Da hat das Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel doch mal ein schönes Fleißkärtchen bekommen. Viele Versprechen aus dem aktuellen Koalitionsvertrag seien bereits eingelöst, bilanziert eine Studie und bescheinigt der Großen Koalition mehr Eifer als allen Vorgängerregierungen. Noch bevor es zu der vereinbarten Halbzeitbilanz von Union und SPD kommt, wird die Botschaft verbreitet, die GroKo sei viel besser als ihr Ruf. Anders gesagt: der geneigte Wähler vermag einfach nicht zu sehen, was ihm alles Gutes widerfährt.
Mit verengtem Blick auf den routinierten Regierungsbetrieb im Kleinklein mag da durchaus etwas dran sein. Bei näherer Betrachtung täuschen die Einzelerfolge aber nicht über die großen Mängel hinweg. Das sind beileibe nicht nur die Pleiten und Skandale im Militärwesen und bei der Pkw-Maut, sondern das sind auch die anhaltenden Versäumnisse für dringend nötige Reformen. Die Liste der Themen, bei denen seit Jahrzehnten kein wirkliches Fortkommen zu verzeichnen ist, wächst stetig an. Vom Klimaschutz, wo nun endlich der Druck aus der Zivilgesellschaft steigt, über die soziale Gerechtigkeit, das Gesundheitswesen, die Kinderarmut und die Bildung bis hin zu dem Steuerentzug für das Gemeinwesen und den Rüstungsexporten sind hartnäckige Handlungsdefizite zu beklagen.
Die Unfähigkeit zur Einigung zeigt sich konkret beispielsweise auch bei den jahrzehntelangen Hängepartien zur Wahlrechtsreform und zur Parteienfinanzierung. Der Bundestag ist mit inzwischen 709 Abgeordneten groß wie nie und er wird bei kommenden Wahlen voraussichtlich weiter anwachsen. An einer Reform hat sich schon der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert vergebens versucht, jetzt scheitert sein Nachfolger Wolfgang Schäuble daran. Parteipolitische Interessen gehen vor. Das ist ein Armutszeugnis und gilt so auch für die Verweigerung von größerer Transparenz im Bereich der Parteispenden und des Lobbywesens.
Der Europarat beklagt in seinem jüngsten Bericht über Missstände in Deutschland, dass außer dem fortgesetzten Austausch von Briefen zwischen Bundesregierung und Parlament wenig geschieht. „Enttäuscht über den mangelnden Fortschritt“ sei festzustellen, dass es am „politischen Willen“ für eine Verbesserung des Systems fehle. Deutschland bleibe „deutlich hinter den europäischen Standards“ zurück.
Schon im Dezember 2009 hatte GRECO, die zuständige Kommission beim Europarat, erhebliche Mängel gerügt und dringende Maßnahmen für mehr Transparenz gefordert. Fast zehn Jahre danach listen die Korruptionsexperten erneut gravierende Versäumnisse auf. Fazit: wenn es ums Geld der Parteien geht, bleibt in Deutschland zu Vieles im Dunkeln.
Konkret fordert GRECO, anonyme Spenden müssten vollständig verboten, die Grenze von 50.000 Euro, ab der Parteispenden dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden müssen, müsse deutlich gesenkt werden. Ferner sei die Rechenschaftspflicht über Spenden, die Abgeordnete und Wahlkreiskandidaten direkt erhielten, strenger zu regeln, ebenso wie die Trennung von Partei- und Stiftungs- sowie Fraktionsfinanzen.
Die Reformen werden seit Jahren verschleppt. Auch das 2002 in Kraft getretene europäische Strafrechtsübereinkommen zur Korruption wurde laut GRECO von Deutschland nur unzureichend umgesetzt. Strafrechtliche Sanktionen für die Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten, Bediensteten internationaler Organisationen und Mitgliedern internationaler Parlamentarierversammlungen seien bis heute nicht verschärft worden.
