Nirgendwo wird so viel gelogen wie im Krieg, nirgendwo spielt die Propaganda eine so wichtige Rolle, um die Oberhoheit bei der Deutung von Schuld und Unschuld zu gewinnen. Das ist jetzt nicht anders, da wir über die Kämpfe in der Ost-Ukraine berichten, da Bilder vorgelegt werden, die angeblich beweisen, dass russische Einheiten mit russischen Panzern in die Ukraine einmarschiert sein sollen. Damit will man belegen, dass Putin der Böse ist in diesem üblen und tödlichen Spiel. Aber stimmen die Bilder, drücken sie die Wahrheit aus? Zweifel sind angebracht, im Fernsehen war auch ein älterer US-Experte zu sehen und zu hören, der sich darüber wunderte, dass die Bilder vor einer Woche aufgenommen worden waren und jetzt erst auftauchen. Beweise? Können die Bilder nicht gestellt sein, irgendwo auf dem Globus?
Die Welt schaut mit Bangen und großen Sorgen auf die Krisen im Nahen Osten, in Afrika, Libyen, Gaza, in Afghanistan und vor allem in der Ukraine. 100 Jahre nach Ausbruch des 1.Weltkriegs und 75 Jahre nach Beginn des 2. Weltkriegs scheinen die herrschenden Politiker nicht schlauer geworden zu sein. 17 Millionen Tote zwischen 1914 und 1918 und 60 Millionen Tote zwischen 1939 und 1945 scheinen nicht ausreichend gewesen zu sein, um endlich die Nase voll zu haben von Krieg, der so viel Elend und Leid mit sich bringt und nichts klärt, sondern neuen Hass schürt.
Wer geglaubt oder besser gehofft hatte, mit dem Ende des Kalten Kriegs, der deutschen Einheit und der Auflösung der Sowjetunion, der wieder gewonnenen Freiheit und Selbständigkeit vieler Staaten in Osteuropa würde nun der ewige Frieden ausbrechen, sieht sich getäuscht. Der einstige Ordnungsrahmen dieser Welt zwischen West und Ost, Nato und Warschauer Pakt, existiert nicht mehr. Die Welt, so hat es vor einiger Zeit der kürzlich verstorbene Peter Scholl-Latour beschrieben, ist aus den Fugen geraten. Ein Krieg scheint wieder möglich, als wären alle von Sinnen, ja verrückt geworden. Gibt es einen Grund, der schwer genug sein könnte, um einen Krieg anzufangen?
Der Westen hält Putin für den einzig Bösen und vergisst dabei gelegentlich, wie sehr er den russischen Präsidenten gekränkt, ihn außen vor gelassen, ihn nicht einbezogen und ihm wohl nie die Frage gestellt hat, ob denn auch Moskau Angst habe vor der sich immer weiter ausbreitenden und Russland näher rückenden Nato? Warum lassen wir nur die Polen und die Balten ihre Ängste vor Russland sich äußern, die unter dem Schirm der Nato sich sicher fühlen können?
Die langjährige Korrespondentin der ARD in Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, hat diese Gedanken ausgesprochen in der Talkschau „Beckmann“. Ihr sind die Debatten um Schuld oder Unschuld und Einmarsch zu kurz gegriffen, sie kennt die Vorgeschichte, das, was in der älteren wie jüngeren Vergangenheit passiert ist. Sie erinnerte an den Zerfall der Sowjetunion, es fiel das Zitat Putins, dieser Zerfall sei für ihn die größte Katastrophe gewesen, sie erinnerte an das geplante EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das eben andeutete, dass hier ein Land den alten Ordnungsrahmen verlassen und in einen neuen drängen will. Sie erwähnte die Lage der Schwarzmeerflotte, die Gefahr der Einkreisung, wie Putin sie sah für Russland. Es räche sich jetzt, dass der Westen Russland und seine Sorgen und Ängste nie berücksichtigt und auf alle Signale aus Moskau nicht eingegangen sei. Das große Russland sei nicht ernst genommen worden vom Westen, es sei als Konkurs-Masse des Kalten Krieges betrachtet worden.
