Dass es Armut in Deutschland gibt, ja so arme Leute, die sich ein warmes Essen nicht täglich leisten können, dass es Menschen gibt im reichen Deutschland, die überhaupt zu wenig haben zum Leben, Rentnerinnen, Rentner, Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und andere, diese Nachrichten werden in bestimmten Kreisen gern mit einem leichten Lächeln versehen. In Afrika, Asien, Südamerika ja, aber doch nicht hier. Doch, und spätestens seit den Berichten über die Essener Tafel dürfte das Thema in aller Munde sein. Der dortige Chef, Jörg Sartor, hat einen vorübergehenden Aufnahme-Stopp für weitere Ausländer beschlossen, weil der Migrantenanteil an der Tafel in Essen bei 75 Prozent angelangt sei. Vor allem ältere deutsche Nutzerinnen sowie allein erziehende Mütter hätten sich abgeschreckt gefühlt von den vielen fremdsprachigen jungen Männern, sie hätten sich bei der Lebensmittelausgabe durch Zuwanderer bedrängt gefühlt. Er, Sartor, habe auch bei Ausländern „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ beobachtet. Sartor will Lebensmittel gerecht an alle verteilen. Deutsche würden nicht mehr so viel Essen bekommen, weil ausländische Großfamilien zur Tafel kämen, so haben es Betroffene geschildert.
Nun hat es Kritik gehagelt an der Essener Maßnahme, daran, dass Ausländer diskriminiert würden. Bedürftigkeit sei das Maß und nicht der Pass, urteilte Bundessozialministerin Katarina Barley(SPD). Ähnliches kam von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann(CDU). Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennten grundsätzlich keine Herkunft. Alles richtig. Aber der Beobachter fragt sich, wer denn Schuld daran ist, dass es überhaupt Tafeln in Deutschland gibt. Er fragt sich, warum die Politik sich hier zu Wort meldet. Sie müsste eigentlich schweigen, ist doch die Tatsache, dass Tafeln in Deutschland nötig sind, damit armen Menschen geholfen wird, eine Anklage gegen den Sozialstaat, der seiner Pflicht nicht nachkommt.
Alle Bedürftigen gleich behandeln
Sie sind für alle Bedürftigen da, egal welche Hautfarbe, Konfession oder Nationalität die Menschen haben, die um Essen oder Kleidung anstehen. Das sind die Grundsätze der Tafelbewegung. Die Bedürftigen heißen Kunden, nicht Arme, klingt besser. Aber was will eine Tafel wie in Essen machen, wenn sie selber nicht mehr weiter weiß, wie sie dem Ansturm der Flüchtlinge gerecht werden will, wenn sie beobachtet, und ich zweifle nicht an der Seriosität der Aussagen von Herrn Sartor, dass jüngere Ausländer ältere deutsche Mütter und Alleinerziehende verdrängen, wegschubsen? Ich habe den Beschluss der Essener Tafel, verkündet durch den Chef, als eine Art Hilferuf verstanden. Sartor wehrt sich gegen Vorwürfe, die Organisatoren der Essener Tafel seien ausländerfeindlich. „Es kommen immer noch 4000 Menschen in der Woche, die einen Migrationshintergrund haben und die von uns Lebensmittel kriegen.“
Verständnis für seine Haltung bekam Sartor vom Freiburger Moraltheologen Eberhard Schockenhoff. Die Entscheidung der Essener sei zwar nicht optimal, aber nachvollziehbar, wenn sich ältere Leute und Mütter ausgeschlossen fühlten, sei das auch nicht im Sinne der Tafel. Der Kölner Armutsforscher Prof. Butterwegge kritisiert, die Tafeln würden als Ersatz für staatliche Sozialleistungen benutzt und seien damit überfordert. Zu den 1,5 Millionen Bedürftigen zählten eben zunehmend auch Flüchtlinge. Butterwegge regte an, für ältere Leute andere Öffnungszeiten anzubieten als für Ausländer, damit könnte man versuchen, den Konflikt zu entschärfen.
