Wachheit.
Gewöhnlicherweise vermeide ich Ansammlungen von vielen Menschen, hier jedoch war das Gemeinsame weder bedrohlich noch peinlich,
ja, es erinnerte mich an meine studentischen Demos in den 70er und Achtzigern, und ich spürte auch meine eigene Geschichte des Widerstands.