Altkanzler Helmut Kohl galt immer schon als etwas nachtragend und gelegentlich auch als ein Stück weit selbstgerecht. Und wehe einer seiner früheren Weggefährten und/oder gar Freunde teilte in wichtigen Fragen wie der CDU-Spendenaffäre, die ja eine Kohl-Affäre wurde, Kohls Ansicht nicht, dann rechnete er schon mal mit diesen „Verrätern“, die er auch „hinterfotzig“ nannte, heftig ab. Norbert Blüm, Heiner Geißler, Angela Merkel, sie alle bekamen ihr Fett weg. So ist es im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu lesen, Quelle sind die zwischen dem WDR-Journalisten Heribert Schwan und Kohl aufgenommenen Gespräche in den Jahren 2001 und 2002. Norbert Blüm, 16 Jahre lang Kohls wichtiger Arbeits- und Sozialminister, hat sich dazu in seinem neuesten Buch „Einspruch“(Norbert Blüm: Einspruch. Wider die Willkür an deutschen Gerichten. Eine Polemik. Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014. 19,99 Euro)geäußert, ohne Kenntnis der jetzt bekannt gewordenen Schwan-Quellen und der darin enthaltenen Beschimpfungen. „Meine lange Freundschaft mit Helmut Kohl ging über Nacht in die Brüche, weil ich ihm in der Parteispendenaffäre nicht recht gab, sondern der Achtung des Rechts den Vorzug vor der Freundschaft gegeben hatte“, erklärt Blüm in dem Buch wörtlich und betont, dass ihm das nicht leicht gefallen sei.
Die Begründung liefert Blüm prompt: „Die Namen von Spendern müssen laut Parteiengesetz genannt werden. Helmut Kohls Verhalten, die Namen der Spender nicht zu nennen, war gesetzwidrig. Da half auch kein Ehrenwort. Dies regelt nur Verhalten jenseits von Recht und Gesetz, aber nicht gegen das Gesetz. Kein Hehler bleibt ungestraft, wenn er den Namen des Stehlers nicht nennt, weil er diesem ein Ehrenwort gegeben habe. Und keine Lüge wird aus Freundschaft Wahrheit. So wenig eine mathematische Aufgabe richtig wird, wenn jemand aus Freundschaft behautet, zwei mal zwei ergebe fünf.“
Blüm war nicht der einzige von Kohls Freunden, Weggefährten und ehemaligen engen Mitarbeitern, die das Verhalten des Altkanzlers kritisierten und auf Distanz zu ihm gingen. Kohls langjähriger Regierungssprecher Friedhelm Ost reagierte damals auch enttäuscht, als er erfuhr, dass Helmut Kohl entgegen anderslautender Erklärungen nun doch in die Spendenaffäre verwickelt war. Ost wie andere führende CDU-Politiker hatten Kohl immer wieder gegen Angriffe seitens der SPD in Schutz genommen, bis sie durch die ZDF-Sendung mit Klaus Bresser(Was nun Herr Kohl?) hörten, dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen waren.
Das Thema Kohl und die Spendenaffäre wurde auch im CDU-Vorstand diskutiert. Dabei ging es um die mögliche Aberkennung des Ehrenvorsitzes des langjährigen CDU-Chefs Kohl. Dazu noch einmal Blüm in seinem Buch „Einspruch“: „Selten habe ich mich so gequält. Bis zur letzten Sekunde der Abstimmung im CDU-Vorstand über die Aberkennung des Ehrenvorsitzes von Helmut Kohl habe ich gehofft, mir fiele ein Argument ein, das „Unheil“ abzuwehren. Mir fiel keins ein. So trage ich schwer an dem Vorwurf, den Freund im Stich gelassen zu haben. Der Verlust der Freundschaft ist ein hoher Preis für die Achtung des Gesetzes. Ich habe ihn bezahlt und will es nicht bereuen.“
Zurück zum „Spiegel“ und weiteren Äußerungen des Altkanzlers gegen frühere CDU-Gefolgsleute, Zitate, wie sie Kohl in den 600 Stunden dauernden Gesprächen in insgesamt 105 Sitzungen Schwan gegenüber geäußert haben soll. So ist über Angela Merkel zu lesen: „Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen.“ Hatte es früher anerkennend geheißen, Angela Merkel sei Kohls Mädchen gewesen, so liest sich das heute so: eine Frau, die er erst aus dem Meer der namenlosen Nachwuchspolitiker hätte fischen müssen. Merkel hatte sich einst in einem Aufsehen erregenden Aufmacher in der „FAZ“ von Kohl distanziert und die Kohl-Ära für beendet erklärt. Ihre Europa-Politik habe Kohl kritisch gesehen. Über Merkel und den damaligen Unions-Fraktionschef Friedrich Merz soll Kohl gesagt haben: „Die Merkel hat keine Ahnung und der Fraktionsvorsitzende ist ein politisches Kleinkind.“
Wolfgang Thierse(SPD), der damalige Bundestagspräsident, war nie ein Freund des Kanzlers Kohl und hatte diesen wegen der Spendenaffäre heftig angegriffen. So zu tun, als habe die Bürgerrechtsbewegung in der DDR zum Zusammenbruch des Regimes geführt, so Kohl, sei „ganz falsch“ und dem „Volkshochschulhirn von Thierse entsprungen“. Vielmehr sei die Schwäche Moskaus ursächlich gewesen für das Ende der SED-Diktatur.“
Bildquelle: Bundesarchiv B 145 Bild-F074398-0036, Bonn, Pressekonferenz Bundestagswahlkampf, Kohl, CC-BY-SA-3.0-de