Flucht und Vertreibung gehören zur deutschen und europäischen Geschichte und Gegenwart. Das gab es eigentlich schon immer, dass Menschen vor etwas flohen, wegen eines Krieges, einer Hungersnot. Heute sind weltweit 68 Millionen Menschen auf der Flucht, und nur ein Bruchteil von ihnen kommt nach Europa, nach Deutschland. Und doch ist es ein Riesenthema, das eine Rechtsaußen-Partei fast in den Mittelpunkt politischer Diskussionen bringt und sie in Landtage und den Bundestag beinahe spült, gemeint ist die AfD. Diese Partei polemisiert mit ihrer Fremdenfeindlichkeit gegen Flüchtlinge, gegen deren Integration, und sie polarisiert in teils übler Weise und steckt nicht wenige Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an. Gerade so, als wäre Flucht und Vertreibung ein Vergnügen. Dabei gilt der Satz, auch wenn er bitter klingt: Etwas Besseres als den Tod findest Du überall. Das ist es, was Menschen dazu bringt, ja zwingt, die geliebte Heimat zu verlassen.
Ankommen in Deutschland gestern und heute, hieß das Thema einer Podiums-Diskussion im Bonner Haus der Geschichte. Migration aus persönlicher und journalistischer Perspektive. Die Ankunft von Flüchtlingen- das klingt fast so, als kämen sie mit einem Sonderzug und Musikbegleitung-stellt im Gegensatz ganz Europa vor große Herausforderungen. In Deutschland ist die Situation nicht neu, das gab es schon mal gegen Ende des 2. Weltkrieges und nach 1945, als rund zwölf Millionen Vertriebene ihre Heimat in Pommern, Schlesien, West- und Ostpreußen verlassen mussten, weil die Front des Krieges näherrückte und die Rote Armee im Vormarsch auf das Deutsche Reich war. Flucht und Vertreibung waren eine direkte Folge des von Nazi-Deutschland angezettelten Krieges.
Auf dem Podium saßen der Journalist, Buchautor und Ex-Regierungssprecher von Gerhard Schröder, Uwe-Karsten Heye, den Blog-der-Republik-Lesern als Autor des Blogs wohl bekannt, Heye ist selber ein Flüchtlingskind. Zu seiner Geschichte gehört, dass er als Kleinkind-Heye ist Jahrgang 1940- an der Hand seiner Mutter eigentlich auf der „Gustloff“ Richtung Westen fahren wollte, die Mutter hatte schon auf dem Schiff gebucht, sie zog aber den Landweg nach Westen vor. Zum Glück für Mutter, Tochter und Sohn, denn die „Gustloff“ wurde am 30. Januar 1945 von drei Torpedos des russischen U-Boots S13 getroffen, das Schiff, übervoll beladen mit Tausenden von Flüchtlingen, sank, nur wenige konnten sich im eisigen Wasser der Ostsee retten. Zur Geschichte gehört, die aber an diesem Abend in Bonn nicht erzählt wurde, dass Vater Heye in einer Strafeinheit an der Ostfront zum Minenräumen eingesetzt wurde und im Krieg verschwand, er galt als vermisst, man hielt ihn für tot. Der Vater suchte nach dem Krieg die Familie, die er 1942 in Danzig hatte zurücklassen müssen, und erfuhr, dass sie auf der letzten Fahrt der „Gustloff“ gebucht waren und offenkundig mit dem Schiff in der Ostsee ertrunken waren. Auch er hielt Frau und Kinder für tot. Erst 1963 trafen sich Vater und Sohn in Stuttgart. Heye hat darüber ein ergreifendes Buch geschrieben. Das nur nebenbei.
Neben Heye saßen auf dem Podium Dr. Hans-Ulrich Wagner(Hans-Bredow-Institut für Medienforschung), der das Projekt „Flucht und Vertreibung im Rundfunk“ vorstellte. Dann der Schriftsteller Abbas Khider, die Journalistin Isabel Schayani, die für den WDR arbeitet, und die Moderatorin von WDR 5, Rebecca Link.
Jahrelang lebten sie in Auffanglagern und Baracken
Vom Jahrhundert der Vertreibung sprach zu Beginn der Chef des Hauses der Geschichte, Prof. Walter Hütter und von einem weltweiten Massenphänomen. In das Thema führte dann Prof.Heinz Glässgen ein, Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD. Es gebe keine schlüssige, allgemein gültige Antwort auf das Problem und bezog die Integration mit ein. Er erinnerte an die Zeit des Kriegsendes, als fast alles in Scherben lag, ein durch und durch zerstörtes Land, zerstört durch die Nazi-Diktatur und das böse Ende, die Bombardierung der Städte. Viele, sehr viele, fast alle hatten nichts mehr, kaum ein Dach über dem Kopf, nichts oder wenig zu essen, kein Heizmaterial, keine Arbeit. Jahrelang mussten Millionen in Baracken und Auffanglagern leben.
