Wolf Biermann hat es den Linken gegeben, im Bundestag in Berlin. Er sollte eigentlich singen, hat aber die Chance genutzt, dem Gysi-Anhang ein paar unfreundliche Worte rüberzurufen. Damit müssen die Linken leben. Wir haben Meinungs- und Redefreiheit, auch wenn Norbert Lammert Biermann nicht als Redner verpflichtet hatte, sondern als Sänger. Dass Biermann so reagierte, darf nicht verwundern. Die DDR-Gewaltigen haben ihm damals übel mitgespielt, ehe sie ihn ausbürgerten.
Was sonst noch zu sagen wäre zum Fall der Mauer? Frei nach Johannes Rau ist alles gesagt, nur nicht von allen. Wenn ich an diese Grenze denke, an Mauer und Stacheldraht, wird mir immer noch übel. Dabei geht es nicht darum, die Bundesrepublik als besseren Teil Deutschlands zu preisen. Aber die Mauer mitten durch Berlin, das war nun mal das Werk der SED. Und sie war ein Ungetüm. Wie oft bin ich davor gestanden? Als ich in Berlin, West natürlich, studierte, Mitte der 60er Jahre, wohnte ich bei einer alten Berliner Familie in Dahlem, nein nichts Vornehmes, Zimmer unterm Dach. Diese Familie stammte aus der Gegend des Alexanderplatzes. Dort hatte die Familie bis Kriegsende gelebt, dann wurden sie auseinandergerissen, einige gingen in den Westen, andere blieben im Osten.
Eines Tages baten mich meine Vermieter, ein älteres Ehepaar, aus Anlass eines Geburtstages ihre Verwandten am Alex aufzusuchen, um ihnen ein paar Geschenke zu bringen: Zigaretten, Kaffee usw. Als Westdeutscher hatte ich keine Probleme, in den Osten der Stadt zu fahren. Am Grenzübergang Friedrichstraße musste ich mich ausweisen, man fragte nach dem Sinn meines Besuches. Dann wurde die Plastiktüte mit Kaffee und Zigaretten gefilzt und am Ende durfte ich weiter- aber die Tüte musste ich stehenlassen. Die Enttäuschung war groß, als die Verwandten mir die Tür öffneten und mich sahen, ohne jedes Geschenk. Am Abend durfte ich die Tüte dann wieder mit nach Dahlem nehmen.
Die Mauer habe ich auch später- es muss in den 70er und 80er Jahren gewesen sein- als Journalist kennengelernt. Mit Willy Brandt passierten wir als kleine Delegation den Übergang Heinrich-Heine-Straße. Rentnerinnen und Rentner, die im Weg standen, wurden von den DDR-Grenzhütern an die Seite gedrängt, um uns Platz zu machen. Es war peinlich. Brandt war es zuviel, also bat er: „Nun lassen Sie doch die alten Leute“!
Ebenfalls mit Willy Brandt fuhren wir Mitte der 80er Jahre mit dem Bus von Ostberlin nach Weimar. Dort gab es eine Veranstaltung im Hotel Elephant, eine feine Adresse, alles sah schön herausgeputzt aus. Wir sind dann ein paar Straßen weiter gelaufen, um uns ein genaueres Bild zu machen. Und siehe da: Der Putz fiel von den Wänden der Häuser, die Balkone waren abgestützt mit Holzpfosten. Der Elephant war die Ausnahme, dort wurde ja auch gefilmt, wurde die DDR als Vorbild dargestellt. Ähnlich die Bilder in Berlin, Hauptstadt der DDR, wie sie damals hieß. Prenzlauer Berg glich einem Abbruchviertel, die Häuser in einem jämmerlichen Zustand. Dagegen das Nikolai-Viertel ziemlich schmuck, sauber, Touristenlokale. Eben.
Oder nehmen wir die Reise mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in die DDR, um den 13. Dezember 1981. Wegen des besonderen Status von Berlin machte die Schmidt-Delegation einen Bogen um den Osten- wie gesagt Hauptstadt der DDR- der Stadt, wir Journalisten wurden in einem kurz zuvor fertig gestellten Hotel am Berliner Dom- Eigentümer waren Schweden- untergebracht. Der Schmidt-Besuch endete im mecklenburgischen Güstrow, Polizei und Staatssicherheitsdienst hatten das Städtchen total in Besitz genommen. Bekannte Kritiker des Regimes durften ihre Wohnungen nicht verlassen, andere wurden mit Bussen zum Zwangs-Kaffeetrinken nach Rostock gefahren. Der Weihnachtsmarkt von Güstrow war von Mitgliedern der so genannten Betriebskampfgruppen übernommen worden. Wir wollten dort etwas kaufen, was uns aber verwehrt wurde. Denn die Leute, die hinter den Ständen standen, kannten ja nicht mal die Preise. Es war der 13. Dezember 1981, als in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde.
Manches in der DDR wurde auch von westdeutschen Medien schöngeschrieben. Der Entspannungsprozess sollte nicht gestört werden, wurde ich mal von einem von mir hoch geschätzten Kollegen belehrt. Also sollten wir nicht über die von uns besichtigten Zustände in den Städten der DDR berichten, also vom herunterfallenden Putz. Und auch die Misshelligkeiten, die einem beim Besuch der DDR widerfuhren- und es waren nicht wenige-, durften kein Thema einer Reportage sein.
Das Ende der DDR hatte niemand auf dem Schirm. Es wurde herbeigeführt durch die Menschen, die gegen das System demonstrierten, friedlich und oft mit Kerzen in den Händen. Ihr Mut müsste das Thema solcher Gedenktage sein. Aber die führenden Köpfe dieser Demonstrationen, die die eigentlichen Helden waren und nicht irgendwelche Politiker mit Ausnahme von Gorbatschow vielleicht, sind ja von der Bildfläche verschwunden. Schade.
Mir ist es allerdings schleierhaft, wie Herr Lammert Herrn Biermann „nicht als Redner, sondern nur als Sänger“ verpflichten konnte. Dass politische Kunst, wie sie Biermann nunmal vertritt (was immer man davon halten mag), das Reden impliziert – sei es in gesungener oder gesprochener Form – sollte dem Bundestagspräsidenten doch klar sein. Ihm das Wort zu verbieten, finde ich absolut daneben. Dann hätte er ihn besser gar nicht einladen sollen.