Von der mangelnden Transparenz profitieren die Unredlichen. Seit Monaten stehen beispielsweise zwielichtige Zuwendungen an die AfD zur Debatte, ausgerechnet die Partei der selbsternannten Saubermänner kassierte Leistungen aus dubiosen Quellen, verschwieg sie zunächst und verschleierte dann deren Herkunft mittels einer Liste von Strohmännern.
Eine für den Steuerzahler kostspielige Gesetzeslücke legte im vorigen Jahr das trickreiche Finanzgebaren der Freien Wähler bloß. Der Bundesverband hatte mit dem An- und Verkauf von Staatsanleihen Erlöse „aus sonstigem Vermögen“ erwirtschaftet und damit den Anspruch auf Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung in die Höhe getrieben. Nach einem entsprechenden Bericht des „Spiegel“ wertete die Bundestagsverwaltung die Bilanztricks der Freien Wähler als „nicht korrekt“. Die Partei korrigierte ihren Rechenschaftsbericht 2017, so dass sich ihr Anspruch auf Staatszuschüsse für 2018 um rund 1,14 Millionen Euro bzw. fast zwei Drittel verringerte.
Von der Bereicherung auf Kosten anderer versteht auch die FDP einiges. Als die Liberalen 2013 aus dem Bundestag flogen, entließ ihre abgewählte Fraktion rund 100 angestellte Mitarbeiter. Die hatten bei der Rheinischen Zusatzversorgungskasse (RZVK) Rentenansprüche erworben, für die die Fraktion aber die Beiträge nicht eingezahlt hatte. Und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag dachte sie auch gar nicht daran, das nachzuholen. Sie ignorierte die Forderung in Höhe von fast sechs Millionen Euro und kam damit am Ende durch. Bei der RZVK sind laut „Spiegel“ auch die meisten Mitarbeiter der Bundestagsfraktionen von Union und SPD versichert, die in der Folge nun die Zeche der FDP mitzahlen müssen.
Ein weiteres Beispiel aus den Sumpfgebieten verbindet sich mit der „Aserbeidschan-Connection“. Neben der illegalen Spende an die Frankfurter CDU geht es dabei auch Verstrickungen der CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Strenz und des ehemaligen CSU-Abgeordneten Eduard Lintner, die 2018 aufgedeckt wurden. Drei unabhängige Experten untersuchten im Auftrag des Europarats den Verdacht, dass mehrere Mitglieder seiner Parlamentarischen Versammlung Bestechungsgelder aus Aserbeidschan angenommen haben.
Der Untersuchungsbericht stellt Lintner als „Schlüssel-Lobbyisten“ dar, der allein von 2012 bis 2014 über Briefkastenfirmen in Großbritannien 819.500 Euro aus Aserbeidschans Hauptstadt Baku empfangen habe. Seine Beraterfirma habe von Baku bezahlte Lobby-Arbeit für Aserbaidschan betrieben und auch die CDU-Abgeordnete Strenz beschäftigt, die dies jedoch lange verheimlichte. Der Bundestag hat sie für ihr Fehlverhalten gerügt und gegen sie ein Ordnungsgeld über knapp 20.000 Euro verhängt.
Die Antikorruptionsorganisation Transparency International hat im Frühjahr gegen Strenz und Lintner Strafanzeige wegen Bestechung und Bestechlichkeit erstattet. Die Initiative „Abgeordnetenwatch“ nimmt den Fall der Frankfurter CDU zum Anlass, die Rolle des Bundestagspräsidenten bei der Kontrolle von Parteispenden zu kritisieren. Norbert Lammert (CDU) selbst habe zu seiner Zeit als Parlamentspräsident entsprechende Änderungen gefordert, sei damit jedoch bei seiner eigenen Fraktion „immer auf taube Ohren gestoßen“.