Es ging ums reine Überleben, für fast alle, Einheimische wie Flüchtlinge. Man wusste am Abend nicht, wovon man am nächsten Morgen sich ernähren sollte. Vergleichbar mit heute- ja und nein. Damals waren es Deutsche, sie unterschieden sich in der Sprache von den Einheimischen nur durch ihren Dialekt, die Flüchtlinge sprachen z.B. schlesisch, die Einheimischen in Stuttgart eben schwäbisch. Die Integration war damals nicht leicht, weil anders als heute fast alles kaputt war, heute dagegen kommen die Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern in ein gelobtes Land, dem es gut geht. Und doch stoßen sie auf Ablehnung, eine Haltung, die gefördert, ja geputscht wird durch die AfD.
Nach 1945 war es ein wenig anders, politisch gewollt war die Eingliederung der Vertriebenen, Vorbehalte gab es dennoch. Ich habe Plakate gesehen, man schaue in alten Zeitungen nach, wo man den Ankommenden auf ihren Planwagen riet, sie mögen weiterziehen, man habe keinen Platz für sie. Das war noch die harmlosere Variante. Neid gab es auch, weil es den Lastenausgleich gab damals und um diese Hilfe rankten sich manche negative Geschichte gegen die Schlesier und Ostpreußen. Eingespielt wurde auf dem Podium ein Hilfsaufruf eines Landrats, man möge den Umsiedlern helfen, ein Dach über dem Kopf zu finden, ihnen zu essen geben und sie müssten in den Arbeitsprozess eingebaut werden. Und man hörte schon heraus, dass man davon ausging, dass die Umsiedler bleiben würden.
Wir brauchen den Dialog mit Neuankömmlingen
Neuankömmlinge und Einheimische müssten in einen Dialog eintreten, als Beispiel genannt wurden Schlesier und Schwaben. Und man hörte von einer Einspielung aus einer Rundfunksendung den Satz: Je mehr wir voneinander wissen, desto mehr können wir einander verstehen. Ob das so oder ähnlich vergleichbar ist, übertragbar mit Heute?
Uwe-Karsten Heye, der Gründer der Aktion „Gesicht zeigen. Für ein weltoffenes Deutschland“ sprach davon, wie er angekommen war, damals als Kind und wie er sich gefühlt habe. Nämlich als Fremder im eigenen Land. Er kam aus Danzig, landete in Mecklenburg-Vorpommern in der DDR, wohnte in Hamburg, Mainz und Bonn, heute lebt er mit Familie in Potsdam. Ein weiter Weg. Wie das damals war. Heye erzählte, dass eben alle Hunger und alle gleich wenig gehabt hätten, der Mangel habe alle getroffen. Es sei auch für die Einheimischen nicht leicht gewesen, die anderen, die Flüchtlinge mit durchzufüttern, weil sie auch wenig bis gar nichts gehabt hätten.
Und heute? Natürlich muss man über Chemnitz reden, den ausländerfeindlichen Demonstrationen durch Pegida und die AfD, den üblen Parolen der Neonazis. Dass das nicht das ganze Bild von Deutschland abgibt, ist wahr. Aber der fremdenfeindliche Aspekt ist da. Warum an diesem Abend von der Moderatorin der Fall Maaßen gar nicht angesprochen wurde, der ja die Vorkommnisse, die Hetzjagd gegen Ausländer verniedlichen wollte und der just an diesem Abend zwar als Präsident des Verfassungsschutzes entlassen, aber dafür zum Staatssekretär befördert wurde, ist mir nicht erklärlich geworden bei der Diskussion. Auch das Thema NSU kam nicht vor, es wurde nicht mal gestreift, dass eine Mörderbande zehn Jahre ihr Unwesen treiben konnte unter den Augen des Verfassungsschutzes und niemandem von denen fiel es auf? Dass dagegen Ausländer, Leute mit Migrationshintergrund sofort verdächtig worden waren, die Morde begangen zu haben, dieser Skandal fand an diesem Abend kein Gehör. Aber er gehört zum Problembereich „Ankommen in Deutschland“.
Der Schriftsteller Abbas Khider, der seit 18 Jahren in Deutschland lebt, verheiratet ist, ein Kind hat, deutscher Staatsbürger ist, erzählte, wie er sich immer wieder verteidigen müsse gegen Angriffe verbaler Art- weil er einen ausländischen Namen trägt und aussieht, wie einer aussieht, wenn er in Bagdad geboren ist. Sein Roman „Ohrfeige“ erzählt vom Verlust der Heimat, einem Leben in der Fremde und Behördenwillkür. Das alles erlebt der Mann auch heute. Er mache keine Lesungen mehr im Osten, gesteht er, weil er sich bedroht fühle, weil Leute ihm gesagt hätten, oder soll man besser sagen, gedroht hätten, „wir wissen, wo du wohnst.“ Dass man es da mit der Angst zu tun kriegt, verwundert nicht.
Wie lange ist man Flüchtling in Deutschland?
