Ob die Veröffentlichung der Protokolle der Gespräche des Rundfunkjournalisten und Kohl-Ghostwriters Heribert Schwan mit dem Altkanzler unfair war, lasse ich mal dahingestellt. Dass das Buch mit dem Titel „Vermächtnis“ ohne Zustimmung Helmut Kohls zustande gekommen ist, stimmt ja wohl und man kann darüber auch die Nase rümpfen. Der journalistische Ehrenkodex sei verletzt worden, habe ich gelesen. Das ist nicht falsch, aber wer verzichtet schon gern auf solche Dokumente? Schwans Journalisten-Kollegen sollten keine Neid-Debatte führen. Kohl will ihm und jetzt auch seinem Mit-Autoren Tilman Jens rechtlich untersagen lassen, mehr als 100 Zitate aus den Gesprächen zu verwenden. Das wird spannend, denn das Buch ist auf dem Markt. Warten wir es ab. Aber Mitleid dürfte das letzte sein, was Kohl will.
Das Buch machte schon vor seiner Vorstellung in einer Pressekonferenz viel Aufsehen, weil Zitate des Ex-Kanzlers über seine früheren Mitstreiter aus der Union bekannt geworden waren, die Zitate, die Schwan in seinen 600 Stunden langen Gesprächen mit Kohl in dessen Keller in Oggersheim aufgenommen hatte. Darin rechnete der einstige Allherrscher der Union mit Schäuble, Späth, Blüm, Süssmuth, Wissmann, Stoltenberg, Biedenkopf, Weizsäcker und vielen anderen ab- in einer Sprache, wie man sie von Kohl erwarten konnte. Johannes Rau tat er als „absurde Figur, die sich da ins Amt des Bundespräsidenten geschlichen hat“, ab. Und wer Kohl in den Jahrzehnten seiner politischen Tätigkeit kennengelernt hat, den hat die verbale Brutalität nicht überrascht. Dass er sie als Verräter hinstellt, als hinterfotzig und als was sonst noch, ist ja nicht die feine Art, aber das war ja nie Kohls Spezialität.
Schwan macht in dem 256 Seiten langen Werk deutlich, wie nah er dem Kanzler in den Gesprächen Anfang des neuen Jahrtausends gekommen ist und wie er ihn erlebt und geschätzt hat, immerhin ein Mann des WDR, kein CDU-Mitglied, eher ein Sozial-Liberaler, wie der Autor sich selber sieht. Er beschreibt Kohls Härte, seine Belesenheit, seine Politik der Seilschaften, der Freundschaften, die ihn am Ende zum Ziel führten. Der Mann sei mehr als „Birne“, wie ihn einst seine Gegner aus der Politik wie der Kultur verspotteten, er sei nicht so plump und schon gar nicht trottelig, wie er gelegentlich beschrieben worden sei.
Bitter habe Kohl am Ende seiner langen und sehr erfolgreichen Laufbahn auf sein Werk geschaut, auf seine Vita. „Wer hat ihn jemals bewundert, geliebt oder wenigstens in seiner historischen Größe erkannt“? fragt Schwan an einer Stelle. „Nicht einmal seine CDU habe ihn, beklagt er sich, seinerzeit mit Euphorie erst zum Parteivorsitzenden und später zum Kanzlerkandidaten gewählt. Zumindest in den Anfängen hätten die vermeintlichen Freunde in ihm kaum mehr als einen Notnagel gesehen. .. Umworben, begehrt, so richtig gewollt war er nie, man hat ihn allenfalls geduldet“.
Aber Kohl als alten armen Mann, mal als missverstanden, mal als Opfer eines Racheaktes hinzustellen, als einen, der hintergangen worden sei, das geht mir zu weit. Kohl war oft in der Offensive, ging mit seinen Leuten selten zimperlich um und seine Interessen vertrat er mit einer Rücksichtslosigkeit, die nicht Halt machte vor irgendwelchen Freundlichkeiten. Man lese nach, wie er sich über seinen Regierungssprecher Friedhelm Ost laut Schwan herablassend geäußert hat, der aber schon vor seiner Berufung zum Sprecher Kohls ein ausgezeichneter Wirtschafts-Journalist im ZDF war und der es nicht dank Kohl so weit gebracht hat, wenn man das mal so sagen darf. Oder die Bemerkungen zu einem anderen Regierungssprecher, Peter Böhnisch hieß er, war früher Bild-Chef, der konnte es Kohl selbstredend auch nicht recht machen. Folgt man Schwan und dessen Protokollen, wünschte Kohl einen Pressechef, der „auch den Spiegel erpressen“ könne.
Man lese nach, wie er den Bonner Studio-Leiter des ZDF, Wolfgang Herles, „verschwinden“-gemeint wohl vom Sender- ließ, weil der, obwohl einst Mitglied der Jungen Union, sich seine kritische Bewertung der Politik Kohls nicht nehmen ließ, wobei Herles auch mit den anderen Parteien nicht anders verfuhr. Immer wieder kann man erfahren, dass Kohl sich mehr Dankbarkeit von jenen versprochen habe, die angeblich ihren Aufstieg seiner Hilfe verdankt hätten.
Auch über die Parteispendenaffäre und wie Kohl sie heute noch sieht und wie er seine Kritiker bewertet, findet sich in dem Buch des WDR-Rundfunkmanns einiges. Da fühlt er sich wohl weiter verraten, weil für ihn das Ehrenwort, das er den Spendern einst gegeben hat, höher einstuft als das Gesetz, das aber ausdrücklich verlangt, dass ein Täter die Spendernamen nennt. Norbert Blüm, der 16 Jahre lang Kohls Arbeits-und Sozialminister war und der viel für das Ansehen der CDU bei der Arbeitnehmerschaft getan hat-Blüm war zudem Mitglied der IG Metall-, hat in seinem Buch “Einspruch“ geschildert, wie seine Freundschaft mit Kohl über Nacht in die Brüche ging, nämlich weil Kohl sich gesetzeswidrig verhalten habe. Da habe auch kein Ehrenwort geholfen, so Blüm.
Schwan und Jens nehmen für sich in Anspruch, gestützt auf die Protokolle, ein „authentisches Porträt“ des Kanzlers gezeichnet zu haben, „eine Nahaufnahme“, „ein einzigartiges Zeugnis der Zeitgeschichte“. Ein bisschen viel, aber es ist lesenswert. Dass sich dieser Kanzler aber einst selber vom Sockel, auf dem er wegen seiner historischen Leistung bei der deutschen Einheit stand, geholt hat, wie Spiegel-Chef Rudolf Augstein damals urteilte, das stimmt. Und es ist auch richtig, dass Kohl eine Weile wegen des Gesetzesverstoßes, der seine Partei, die CDU in größte Nöte brachte, ist auch richtig. Und dies kann er nicht seinen Kritikern und schon gar nicht seinen Freunden von einst vorwerfen. Aber selbstgerecht war Helmut Kohl immer.
Heribert Schwan, Tilman Jens: Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle. Heyne Verlag, München 2014. 256 Seiten. 19.99 Euro.
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