„Schauplatz BRD“ nennt Norbert Bicher, der Autor des besagten Buches, sein neues Werk, dessen Unterzeile mehr Aufschluss gibt über das, was den Leser erwartet: „Reisen ins Innere der Republik“. Bicher betont, dass das Buch keine Geschichte des geteilten Landes sei, sondern dass es sich um Geschichten handele aus 70 Jahren Bundesrepublik, die der feine Schreiber entweder selbst erlebt oder die er erneut zusammengetragen hat. In jedem Fall gibt er der Story seine eigene Note, die mir in vielen Fällen so nicht bekannt war. Es ist ein Lesebuch aus Anlass des 70jährigen Geburtstages des Grundgesetzes geschrieben, dem Fundament dieses Landes, das auf Ruinen errichtet wurde und das aus Ruinen stolze Landschaften erblühen ließ. Nicht umsonst sprechen wir vom Wirtschaftswunder, was aber nicht das Thema des Autors ist.
Es sind Geschichten, die den Leser neugierig machen, kaum hat er die erste Story über Konrad Adenauer und Erzbischof Kardinal Frings erzählt. Norbert Bicher wohnt und lebt seit Jahrzehnten in der Domstadt, er hat ein besonderes Verhältnis zu dieser herrlich verrückten Millionen-Metropole am Rhein, zu der eben die Katholische Kirche mit ihren besonderen Eigenschaften zählt wie auch Kardinal Frings. Wenn man das Foto sieht von Adenauer und dem Kardinal und die dazu gehörende Bildzeile liest(Der Kanzler und sein Beichtvater) könnte man schmunzelnd hinzufügen: Da haben sich nach dem Krieg zwei gefunden, über die zu lesen sich lohnt.
Bichers Buch von über 270 Seiten liest sich locker und schnell, die Geschichten sind nach zwei bis drei Seiten erzählt, spannend zu lesen, als wäre es erst gestern passiert. Nein, der Autor versucht nicht die Geschichte des Landes zu preisen und den Hochgesang auf die aufsteigende Republik anzustimmen, hier wird nichts schön geschrieben. Er schreibt auf, was war, was er als Zeitzeuge gesehen und erlebt hat, oder was er nachrecherchierte und dabei Kleinigkeiten herausfand, die der Geschichte den I-Punkt verleihen.
In seinem Editorial erwähnt der Autor für ihn Überraschendes, was sicher auch manchen Leser zur Erkenntnis bringt: Das habe ich nicht gewusst. Ich habe den Herausgeber und früheren Chefredakteur der Westfälischen Rundschau(WR), Günter Hammer, gekannt und dessen Humor und Gelassenheit sehr geschätzt. Norbert Bicher war Reporter und später Bonner Korrespondent der WR und hat von Hammer seine Sicht über den Sturz der journalistischen Ikone Werner Höfer erzählt bekommen, dem Erfinder und Macher des legendären Frühschoppens mit Journalisten aus vielen Ländern. Höfer leitete diese Runde mit seiner sonoren Stimme, dem Glas Wein in der Hand und seiner gespielten Überlegenheit über Jahre, bis er über seine Zeit während der NS-Jahre stolperte und ein jämmerliches Ende fand. Günter Hammer hat dabei aktiv mitgewirkt, man muss sagen: Zu Recht. Hut ab vor dem Mann aus Dortmund, der schon lange tot ist.
Oder nehmen wir die Sache mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, deren Grundlagen in einem Kloster in der Eifel beschlossen wurden. Wer kennt außerhalb von Bonn und Umgebung schon Kloster Himmerod? Wer weiß außer den älteren Journalisten noch, dass die Große Koalition, die 1966 die Regierungsfähigkeit der SPD mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner begründete und die zur Abwahl der Dauer-Regierungspartei CDU/CSU führte, in dem kleinen Ort Kressbronn am Bodensee entscheidend geprägt wurde? Kressbronner Kreis, schon mal davon gehört?
Tragisch der Unfall des Super-Handballers Joachim Deckarm vom VFL Gummersbach, der mit dem Kopf auf dem harten Hallenboden landete und sich dabei lebensgefährlich verletzte, schwere Lähmungen davon trug. Seine Karriere- Deckarm war damals der weltbeste unter den Werfern- war dann beendet. Bicher hat die Erschütterung über den Unfall als junger Sportredakteur der Kölnischen Rundschau miterlebt. Oder nehmen wir seine kleine Beobachtung nach dem Mauerfall in Berlin, seine Beschreibung des Dankgebets, mit dem der weltberühmte exilierte russische Cellist Rostropowitsch mit leisen Suitensätzen von Bach dieses tiefgreifende Ereignis an der Mauer feierte.
Wir erfahren Neues über Willy Brandt, lesen, dass das Misstrauensvotum, das der Unions-.Kandidat Rainer Barzel gegen Willy Brandt überrschadend verlor, auch weil Geld im Spiel war, in der Kölner Chez-Nous-Bar einen Vorlauf hatte. Schauplatz BRD, dazu gehört Auschwitz, die Sache mit den Stollen-Fußballschuhen beim Endspiel zwischen Deutschland und Ungarn in Bern 1954, dazu zählt das Nein des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder zum Irak-Krieg wie auch die Raumfahrt.-Mission des Alexlander Gerst. Und und und. Es ist ein Buch zum Schmökern, eine Broschüre, die man auf der Terrasse des Eigenheims wie im Ferien-Bungalow auf Kreta oder anderswo genießen kann.
Das Buch wird jetzt ausgeliefert. Der Blog-der-Republik veröffentlicht mit freundlicher Genehmnigung des Dietz-Verlages vier Geschichten aus dem Buch, um dem Leser einen Eindruck über das Werk zu verschaffen, vielleicht um Appetit auf mehr anzuregen.
Zwei Worte noch zum Autor: Norbert Bicher, Jahrgang 1951, war Parlamentskorrespondent der Westfälischen Rundschau und danach Pressesprecher des SPD-Fraktionschefs Peter Struck, den er in gleicher Funktion auch ins Verteidigungsministerium in Berlin begleitete und zu dessen engsten Beratern gehörte. Bicher lebt in Köln.
Norbert Bicher: Schauplatz BRD. Dietz-Verlag. 2019. 272 Seiten. 29.90 Euro