Ähnlich die Schilderungen der deutsch-iranischen Journalistin Isabel Schayani, die in Essen geboren ist, sie arbeitet für die Tagesschau. Ihr persischer Vater kam schon in den 1950er Jahren nach Deutschland. Und dennoch ist sie auch heute noch des öfteren fremdenfeindlichen Äußerungen ausgesetzt, muss sich verteidigen, rechtfertigen, sich anhören, dass sie doch besser wieder in ihre Steppe gehen möge, dorthin, wo sie herkomme. Dabei trägt sie modische Kleidung, kein Kopftuch, spricht akzentfreies Deutsch. Sie gab die Frage eines Kollegen wieder, wie lange man denn Flüchtling sei in Deutschland? Da konnte man raushören, dass er nicht mehr abgestempelt sein wollte als Flüchtling. Nochmal: Frau Schayani ist in Essen geboren.
Man muss auf den Widerstand der Zivilgesellschaft hoffen, damit es aufhört mit der Fremdenfeindlichkeit, damit Integration wirklich funktioniert und wir auch über das Funktionieren reden, über das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern. Und dazu gehört, dass man den Rechtsextremismus als solchen weder schönreden noch wegreden darf, wie geschehen im Osten. Man muss hinsehen und hinhören. Und man muss den Flüchtlingen eine Stimme geben, als Journalist von Zeitungen, Funk und Fernsehen. Uwe-Karsten Heye sprach das Problem an. Warum Ausländerfeindlichkeit im Osten der Republik vor allem verbreitet ist? Ich weiß es nicht, ich weiß auch nicht, ob das stimmt. Aber dass wir uns vor dem Problem nicht drücken dürfen, steht fest. Was nicht bedeutet, die AfD in jede Talkshow einzuladen, damit ihre Leute dort ihre Propaganda loswerden können.
Dass manches falsch gemacht worden ist in der alten Bundesrepublik, darauf wies Heye hin, der ja selber hier aufwuchs. Gerade in den 50er Jahren wurde die Dämonisierung Russlands betrieben, heute empfinde ich das auch als Vorwand oder Ausweg, um über die schlimme Nazi-Zeit nicht zu reden. Es gab ein großes Verschweigen. Damals in der Bundesrepublik West. Der Russe war das Übel, die DDR fast ein schlimmerer Staat als es die Nazi-Zeit gewesen war. Und die fabrikmäßige Ermordung von sechs Millionen Juden? Ja, diesen Eindruck vermittelten Politiker wie Konrad Adenauer gelegentlich. Und man redete sich raus, wenn sie auf die 12 Jahre Nazi-Zeit angesprochen wurden, der Wiederaufbau habe alle Kräfte gebraucht. Es dauerte bis in die 60er Jahre, ehe Auschwitz zum Thema wurde und die Prozesse geführt wurden.
Lügenpresse ist kein ostdeutsches Phänomen
Die Sache mit der Lügenpresse ist im übrigen kein ostdeutsches Phänomen. Sie erinnert an manche Aufmachungen der Bildzeitung, wenn sie gegen die 68er wetterte und polemisierte und den Millionen Lesern- unterlegt mit den entsprechenden Bildern- erklärte: Diese Drecksarbeit dürfe man nicht der Polizei allein überlassen. So ähnlich war das. Es wurde auf dem Podium daran erinnert, dass im Westen nicht alles sauber gewesen sei, besser als in der DDR. Es ist schon richtig, dass wir nicht mit dem Finger Richtung Dresden und Chemnitz zeigen sollten. Wer das mit dem Zeigefinger tut, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurückzeigen.
Widerstand, Es gibt ihn, Heye erwähnte das Beispiel Potsdam, wo Pegida kein Bein an den Boden bekomme. Potsdam mit seinem böhmischen Viertel, seinem russischen Vierteil, seinem holländischen Viertel. Eine ostdeutsche Stadt, nahe Berlin. Man hätte hinzufügen können, dass auch Bonn eine Gegendemo organisiert hatte, als Pegida am Rhein gegen Flüchtlinge mobilisieren wollte. Sie bekamen keinen Stich und haben es seitdem nicht mehr versucht.
Ja, es gibt Exzesse im Netz. Heye zitierte einen bösen Satz eines Rechtsextremisten: „Die Gleise nach Auschwitz liegen noch“. Da wird einem kalt ums Herz, ich werde dabei auch wütend über diese Art der Entgleisungen. Und man schämt sich, dass so was möglich ist. Sie sind nicht die Regel, das stimmt. Aber dann müssen wir auch dafür sorgen, dass es nicht d i e Flüchtlinge sind. Und wenn ein Flüchtling kriminell wird, ist nicht die ganze Sippe kriminell. Achten wir darauf.
Wir müssen mehr tun, Haltung zeigen. Es braucht menschliche Begegnungen. Und den Flüchtlingen muss das Angebot gemacht werden, wenn ihr hier ordentlich mitmacht, seid ihr willkommen, gehört ihr dazu. In diesem Sinne gilt: Wir schaffen das. Und wir sind mehr. Deutschland ist bunt und nicht braun.