Symbolpolitik ist eine Versuchung. Sie befriedet Debatten für den Moment. Nachhaltige Veränderungen bewirkt sie allerdings nicht. Die rechtsextremen Umtriebe in der Bundeswehr sind ein Beispiel dafür. Die bloße Umbenennung von Kasernen wird Ausschweifungen mit Nazi-Gehabe, die Verherrlichung der Kriege und die Glorifizierung der Wehrmacht nicht verhindern.
Tradition lässt sich nicht verordnen. Ein Traditionserlass für die Bundeswehr dient vor allem der Entlastung von Verantwortlichkeit der politischen und militärischen Führung. Er dient als Richtschnur für das Idealbild der Außendarstellung, für Gewolltes und Unerwünschtes. Hauptsache, die Truppe produziert keine weiteren Skandale und beschert der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) keine neuen Peinlichkeiten.
In den Köpfen ändert ein Erlass nichts. Für das Gedankengut in der Bundeswehr sind gesellschaftliche Entwicklungen prägender, und die zunehmende Militarisierung des Denkens gibt da aktuell einen unheilvollen Ton vor. Die Rechtfertigung völkerrechtswidriger Militäreinsätze propagiert das Recht des Stärkeren. Auch ohne eigenes Mitwirken beeinflusst der Beifall für die Bündnispartner das Selbstverständnis der deutschen Soldatinnen und Soldaten. Sinnstiftend ist das nicht.
Die Kaserne in Hannover hat einen neuen Namen. Die Emmich-Cambrai-Kaserne heißt fortan Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne. Tobias Lagenstein ist 2011 im Alter von 31 Jahren in Afghanistan bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden, als erster Feldjäger im Einsatz. Erstmals ist nun ein Gefallener der Bundeswehr – samt Dienstgrad – Namensgeber für eine Kaserne.
Ein Fortschritt, ohne Zweifel, dass die Bundeswehr nicht länger dem preußischen Infanteriegeneral Otto von Emmich huldigt; eine vertane Chance aber auch, nicht völlig vom zeitgeistbestimmten Personenkult abgerückt zu sein. Helden sind stets Konstrukte ihrer Zeit, und der Krieg in Afghanistan hat keine Aussicht, vor der Geschichte als sinnvoll und richtig zu bestehen.
Auch Otto von Emmich galt lange als ehrungswürdig. In Hannover wurde ihm die Ehrenbürgerschaft verliehen, nach ihm ist der Emmichplatz benannt. Erst hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg kratzt ein militärgeschichtliches Gutachten der Bundeswehr an dem schönen Schein. Emmichs Beteiligung am völkerrechtswidrigen Überfall auf Belgien war von der Bevölkerung schon in den 1960er Jahren problematisiert worden. Ihre damals gescheiterte Forderung nach einem neuen Namen für den Emmichplatz findet jetzt Gehör.
Das aktuelle Gutachten über den General stellt ferner fest: „Bei den von ihm geführten Kämpfen um die Festung Lüttich im August 1914 sowie beim weiteren Vormarsch der deutschen Truppen kam es zu Ausschreitungen gegen und Hinrichtungen von Zivilisten durch deutsche Soldaten, die in der neueren Forschung als kriegsvölkerrrechtswidrig gewertet werden.“ Gestern Held, heute Kriegsverbrecher. Die Bundeswehr hat viele falsche Vorbilder gepflegt.
1995 wurde die Dietl-Kaserne im bayerischen Füssen in Allgäu-Kaserne umbenannt, die Mittenwalder General-Kübler-Kaserne in Karwendel-Kaserne. Seit 2012 heißt die General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall Hochstaufen-Kaserne, seit 2016 die General-Fahnert-Kaserne in Karlsruhe Kirchfeld-Kaserne. Die Benennung nach dem Standort ist möglich, doch die Beharrungskräfte in der Armee sind zäh. Die gleich drei Generalfeldmarschall-Rommel-Kasernen in Augustdorf, Osterode und Dornstadt zeugen von der anhaltenden Legendenbildung um den „Wüstenfuchs“.
Dem neuen Traditionserlass (und auch seinem Vorgänger von 1982) nach dürfte das nicht sein. „Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen“, steht dort, und: „Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig.“ Ausnahmen gelten etwa für die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 und für Wehrmachtsangehörige, die sich um den Aufbau der Bundeswehr verdient gemacht haben.
Eine Wehrpflichtarmee damals noch, die die Soldaten als mündige Staatsbürger in Uniform betrachtete und allein der Landesverteidigung verpflichtet war. Die Bundeswehr von heute sei grundlegend verändert zu einer „Armee der Einheit und im Auslandseinsatz“, begründete die Ministerin die Überarbeitung des Traditionserlasses. Sicherheitspolitische Wandlungen wie das Ende des Kalten Krieges, strukturelle Anpassungen und neue Herausforderungen hätten der Truppe ein neues Gesicht gegeben.
Zu diesem neuen Gesicht will so gar nicht die heruntergekommene Ausrüstung der Bundeswehr passen, von der in diesen Tagen immer wieder neue Hiobsbotschaften kommen. Genauso wenig wie die Berichte über den inneren Zustand der Truppe, die der Wehrbeauftragte in trauriger Regelmäßigkeit verfasst. Neben rechtsextremistischen Verdachtsvorfällen stiegen demnach auch die Zahlen der Beschwerden über unangemessenes Führungsverhalten, Mobbing und sexuelle Belästigung an. Die enorme personelle Unterbesetzung habe sich weiter verschärft, heißt es zudem in dem jüngsten Bericht vom Februar. Da liegt weitaus mehr im Argen, als der Verteidigungsministerin lieb sein kann. Wie eingangs gesagt, Symbolpolitik genügt nicht.
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