Zwischen 1931 und 1933 wählt Berlin Rot. Der Wedding sowieso. Seinen Bewohnern geht es schlecht. Tausende sind ohne Arbeit, gehen stempeln. Die NSDAP wird 1933 bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung mit 32,6% erstmals stärkste Partei. Vor den Kommunisten mit 29,9% und den Sozialdemokraten mit 24%. Der Nationalsozialist Rudolf Suthoff-Groß bleibt bis zum Ende 1945 Bezirksbürgermeister. Da ist der Lehrer und Widerstandskämpfer Kurt Steffelbauer schon drei Jahre tot. Ermordet.
Georg Benjamin, Arzt und antifaschistischer Widerstandskämpfer, war im Wedding Stadtschularzt und Sozialmediziner. Im August 1942 wird der Bruder von Walter Benjamin im KZ Mauthausen umgebracht. Walli Nagel aus St. Petersburg und ihr malender Mann Otto Nagel überleben die Nazizeit. Er stirbt 1967, sie 1983.
Mai 1945, Berlin. In der Jülicher Straße, nicht weit von der Sprengelstraße, gehen deutsche Kommunisten zu den Kommandeuren der sowjetischen Einheit im einstmals „roten Wedding“. Sie wollen ihnen zum Sieg gratulieren. Nach 12 Jahren in der Illegalität. Sie bieten ihre Hilfe an. Die Offiziere aus der UdSSR fallen über sie her. Deutschland ist für sie das Land der Bösen. Der Verbrecher. Viele werden verschleppt, sterben in den Straf- und Arbeitslagern als Woyna Plenni, als Kriegsgefangene. In der Sprengelstraße werden Arbeiter aus den Wohnungen geholt. Abtransportiert. Kehren nie wieder zurück. Wenige der heute noch lebenden alten Menschen im Sprengelkiez waren 1945 Kinder, spielten in den Ruinen, klauten Kartoffeln. Sie erinnern sich; sprechen aber nicht über diese Zeit. Ihre Eltern sind lange tot, liegen auf den Gemeindefriedhöfen an der Seestraße begraben und haben auch nicht gesprochen. Als wenn es die 12 Jahre 1000jähriges l Reich nicht wirklich gegeben hätte.
Altbauten mit Hinterhöfen
Noch heute wird der Wedding überwiegend durch Altbauten mit ein oder zwei Hinterhöfen aus der Gründerzeit und natürlich durch die Wohnsiedlungen des neuen Wohnens der Jahre 1920 bis 1950 geprägt. Kein Berliner Stadtteil hat einen vergleichbar derart hohen Anteil an solchen Wohnungen. Das ist eine Besonderheit. Eine andere ist der Name des Bezirks, der zu den ganz wenigen Ortsnamen gehört, die in der deutschen Sprache mit einem Artikel benutzt werden. Der Weddinger sagt: „Ick wohn` uff`n Wedding.“ Oder: „Wo ick wohne? Wie alle feine Leite, Berlin W. hinten mit en Ding`!- ?? – Na, Mensch, vastehste nich, Berlin Wedding!“
Der traditionelle Arbeiterbezirk hat sich in vergangenen 40 Jahren sehr verändert. Weniger die alten Gebäude und Mietskasernen; mehr die Bevölkerung. Zunächst waren es türkische Arbeiter, die nach Berlin kamen und um den Spar- und Leopoldplatz billige Wohnungen fanden. Vor allem Menschen aus dem früheren Jugoslawien, aus den Gebieten der Subsahara und aus arabischen Staaten haben sich dann hier angesiedelt. Heute kommen 30% der Weddinger aus dem Ausland.
In der Bezirksverordnetenversammlung wird 1995 die CDU zum ersten Mal die stärkste Partei! Die Lehrer Kurt Steffelbauer an der 29. Volksschule der Tegeler Straße und Sebastian El Rawas vom Kulturverein im Brüsseler Kiez hätten das nie für möglich gehalten.
Der Kiez ist in einem Gründerzeitviertel zu Hause, in dem es nur wenige Nachkriegsbauten gibt und bis in dieses Jahr hinein Gaslaternen die Straßenbeleuchtung waren. Übrigens: Straßenpumpen gibt es noch immer. Viele junge Leute, wie Sebastian El Rawas sind in den zurückliegenden Jahren in`s Viertel nahe des Anti – Kriegs – Museums, der Beuthhochschule auf dem ehemaligen Naukes Feld und dem Max-Beckmann-Saal mit dem Musiktheater Atze gezogen. Die Kneipen sind geblieben, die Mieten sind gestiegen, die SPD hat bei den Wahlen an Stimmen verloren, die Grünen dazugewonnen und die Linken erstarken wieder. Rot wie einst ist der Wedding allerdings noch nicht wieder geworden.
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