Was prüft der gute deutsche Beamte zuerst? Richtig! Er prüft, ob er überhaupt zuständig ist und dann ob es materielle und/oder rechtliche Grundlagen für das Anliegen gibt, das da auf seinem Schreibtisch gelandet ist. Regierungssprecher Steffen Seibert seines Zeichens beamteter Staatssekretär hat das Ergebnis eines solchen Prozesses in einem lapidaren Satz zusammengefasst. Demnach ist nach Ansicht der Bundesregierung das Kapitel „Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg“ spätestens seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der alliierten Siegermächte mit der Bundesrepublik und der DDR endgültig abgeschlossen. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die historischen Fakten.
Griechenland hält an der Forderung nach einer Entschädigung in Höhe von über 280 Milliarden Euro für die im Zweiten Weltkrieg durch Verbrechen der deutschen Besatzungstruppen erlittenen Schäden plus der Rückzahlung einer Zwangsanleihe von damals 500 Millionen Reichsmark fest. Dabei ist die immer wieder gerne zitierte „Zwangsanleihe“ weder eine Anleihe noch ein Kredit im rechtlichen Sinn. Es handelt sich dabei ausweislich einer Akte (Signatur / R27320), die im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes lagert, um so genannte Besatzungskosten, die Griechenland hätte tragen sollen.
In einem Schreiben drängt die griechische Regierung dennoch auf die Begleichung der „Restschuld“. Weigert sich die Bundesregierung, sollen internationalen Gerichte entscheiden. Das Eigentum deutscher Firmen und Privatleute soll als Faustpfand dienen. Rechtsexperten beurteilen die Chancen der Griechen vor Gericht äußerst skeptisch. Dann müsste Athen seine Drohung wahrmachen und deutsches Firmen- und Privateigentum einziehen. Zurückbliebe am Ende eine arg ramponierte Freundschaft der beiden Ländern, die in mehr als sieben Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gewachsen ist und sich in der Euro- und Schuldenkrise des Mittelmeeranrainers bewährte. Andere Staaten wie Polen schauen mit Interesse auf diesen Vorgang. Auch in Warschau wird immer wieder laut über Reparationsforderungen nachgedacht – am liebsten öffentlich. Allerdings hatte Polen ebenso wie die Sowjetunion bereits 1953 auf solche Entschädigungszahlungen verzichtet.
Die Bundesrepublik hatte bereits Anfang der 60er Jahre sogenannte Globalabkommen mit zwölf westeuropäischen Staaten geschlossen. Man wollte Menschen helfen, die aus „Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ Opfer des Krieges wurden. Auch mit Griechenland wurde am 18. März 1960 ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen geschlossen. In einem diplomatischen Briefwechsel wurde dabei festgehalten, dass damit „alle den Gegenstand des Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis“ der beiden Länder „abschließend geregelt sind“. Damals wurden 115 Millionen D-Mark an Athen überwiesen. Auf den heutigen Wert umgerechnet sind das knapp 460 Millionen Euro. Ob das Geld je bei den Opfern der Naziherrschaft ankam, ist offen.
Soweit die Nachkriegsgeschichte! Die aktuelle Regierung Griechenlands wagt sich mit ihren Forderungen auf vermintes Terrain. Wer die Geschichte bemüht, muss damit rechnen, dass die Unterschiede Risse im Selbstbild entstehen lassen. Um Mißverständisse zu vermeiden, sei gesagt: Niemand wird ernsthaft die historische Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg bezweifeln – ebenso so wenig die Schuld an den Verbrechen, die von Hitlers nationalsozialistischem Regime in deutschem Namen in Deutschland und den besetzten Staaten begangen worden waren. Eine genauere Betrachtung und Aufarbeitung der Historie ist in der Regel aber auch für die Länder, die im Zweiten Weltkrieg überfallen und besetzt wurden, schmerzhaft. Das zeigen Diskussionen in Frankreich und den Niederlanden. Wie in allen Ländern gab es auch dort Menschen, die mit den deutschen Besatzern sei es aus opportunistischen Gründen oder, weil sie der Naziideologie nahestanden, kollaborierten. Historische Gesamtbilder entstehen eben nicht aus Schwarz und Weiß. Auch im Fall Griechenlands zeigt ein Blick in die Zeit von 1941 bis 1944 auch etliche Schattierungen, die bisher weitgehend ausgeblendet werden.
