Es ist ein Abschied mit großen Worten: „Ich habe mich überlebt“, schreibt der Literaturkritiker, Essayist und Romancier Fritz J. Raddatz in einem Beitrag der „Literarischen Welt“ und verabschiedet sich damit nach mehr als 60 Jahren aus dem Journalismus. Knapp ein halbes Jahr nach dem Erscheinen seiner „Tagebücher 2002-2012“ überlässt der 83-Jährige nun anderen, Jüngeren, das Feld der Literaturkritik, das er selbst in den 70er und 80er Jahren entscheidend mit geprägt und beeinflusst hat. Wohlgemerkt, ohne je unumstritten gewesen zu sein.
Es verdient Respekt zu wissen, wann die beste Zeit ist aufzuhören. Raddatz, der sich, wie er schreibt, für nicht mehr zeitgemäß hält, wollte so nicht enden wie so viele, als Karikatur seiner selbst. Deshalb bedient er sich zum Abschied noch einmal all seines literarischen und essayistischen Könnens und zieht Bilanz. Raddatz, der Zeit seines journalistischen Lebens Autoren wie Kollegen gleichermaßen loben wie beleidigen konnte, schreibt nun: „Meine ästhetischen Kriterien sind veraltet, das Besteck des Diagnostikers rostet, meine Gierfreude am Schönen der Kunst ist zu Asche geworden, der gefiederte Pegasus, mit dem ich durch Bild und Text galoppierte, lahmt. (….) Ich bin nicht mehr zeitgemäß. Ergo sollte ich nicht weiterhin richten noch rechten noch urteilen; wer urteilt, gibt ja zumindest vor, Bescheid zu wissen; und wer nicht mehr Bescheid weiß, soll sich bescheiden.“
Es ist eine weise und zugleich selbstkritische, vielleicht gar eine bittere Erkenntnis, die Fritz J. Raddatz nun zum Rückzug verleitet. Er galt vielen stets als Dandy der Literaturkritik, als selbstgerecht und eitel – und bedient sich womöglich gerade deshalb am Ende noch einmal der großen Bühne.
Viele werden seinen Abschied bedauern, andere ihn für längst überfällig halten. Insgeheim freuen wird sich womöglich ein anderer seiner Zunft: Hellmuth Karasek nutzte das Erscheinen von Raddatz’ Tagebüchern jüngst zu einer Abrechnung mit dem, wie er schreibt, der „alles von Oscar Wilde hat – nur nicht den Stil“, der sich zu Unrecht als „den größten Essayschreiber seiner Zeit schmeicheln“ ließ und der doch fahrlässig und besserwisserisch war.
Karasek selbst hat übrigens ebenfalls erst kürzlich seinen Rückzug angekündigt, zumindest aus dem Fernsehen. Der Literaturkritiker, der stets gern gesehener Gast im deutschen Quizfernsehen war, will kürzertreten. „Ich werde Einladungen in Quizshows künftig ablehnen, weil ich mir nicht mehr so viel merken kann“, sagte der 80-Jährige jüngst: „Für ABCD-Fragen würde es vielleicht noch reichen, aber ich will nicht als Volldepp enden.“
Unterschiedlicher könnten diese beiden ihren Abschied kaum ausdrücken. Am Ende aber eint sie eben doch die Erkenntnis, dass es gut ist zu wissen, wann man aufhören muss.