Dreizehn Minuten, das ist die Zeitspanne, um die Georg Elser sein Ziel verfehlte. Der Tischler von der Schwäbischen Alb wollte vor 75 Jahren, am 8. November 1939, Adolf Hitler und seine diabolische Mörderbande stoppen. Mit der Planung begann Elser schon im Herbst 1938. Die Tat hatte das Motiv, den Diktator auszuschalten, um den Krieg zu stoppen. Er begann fünf Jahre früher als die überwiegend deutschnationalen Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vom 20 Juli 1944, derer die deutsche Öffentlichkeit jedes Jahr mit großer Zeremonie gedenkt. Und die Tat geschah natürlich vor einem völlig anderen politischen und sozialen Hintergrund. Georg Elser, der Sehende unter Blinden, war ein einfacher Mann mit einem klaren sozialen und demokratischen Bewusstsein. Er war kein Mann großer Worte, aber bereit zu konsequentem Handeln.
Die Bombe explodierte um 21. 20 Uhr am Pfeiler direkt hinter der Rednertribüne im Münchner Bürgerbräukeller. Wäre die Ausführung des Attentats erfolgreich gewesen, hätte sie den Lauf der Weltgeschichte entscheidend verändert. Wahrscheinlich wäre der Zweite Krieg verhindert, wären Millionen von Menschen vor Tod, Leid und Verzweiflung bewahrt worden, hätte es den Holocaust nicht gegeben. Doch Adolf Hitler verließ an diesem Tag das Treffen der „Alten Kämpfer“, die sich alljährlich in München trafen, unerwartet früh. Denn wegen des schlechten Wetters nahmen er und seine Clique den Zug zurück nach Berlin und nicht, wie ursprünglich geplant, erst später das Flugzeug. Sie entgingen dem sicheren Tod, weil Hitler bereits um 21.07 Uhr zum Bahnhof aufbrach.
Georg Elser stellte sich früh gegen die Nazis, denen er den Hitlergruß verweigerte. Er verachtete die Ideologie der Herrenmenschen und war ein moralisches Gegenbild zu den Nazis. Elser war Mitglied im Roten Frontkämpferbund, nicht aber in einer Partei. Er fühlte sich wohl im Gesangsverein Königsbronn und bei den Konstanzer NaturFreunden, im Kreis politisch Gleichgesinnter, die sich wie er für mehr Demokratie und Gerechtigkeit engagierten.
Georg Elser sah frühzeitig das Unheil heraufziehen, er befürchtete die Kriegsverbrechen der Nazis. Deshalb wollte er den Anschlag. Bedauerlicherweise wurden nicht Hitler, Goebbels, Heydrich, Himmler und Heß, der engste Kreis der Nazibonzen, die alle in München waren, ausgeschaltet. Getötet wurden acht Menschen, örtliche Parteigrößen, aber leider auch einfache Kellnerinnen, weitere 63 wurden verletzt. Die Nazi-Propaganda nutzte das gescheiterte Attentat sogar, um Hitler mit dem Mythos des unsterblichen Führers zu verbinden. Elser wurde am selben Abend in Konstanz bei einem Grenzübergang in die Schweiz von Zollbeamten festgenommen. Weil er „verdächtige Gegenstände“ in seinen Taschen hatte, wurde er der Polizei übergeben. Nach tagelangen Verhören in München gestand Elser seine Tat und bekräftigte seine Absicht, Hitler zu töten, um durch das Attentat den Weg zu einem europäischen Frieden zu ebnen.
Am 9. April 1945, nach jahrelanger Haft und vielen Folterungen, wurde er kurz vor Kriegsende auf persönlichen Befehl von Hitler im Konzentrationslager Dachau erschossen. Erst 1970 wurde das Vernehmungsprotokoll, das in den Akten des Reichsjustizministeriums lagerte, veröffentlicht. Die wichtigste Begründung seiner Tat hieß: „Ich habe den Krieg verhindern wollen“.
In Westdeutschland war der Widerstand gegen Hitler und gegen den Nationalsozialismus nach 1945 lange Zeit tabuisiert, sogar auch heftig umstritten. Erst Mitte der Fünfzigerjahre wurde die Bedeutung für die politische Kultur Deutschlands klar. Elser wurde dennoch diffamiert und sein Handeln irgendwelchen fremden Mächten oder Auftragsgebern zugeordnet, als sei er britischer Agent gewesen. Erst 1969 veröffentlichte Anton Hoch vom Institut für Zeitgeschichte nach langen Recherchen die genauen Fakten und räumte mit den Gerüchten und Mythen auf. 1970 veröffentlichte Lothar Gruchmann die Protokolle der Vernehmung Elsers, die wichtige Einblicke in das Denken und Handeln des Antifaschisten brachte. Dennoch blieb Elser die Anerkennung versagt, die seine Tat verdient hat. Die Bundeszentrale für Politische Bildung erstellte in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, dem Georg-Elser-Arbeitskreis und der Gemeinde Königsbronn eine Dokumentation über Georg Elser und das Attentat vom 8. November 1939.
Georg Elser selbst hatte vor seiner Tat viele Spuren verwischt, weil er Einzeltäter war und keine anderen mit in Verdacht bringen wollte. Unbestritten ist, dass Georg Elser viele Impulse für seine Haltung bei den Naturfreunden bekommen hat. Und der Elser Biograf Helmut Ortner schrieb: „Elser (war) im örtlichen Naturfreunde-Verein, zumindest sagte mir dies sein mittlerweile verstorbener Jugendfreund Eugen Rau.“ Elser informierte eben jenen Rau im August 1939 über seine Absicht, die „Regierung in die Luft (zu) sprengen, da Deutschland sonst keine Zukunft mehr“ haben würde.
Im nächsten Jahr, also 70 Jahre nach Kriegsende und anlässlich seines 70ten Todestages, werden Fred Breinersdorfer und Oliver Hirschbiegel einen Film über Elser ins Kino bringen. Späte Ehrung, denn im Vergleich zum sehr späten Widerstand des 20. Julis 1944 ist Elser ein verdrängter Held, der von Anfang an die Nazis stoppen wollte. Aber der wahre Antagonist Hitlers ist unbequem geblieben. Auch das macht das Versagen des deutschen Bürgertums deutlich.
Die Naturfreunde gedenken nicht nur am 8. November der mutigen Tat Elsers, sie werden auch am 9. April, zum 70ten Todestag einen Kranz an der Gedenkstätte für den Widerstandskämpfer in Berlin niederlegen. Denn an der Wilhelmstraße 93, wo der Führerbunker stand, wurde eine Silhouette des Kopfes von Elser errichtet. Sie soll an einen mutigen, aber fast vergessenen Widerstandskämpfer gegen Nationalsozialismus und Krieg erinnern – an Georg Elser.
Bildquelle: Illustrierter Beobachter vom 16.11.1939