Griechenland war gemessen am Volkseinkommen und der Wirtschaftskraft ein armes Land. Um die Versorgung der sieben Millionen Griechen zu sichern, musste es Lebensmittel einführen. Nach dem kurzen Feldzug der verbündeten deutschen, italienischen und bulgarischen Truppen war der Staat von jeder Zufuhr abgeschnitten. Am 27. April 1941 besetzte die Wehrmacht Athen. Griechenland wurde in drei Besatzungszonen aufgeteilt. Der weitaus größte Teil des Landes stand unter italienischer Militärherrschaft. Bulgarien besetzte einige nördliche Gebiete und Hitlerdeutschland die Region um Saloniki, Attika und Kreta. Erst im September 1943, nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten, rückten deutsche Truppen in die italienische Besatzungszone ein.
Wie der Historiker Götz Aly in seinem Buch „Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ (FISCHER Taschenbuch Verlag) beschreibt, verschlechterte sich die Versorgungssituation der Bevölkerung dramatisch. Schließlich wurden aus dem besetzten Serbien Lebensmittel importiert, Bulgarien und Rumänien wurden zu Lieferungen gezwungen. Hitlers Beauftragtem Hermann Neubacher gelang es sogar das Internationale Rote Kreuz zu bewegen, Hilfsgüter an Griechenland zu liefern – mit Zustimmung der Schweizer, der Schweden und der Briten. Auch aus Deutschland selbst wurden Lebensmittel auf den Peloponnes geschickt. Aus den Kassen der Berliner flossen ein paar Millionen Reichsmark für den Bau von „wirtschaftsstrategisch wichtigen Straßen“. Üblicherweise mussten die besetzten Länder für solche Kosten aufkommen. Der Wert der griechischen Währung verfiel. Die Drachme musste gestützt werden. Das geschah nicht ohne Eigennutz, da der Sold für die deutschen Soldaten zu einem großen Teil in der nationalen Währung ausbezahlt wurde. Um die Preise auf dem freien Markt wieder einzufangen und damit auch den Unmut der deutschen Soldaten, über den wertlosen Sold zu besänftigen, stützte die deutsche Reichsbank die kränkelnde Drachme.
Götz Aly hat die Geschichte der unfreiwilligen Hilfe Hitler-Deutschlands detailliert niedergeschrieben. In diesem Zusammenhang führt er auch einige Indizien auf, die das griechische Geschichtsverständnis stark erschüttern dürften. Es geht dabei um die Deportation der Juden von Saloniki im Jahr 1943.
Saloniki war über Jahrhunderte eine Stadt, in der sowohl große türkische als auch jüdische Bevölkerungsgruppen lebten. Mit dem Flüchtlingsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland und der Übernahme der Stadt durch Griechenland Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde die Lage der jüdischen Gemeinde zusehends schwieriger. So versuchte die neue griechische Stadtverwaltung schon 1912 die jüdischen Friedhöfe im Zentrum zu enteignen. Das gelang erst 1942/43 unter der deutschen Besatzung. Heute steht dort die Universität. Während sich die Deportation griechischer Juden in den meisten Teilen des Landes schwierig gestaltete, wurden die jüdischen Menschen Salonikis fast vollständig in die Konzentrationslager und den Holocaust geschickt. Der Grund: Griechische Offizielle kooperierten mit den deutschen Besatzern. In diesem Zusammenhang schwiegen alle Beteiligten nach dem Zweiten Weltkrieg darüber, wie mit dem Vermögen der Deportierten, darunter 12 Tonnen Gold, verfahren wurde. Es wurde „gemeinsam verwertet“; – genauer, das Gold wurde zur Stützung der Drachme verwendet.
Eine so genannte Dokumentation des griechischen Außenministeriums aus dem Jahr 1998 über das Schicksal der jüdischen Landsleute, spricht von der traditionellen „Judenfreundlichkeit“ der eigenen Regierungen. So habe die Regierung Venizelos schon 1917 als erste europäische Regierung einen eigenen jüdischen Staat gefordert. Der Historiker Götz Aly zitiert in diesem Zusammenhang das Jüdische Lexikon von 1927. Dort werden dem griechischen Ministerpräsidenten Venizelos weniger freundliche Motive zugeschrieben. Nach der Übernahme Salonikis von den Türken seien Juden aus ihren Positionen“ verdrängt worden. Das Lexikon berichtet auch von der „Abwanderung zahlreicher Juden, die den griechischen Flüchtlingen aus der Türkei Platz machen mussten“. Venizelos „strebte danach, Saloniki zu entjuden und zu hellenisieren.“
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