Dass auch Russland in diesem Streit, der längst die Ausmaße eines Krieges angenommen hat, der aber noch beschränkt ist auf die Ukraine, nicht nur die Wahrheit sagt, davon geht Wolf von Lojewski, einst Korrespondent in London und Washington, aus. Angesprochen, ob er das glaube, dass russische Soldaten sich verlaufen und deshalb die ukrainische Grenze überschritten hätten, ob er glaube, dass russische Soldaten in der Ost-Ukraine mitkämpften, weil sie das als Teil ihres Urlaubs betrachteten, auf den ihre Generäle in Moskau keinen Einfluss hätten? „Nicht die Bohne“. Aber Lojewski stellte auch die Frage, ob und wenn ja warum Angela Merkel bei ihren Telefongesprächen mit Putin diesen nie gefragt habe: „Wladimir, was willst Du eigentlich?“
Ja, wenn man das wüsste? Man hätte ihn fragen können. Ihn aber wegen der Ost-Ukraine mit Sanktionen zu bestrafen, wie man kleine Kinder bestraft, dürfte seinen Zorn auf den Westen eher noch steigern. Ohnehin sind Strafmaßnahmen eher umstritten, das hat vor Tagen der frühere außenpolitische Berater des Kanzlers Helmut Kohl, Horst Teltschik, betont, der gar nichts davon hält. Wie übrigens auch Krone-Schmalz nicht: „Etwas Blöderes als Sanktionen hätten wir nicht machen können“. Aber sie liegen nun mal auf der Linie dessen, wie vor allem die USA Moskau behandeln. Es ist nicht vergessen, dass Präsident Obama sich ziemlich abschätzig über Russland äußerte, als er das Land auf eine Stufe mit einer „Regionalmacht“ reduzierte. Putin wird die vielen, teils bösen Kritiken während der Winter-Spiele in Sotschi nicht vergessen haben, gerade so, als gönnte man ihm den Glanz solcher Sportfeste nicht. Und es passt ins Bild, dass Politiker der Union wie der Grünen vor einiger Zeit forderten, man müsse Russland die Fußball-WM wegnehmen.
Dass ein Krieg wieder möglich ist, sehen wir Tag für Tag im Fernsehen und wir lesen es in den Zeitungen. Für den Ressortchef Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Kornelius, ist das Vorgehen Russlands „ein klarer Schritt zum Krieg“. Die Hemmungen wegen eines Krieges seien gefallen. Da ist was dran. Auch der Autor des Buches „Der Große Krieg 1914 bis 1918“, Herfried Münkler, wies daraufhin. Parallelen mit 1914 seien durchaus erkennbar, damals die Einkreisung durch die Entente, wie das die Generalität des Deutschen Reiches sah, um den schnellen Kriegsbeginn mit Frankreich und Russland zu begründen, und heute eben eine ähnliche Sorge Russlands. Zudem könnte die Einverleibung der Krim durch Moskau ein Präzedenzfall sein, dass ein Krieg sich wieder lohnen könne, um Grenzen zu verschieben.
Was also tun? Wenn Russland wegen der Sanktionen in Zukunft sein Gas an China verkauft, aber im Gegenzug nicht die Technologie bekommt, die es für den Fortschritt seines Landes dringend braucht, könnte das große Land zurückfallen mit allen negativen Folgen auch für die Politik und die Menschen im Lande, es könnte destabilisiert werden. Herfried Münkler sieht darin eine Gefahr auch für den Westen. Wenn man Russland in die Knie zwänge, könnte das auch für Europa zu einem Problem werden. Und Gabriele Krone-Schmalz ergänzte:“ Wir verschaffen uns Sicherheit, wenn Russland eingebunden ist.“ So hat es auch vor Wochen schon Erhard Eppler erläutert.
Miteinander reden, die jeweilige Politik verständlich machen, um Verständnis werben, um herauszufinden, was die andere Seite, was Moskau dazu sagt und umgekehrt. Die Politik der Entspannung von Willy Brandt und Egon Bahr hat das vor Jahrzehnten mit Erfolg vorgemacht . Wandel durch Annäherung war die eine Formel, Brandt ergänzte sie gern mit dem Zusatz: Solange geredet wird, wird nicht geschossen. Und eines sollten wir nicht vergessen: Die nicht eingehaltenen Versprechen des Westens gegebenüber Moskau, die Nato werde sich keinen Fußbreit Richtung Osten ausdehnen. Das Gegenteil war der Fall und wenn die Ukraine tatsächlich Mitglied der EU würde und später der Nato, würde sich der Westen um 1000 Kilometer Richtung Russland ausgedehnen und hätte eine gemeinsame Grenze mit Putins Reich.