Der Fall der Mauer jährt sich in diesen Tagen zum 25. Mal und damit das bevorstehende Ende der DDR. Seit Wochen läuft eine Diskussion in den Medien über die Zustände in dem Land jenseits der Elbe, abgeschottet durch Mauer und Stacheldraht, eine Debatte auch darüber, was denn nun dieser Staat eigentlich war. Ein Unrechtsstaat, so werde ich weiter behaupten. Friedrich Schorlemmer, der als evangelischer Pfarrer im östlichen Teil Deutschlands lebte, hat kürzlich in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben: „Es gab Lücken in der Mauer.“ Dem füge ich kurz und knapp hinzu: Ja, für einen wie ihn, den evangelischen Pfarrer, mag das gelten. Lücken gab es sicher für manche Spitzensportler wie hohe SED-Funktionäre, aber für Millionen einfache Bürger war die Mauer eine Mauer, unüberwindbar. Wer es dennoch versuchte, spielte mit seinem Leben oder wurde, um erneut eine Formulierung eines einstigen ARD-Fernseh-Korrespondenten in Ostberlin aufzugreifen, „abgeknallt wie ein Hase.“ Die vielen Mauertoten waren Ergebnis des Schießbefehls.
All das bedeutet aber nicht, dass die Menschen in der DDR kein anständiges Leben geführt haben. Ein Einwand, der uns mehrfach in Berlin vorgehalten wurde, als wir Anfang der Jahrtausendwende in Prenzlauer Berg- das ist Teil des ehemaligen Ostberlins- wohnten. Unrechtsstaat, das verstand ein uns später zum Freund gewordener grundsolider Handwerker, der in der DDR sein Leben verbracht hatte, gerade so als Vorwurf, als hätte er etwas Unanständiges getan oder als hätte er nichts Vernünftiges geleistet. Doch, das hatte er, nicht weniger als wir aus dem Westen. Wir hatten das Glück gehabt, zufällig im Westen gewesen zu sein, als nach dem Krieg die Grenzen gezogen wurden und die DDR sich später mit Mauer und Stacheldraht abschottete. Er wollte, dass wir sein Leben genauso würdigen, wie wir unseres würdigen, er wollte Anerkennung, nicht mehr. Er hatte gelebt und sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Er war kein Verlierer, warum sollte er, wir waren ja auch keine Sieger. Wir waren nur zufällig auf der anderen Seite Deutschlands, die sich mit massiver Hilfe der Amerikaner besser, freier entwickeln konnte. Aber wir waren nicht die besseren Deutschen oder noch allgemeiner, nicht die besseren Menschen. Die Sieger-Pose sollten wir lassen. Johannes Rau hat es bei der Wende auf den Punkt gebracht: Wir sollten uns gegenseitig unsere Geschichte erzählen und einander zuhören, um uns besser zu verstehen.
25 Jahre nach dem Fall der Mauer müssen wir nicht triumphieren, etwas weniger ist mehr. Freude darüber, dass die Mauer gefallen und der Stacheldraht längst verrostet ist, das darf schon sein. Und dass es ein Glücksfall deutscher Geschichte war. Aber es steht uns gut zu Gesicht, jenen den Erfolg zu lassen, die die SED-Herrschaft mit friedlichen Demonstrationen beenden halfen. Kerzen als die besseren Waffen.
Aber dass das System, das von der SED dem Staat und seinen Menschen aufgezwungen wurde, auf Unrecht beruhte, aus Unrecht bestand, daran besteht doch kein Zweifel. Oder will jemand behaupten, die SED hätte sich jemals durch freie und geheime Wahlen vom Volk die Legitimation geholt? Will jemand ernsthaft bestreiten, dass es keine Reisefreiheit, keine Versammlungsfreiheit gab, keine eigentliche Meinungs- und Pressefreiheit? Willkür und Repression zeichneten das System aus, sie waren das System und nicht die Ausnahme. Oder wie die SZ -in Erinnerung an ein Dichter-Wort aus der Zeit der deutschen Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert- ihr Forum-und Leserbriefseite überschrieb: „Nicht einmal die Gedanken waren frei“. Das alles zu bejahen heißt nicht, das Leben der Menschen in der DDR als solches zu entwerten.
Wir sind das Volk! Das war es, was die Menschen den SED-Machthabern entgegenriefen: Wir, nicht Ihr. Und sie ergänzten gelegentlich: Wir bleiben hier. Und hauen nicht ab in den Westen. Dass Schorlemmer in dem SZ-Artikel argumentiert, den meisten Flüchtlingen aus der DDR sei es nur darum gegangen, ein besseres Leben zu führen, es sei ihnen nicht um Freiheit gegangen, greift viel zu kurz. Ein besseres Leben schließt doch ein Leben in Freiheit ein, ohne Überwachung durch die Stasi, ohne Stacheldraht, ohne Mauer vor der Nase, mit freier Presse, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit.
Nein, im Westen war nicht alles besser. Aber die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Mit allen Fehlern und allen Schwächen. Zur Siegerpose besteht kein Anlass. Was mir die Freude darüber nicht nehmen wird, dass es die SED-Diktatur nicht mehr gibt. Ohne Mauer und Stacheldraht war sie nicht zu halten.
Bildquelle: Berlinermauer CC BY-SA 3.0
Noir – http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bethanien06.jpg
Ja ich stimme Ihnen in vielen Fällen zu, es gab sehr viel Unrecht in der DDR, aber ich mag es nicht so pauschal sondern lieber diffenzierter.
http://internetz-zeitung.eu/index.php/2492-iz-history-friedrich-wolf-widerlegt-das-m%C3%A4rchen-vom-ddr-unrechtsstaat
Ich bin froh, das ich heute in einem freien Land leben darf.
Was mir viel mehr Sorge bereitet, ist nicht, das ich lt. westlicher Definition in einem Unrechtsstaat gelebt habe oder das ein Linker in Thüringen Ministerpräsident wird. Es ist der Umstand das Demokratie und Freiheit schon wieder bedroht werden.
Auch in diesem Lande manipulieren die Medien,
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43237/
und die Menschen werden wieder umfassend überwacht.
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43076/1.html
Ich kann ihre Sicht der Dinge auf die DDR aber sehr gut akzeptieren!
Vielen Dank für ihren Post.
… ich mußte schon etwas schmunzeln, als ich diesen Beitrag las.
Wie sieht denn die Situation heute aus? Wie sieht es denn mit der Presse heute aus? Wem dient sie? Wie frei sind die Menschen heute wirklich?
Die DDR-Medien und die STASI waren lächerliche Deletanten im vergleich zu dem was heute passiert.
Was ist denn an der einseitigen Medienberichterstattung und der flächendeckenden Überwachung der Bürger durch ausländische Geheimdienste unter Billigung der deutschen Staatsorgane besser? Was ist den an der Entwürdigung und Entmündigung der Arbeitslosen und Hilfeempfänger besser?
Ich könnte die Fragen hier immer so weiter stellen – ein Drecksystem zeigt mit dem Finger auf ein anderes Drecksystem.