Am 3. Oktober feiert Deutschland den Tag der deutschen Einheit. Warum eigentlich am 3. Oktober und nicht am 9. November? Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der Bundesrepublik bei, damit war die deutsche Einheit vollzogen. Aber die eigentliche Einheit hatte vorher stattgefunden. Sie war erzwungen worden durch die friedliche Revolution der Menschen in der DDR, durch machtvolle Demonstrationen wie jene am 9. Oktober 1989 in und vor der Leipziger Nicolaikirche, die als Friedensgebete seit vielen Jahren deklariert waren und an der bis zu 100000 Menschen –je nach Schätzung- teilgenommen haben.
Warum haben wir nicht den 9. November zum Tag der Einheit gemacht? Am 9. November 1989 wurde die Mauer in Berlin geöffnet, man kann auch sagen, sie fiel, womit praktisch die SED-Macht besiegelt wurde, weil die Grenze nicht mehr zu schließen war. Aber der 9. November ist ein Schicksalstag der Deutschen, der auch mit vielen anderen Ereignissen verbunden ist. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann aus einem Fenster des Berliner Reichstags die deutsche Republik aus. Fünf Jahre später, 1923, scheiterte der Hitler/Ludendorff-Putsch ebenfalls an einem 9. November. Und 1938 ließen die Nazis im deutschen Reich fast alle Synagogen niederbrennen, ein Fanal gegen die Deutschen jüdischen Glaubens. Am 9. November.
In diesem Jahr ist die offizielle Feier zum Tag der deutschen Einheit in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Mit Hannover hat die Einheit wenig zu tun, überhaupt fand die friedliche Revolution ja in der DDR statt, nicht im Westen. Aber es ist politisch zwischen allen Parteien so vereinbart, dass der Ort in jedem Jahr wechselt.
Die friedliche Revolution 1989 gehört den Menschen in der DDR. Sie hatten den Mut, dem SED-Regime die Stirn zu bieten. Sie machten das durch Worte, kleine Proteste, durch Schreiben. Sie zogen mit Kerzen über die Straßen Leipzigs und die Machthaber schauten zu. Diese hätten auch zuschlagen und die Demonstranten über den Haufen schießen können. Sie hätten Panzer und andere militärische Fahrzeuge auffahren lassen können. Sie taten es nicht. Am Ende war es eine Massenbewegung, mit dem das Regime nicht mehr fertig wurde, vielleicht, weil es ohnehin am Ende war, der Staat pleite.
Einer der führenden Köpfe der friedlichen Revolution war der evangelische Pfarrer Christian Führer, der Montag für Montag zu den Friedensgebeten in die Leipziger Nicolaikirche einlud. Ursprünglich hatte man gegen das Wettrüsten in aller Welt demonstriert und geredet, dann mehr Demokratie gefordert, schließlich Menschenrechte, hatte für die Ausreise plädiert, Reisefreiheit verlangt. Die SED versuchte, diese Montagsgebete zu unterwandern. An besagtem 9. Oktober 1989 sollen bis zu 1000 Stasi-Mitarbeiter in der Kirche und davor gewesen sein. Die Menschen spürten das, sie hatten Angst, aber sie blieben zusammen und versteckten sich nicht mehr. Übrigens begannen die Friedensgebete schon um 1980 als gemeinsame Aktionen der evangelischen Jugendpfarrämter in Ost und West als Aktionen gegen das Wettrüsten. Der Pfarrer Führer ist im Juni diesen Jahres verstorben.
Auch der Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses, Kurt Masur, gehörte dem Kreis der Bürgerrechtler, wie man sie auch nannte, an. Sein Name findet sich unter Aufrufen aus jener Zeit. Bärbel Bohley war eine der bekanntesten Persönlichkeiten der DDR aus diesen Jahren. Ein anderer Name war Katja Havemann, die Witwe von Robert Havemann, der nie mit seiner kritischen Haltung zur SED hinterm Berg hielt und oft von den Machthabern quasi unter eine Art Quarantäne gestellt wurde, er durfte dann das Haus nicht verlassen, niemanden empfangen. Sie zählte zu den Gründern des Neuen Forums, aus dem später das Bündnis 90 und dann das B90/Die Grünen hervorgingen. Auch der Arzt und Molekularbiologe Jens Reich war dabei. Später kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten- vergeblich. In diese Zeit fällt auch die Gründung der SDP, so genannt, weil man den verbotenen Namen SPD vermeiden wollte. Zu ihren Führungsleuten gehörten Markus Meckel, Stephan Hilsberg und Ibrahim Böhme, der später als Stasi-Mitarbeiter entlarvt wurde. Die SDP wurde damals in einem Pfarrhaus in dem Dorf Schwante in Brandenburg gegründet- und wie sich später herausstellte, war die Stasi mit ihren Lauschgeräten dabei.
Wir bleiben hier, riefen die Menschen, um zu zeigen, dass sie nicht ausreisen wollten in den Westen. Wir sind das Volk, lauteten die machtvollen Sprechchöre in Richtung SED. Erst später wurde daraus: Wir sind ein Volk. Denn die Wiedervereinigung zählte nicht zu den ursprünglichen Zielen der friedlichen Revolution. Sie wollten Freiheit, Freiheit der Rede, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, sie wollten frei und geheim wählen können, Reisefreiheit.
Und einen sollten wir am Tag der Einheit nicht oder besser nie vergessen: Die Entwicklung ist ohne den damaligen sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow nicht denkbar. Er sorgte dafür, dass sich 1989 nicht wiederholte, was 1953, 1956 und 1968 den Menschen in der DDR, in Ungarn und in der CSSR wiederfahren war. Damals waren die Aufständischen durch militärische Gewalt niedergeknüppelt worden. Die Panzer und Soldaten der Roten Armee blieben in den Kasernen. Damals versprachen der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl wie auch der britische Außenminister und andere führende Politiker des Westens, die Nato werde sich nicht auf ehemaliges sowjetisches Gebiet ausdehnen, die Bundeswehr sollte auch nicht im Osten Deutschlands, also auf DDR-Gebiet stationiert werden. Es kam anders, wie wir wissen. Der Kampf um die Ukraine, der Krieg dort hat eine der wesentlichen Ursachen in dieser Entwicklung.
Bildquelle: Bundesarchiv Bild 183-1990-1003-400, Berlin, deutsche Vereinigung, vor dem Reichstag von Grimm, Peer – Dieses Bild wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0-de über Wikimedia Commons.