Inzwischen hat Parteifreund Wolfgang Schäuble Lammerts Nachfolge angetreten, „der Mann, der einst im Hinterzimmer von einem Waffenlobbyisten eine 100.000 DM-Barspende entgegennahm, die später spurlos verschwand“ erinnert Abgeordnetenwatch an die Regierungszeit von Helmut Kohl und bemängelt, dass aktuell ausgerechnet „ein Beteiligter an einem der größten und bis heute nicht annähernd aufgeklärten Parteispendenskandale“ über die Parteienfinanzierung wacht. Die Prüfung der Parteifinanzen dürfe nicht länger in den Händen eines Parteipolitikers liegen, sondern solle einem neutralen und überparteilichen Transparenz- und Lobbybeauftragten übertragen werden. Zugleich sollte das beliebter werdende Sponsoring und das unsaubere Lobbying auch strengen Regeln unterworfen werden. Die Gefahr der Einflussnahme auf Abgeordnete und Parteien, von der die Öffentlichkeit nichts erfährt, ist schließlich die gleiche.
Grundsätzlich regelt das Parteiengesetz, dass die politischen Parteien in Deutschland Spenden von Bürgern und auch von Unternehmen annehmen dürfen. Spenden ab 50.000 Euro müssen dem Bundestagspräsidium sofort gemeldet und öffentlich bekannt gemacht werden, Spender von Beträgen unter 500 Euro dürfen anonym bleiben. Im Wahljahr 2017 erhielt die CSU mit 650.000 Euro die größte Einzelspende, und zwar vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Die Schwesterpartei CDU erhielt im gleichen Jahr die meisten Großspenden, und zwar insgesamt 2,9 Millionen Euro. Die FDP erhielt zwei Millionen Euro, Bündnis90/ Grüne 540.000 Euro und die SPD 470.000 Euro.
Auch bei Spenden von Unternehmen wurde die CDU mit 12,6 Millionen Euro deutlich großzügiger bedacht als die SPD (3,2 Millionen Euro), die noch weniger Firmenspenden erhielt als die FDP (4,6 Millionen) und die CSU (4,4 Millionen). Grüne (1 Million), AfD (170.000) und Linkspartei (3400 Euro) bekamen hingegen deutlich kleinere Zuwendungen, wobei die Linken nach einem Parteitagsbeschluss grundsätzlich auf Unternehmensspenden verzichten.
Als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den aktuellen GRECO-Bericht mit den gravierenden Vorwürfen erhielt, äußerte er sich dazu recht verhalten. Er sei „sicher, dass die Fraktionen sich den Bericht genau ansehen und alles Mögliche dafür tun werden, um die Bedenken vollständig auszuräumen“, sagte er und fügte noch hinzu, dass sich die Transparenz der Parteienfinanzierung in Deutschland „auf einem hohen Niveau“ befinde. Das ist beschönigend und legt die Vermutung nahe, dass die Untätigkeit gegenüber den beschriebenen Missständen andauern soll.
Eine weitere konkrete Forderung formuliert das GRECO-Gremium mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte von Abgeordneten. Zur Korruptionsprävention müsse die Offenlegung solcher Konflikte verpflichtend werden. Derzeit sind etwa Unternehmensanteile mit weniger als 25 Prozent der Stimmrechte nicht offenlegungspflichtig.
Die Korruptionswächter beim Europarat können keine Sanktionen gegen Deutschland verhängen, sie können nur an die Einsicht der Politiker appellieren. Diesem Appell hat GRECO nun mit der Einforderung eines Berichts deutlichen Nachdruck verliehen und eine Frist bis Juni 2020 gesetzt. Der Bericht soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die Empfehlungen im Kampf gegen Korruption in Parlament und Justiz umgesetzt würden.
Eine Blamage. Korruption ist eine Pest für jedes Gemeinwesen und Transparenz eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der Demokratie. Da ist es schon ausgesprochen peinlich, wenn sich die Politik beharrlich bitten lässt, endlich entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
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