Es geht gnadenlos zu in Diskussionen über Deutschlands Schul-Realität. Keine Zurückhaltung. Jeder Griff und jeder Schlag scheinen erlaubt. Mike Tyson was here! Zeit- Schreiber Martin Spiewak nimmt sich das letzte Buch des Kinderpsychologen Michael Winterhoff vor („Deutschland verdummt – Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut“ – Gütersloher Verlagshaus. Mit Anmerkungen 220 Seiten, 20,00 €). Er nennt den Kinderpsychologen Winterhoff den „Sarrazin der Erziehung“. Man frage ja auch keinen Bordellbesitzer nach dem Zustand der Ehen in Deutschland, schreibt Spiewak mit Blick auf Winterhoffs Methode, eigene Fälle heran zu ziehen. Zudem äußert der Zeit- Schreiber den Verdacht, dass Winterhoff Interviews nicht geführt habe, die er in seinem Buch abdrucken ließ:“… nährt den Verdacht, dass diese Gespräche so nie stattgefunden haben.“ Winterhoff soll also betrogen haben.
Spiewak ist kein Kinderpsychologe. Er ist Historiker. Er sitzt als Redakteur nach eigenen Angaben in folgenden Institutionen: Beirat für „Lehramtsstudierende der Stiftung der Deutschen Wirtschaft“; Mitglied in den Jurys: „Preis für Hochschulkommunikation“; „Deutscher Lehrerpreis“; „Hochschulmanager des Jahres“. Da Winterhoff seine Kritik nicht an einzelnen Lehrerinnen oder Lehrern entzündet, sondern weil er das Daten sammelnde und pausenlos Empfehlungen produzierende Bildungsmanagement attackiert, hat Spiewaks Kritik ziemliche Schlagseite.
Winterhoff schildert in seinem Buch, dass aus seiner Erfahrung als Kinderpsychologe das Reifen vieler Kinder fehlschlägt. Sie bleiben kleine Kinder. Das liegt nach seiner Ansicht an untauglichen Eltern und auch an einem Schulbetrieb, der das Fehlen von Reife bei diesen Kindern völlig missachtet. Was im Spiegel- Gespräch der ansonsten Winterhoff- kritische Pädagoge Wolfgang Bergmann auch bestätigt: „In der Tat werden immer mehr Kinder schwierig und auffällig. Das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom greift um sich wie eine Epidemie. Wir haben es mit sozialen und damit auch seelischen Verfallserscheinungen in der modernen Kindheit zu tun.“
Winterhoff hat ein beängstigendes Buch geschrieben. Über Eltern, die von ihren Kindern zu viel Verlangen; über eine Bildungsbürokratie, die ihre Ideologien einfach über Schulen und Lehrerschaft kippt. Über Lehrerinnen und Lehrer, die sich wehren, zu puren „Bildungsbegleiterinnen und –Begleitern“ degradiert zu werden. Digitalisierung in den Grundschulen – da sei Winterhoff vor. Keine Anpassung an eine neue Technik, sondern Entwickeln von Fähigkeiten – auch durch Pauken und Konzentration.
Ich bin Lesepate an einer Bonner Gesamtschule. An einer guten Schule. Ich bekomme einen kleinen Ausschnitt dessen mit, was Lehrerinnen und Lehrer heute leisten müssen. Stärkt die Lehrerschaft! Wenn Winterhoffs Buch an diesem Punkt hilft, hat es einen guten Zweck erfüllt.
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