Der Fall erinnert ein wenig an eine andere Geschichte, die sich im Hallenbad in Bornheim-einer Kleinstadt bei Bonn- vor einiger Zeit ereignete. Dort hatte es Streit zwischen den deutschen und ausländischen Benutzern des Schwimmbades gegeben. Deutsche Frauen fühlten sich von jungen Ausländern belästigt. Die Folge: Die Stadt Bornheim erließ vorübergehend für das städtische Schwimmbad ein Hausverbot für Ausländer. Und wurde daraufhin heftig kritisiert. Erst als Sprecher der Stadt die Gründe öffentlich machten, dass die Maßnahme nichts mit Diskriminierung von Ausländern zu tun habe, sondern ehe dazu geeignet sei, Vertretern von Ausländern klarzumachen, wie man sich hier in einem Hallenbad zu benehmen habe, legte sich der Ärger. Selbstverständlich wurde das Verbot kurze Zeit später wieder aufgehoben.
1,5 Millionen Bedürftige
Bundesweit gibt es rund 940 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel von Supermärkten sammeln und damit regelmäßig bis zu 1,5 Millionen Menschen versorgen. Die Tafeln leben von Spenden jeder Art. So kann der Verbraucher in REWE- wie Lidl-Märkten den Bon über leere Getränkeflaschen in einen bereitstehenden Plastik-Karton werfen. Es ist vielfach nur Kleingeld, bei mir waren es gestern 50 Cent, aber hier gilt das alte Motto: Jeder Cent zählt. Bitte nicht missverstehen! Verteilt werden die Spenden, Lebensmittel, Kleidung, Spielzeug, durch Ehrenamtliche. Im übrigen lässt sich durch Tafeln kein Anspruch ableiten. Es ist alles freiwillig.
Armut kennt keine Nationalität. Das stimmt. Und sicher ist es fraglich, wenn Bedürftige in Essen einen deutschen Personalausweis vorlegen müssen. Aber wie bitte schön hätten sie anders dem Verdrängungswettbewerb begegnen sollen? Zudem die Kapazitäten nicht ausreichten, um diese Konkurrenz der Bedürftigen bewältigen zu können. Alles sagt sich so leicht vom Schreibtisch einer warmen Stube, wenn man selber nicht anstehen muss, nicht weiß, wie es in einem Obdachlosen, einem Rentner oder einem Flüchtling aussieht, der sich anstellt um ein paar Lebensmittel. Die Würde des Menschen? Sie steht im Grundgesetz. Aber in der Schlange sieht Würde oder fühlt sich Würde anders an. Der eine oder andere schämt sich, dass er zur Tafel geht.
Gut, dass es Tafeln gibt. Ich höre, sie haben Konjunktur. In diesem Zusammenhang kein schönes Wort. Die Tafeln sind Ausdruck dieser reichen Gesellschaft, die die Armut an der Wurzel nicht bekämpft. Die Tafeln lindern nur die Armut, sie helfen. Das mag das Gewissen manchen Bundesbürger erleichtern. Auf den Tischen der Tafeln landen Lebensmittel, die sonst auf dem Müll landeten. So ist die Wegwerfgesellschaft. Die Tafeln halten der Gesellschaft den Spiegel vor, aber was nützt das, wenn diese nicht hineinschaut. Dann sieht sie die Nöte der Gesellschaft nicht, jener Menschen, die nicht über das nötige Kleingeld verfügen, um normal einzukaufen, also bei Edeka, Rewe, Lidl, Aldi. Diese Leute, man nennt sie übrigens Kunden, was besser klingt als Arme, gehen dann zur Tafel. Ein Lob den Tausenden von Helfern, die das alles freiwillig machen. Der Sozialstaat, der das leisten müsste, versagt hier. Und jeder Politiker sollte sich in diesem Zusammenhang jede Bemerkung über Barmherzigkeit verkneifen. Diese Sprüche wirken hier hohl, vor allem wenn jenes Zitat, angeblich von einem Mitarbeiter eines Sozialamts, zutrifft: „Geh zur Tafel, wenn das Geld nicht reicht.“
Bildquelle: pixabay, user geralt, CC0 Creative Commons
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