Das war gründlich: Die Grünen haben in Hannover ein neues Spitzenduo gewählt und dabei nicht nur einiges an Prominenz, sondern auch politische Grundsätze über Bord geworfen. Mit der neuen Doppelspitze strebt die Partei einen Aufschwung an. Kommentatoren sehen gar die Entwicklung zu einer linken Volkspartei am Horizont. Doch gemach! Da ist mehr Wunschdenken als Wirklichkeit im Spiel.
Robert Habeck heißt der neue Hoffnungsträger. Er hat sich als Umweltminister in Schleswig-Holstein profiliert, begeistert die Grünen mit seiner charmanten, redegewandten Art, überzeugt sie mit hemdsärmeligem Pragmatismus statt verbissener Ideologie. Die Partei, die während der Jamaika-Sondierungen die Regierungsmacht zum Greifen nah spürte und die mit Cem Özdemir schon das Außenministerium sicher glaubte, sieht in Habeck das Talent, das in der Politik unserer Tage Erfolge erzielt.
In der Krise der Parteien alten Typs setzt der 48-Jährige auf eine „Bewegung“ und zieht damit selbst die Parallele zu Emmanuel Macron in Frankreich. Ein Sympathieträger an der Spitze, ein Aushängeschild, ein Richtungsgeber: mehr braucht es in solchen Bewegungen nicht, mehr dulden sie auch nicht. Für eine Partei, die sich seit der Gründung 1980 ihrer Basisdemokratie rühmte, wäre das ein gewaltiger Umbruch.
Die Bereitschaft dazu schien in Hannover groß und manifestierte sich in der Abstimmung über die von Habeck geforderte Satzungsänderung. Der Bewerber um den Parteivorsitz hatte zur Bedingung gemacht, dass ihm für acht Monate die Fortführung seines Ministeramts gestattet wird, und die Delegierten gestanden ihm das ohne großes Murren zu. Über den Grundsatz der Trennung von Amt und Mandat hat es bei den Grünen viele erbitterte Diskussionen gegeben, nun war ihnen die Person wichtiger als das Prinzip.
Ähnliches gilt für die Wahl von Annalena Baerbock zur weiblichen Hälfte der Doppelspitze. Die 37-jährige Brandenburgerin setzte sich deutlich gegen Anja Piel aus Niedersachsen durch und kippte damit die eherne Regel, dass im Vorsitz nicht nur ein Mann und eine Frau, sondern auch ein Realo und ein Fundi vertreten sind. Die Fundamentalisten sind in Hannover kräftig gerupft worden. Sie hatten mit Simone Peter in der abgelösten Führung wenig überzeugt und haben nun kein Gesicht mehr in der ersten Reihe. Ein Ende der Flügel jedoch, die in der Partei von Beginn an um den besseren Weg gerungen haben, bedeutet das noch nicht.
In der Bundestagsfraktion gelten die alten Regeln fort. Die kurz vor dem Parteitag als Vorsitzende bestätigten Katrin Göring-Eckhardt und Anton Hofreiter halten die hergebrachte Balance zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten. Auf der Strecke geblieben ist Cem Özdemir, der als Parteivorsitzender gegen Habeck keine Chance mehr hatte und der auch in der Fraktion nicht zum Zug kam.
Signalisiert nun also die neue Architektur der grünen Macht einen Aufbruch zur Volkspartei, zu einer linken gar? Die jüngste der etablierten Parteien ist seit 1983 mit einer Unterbrechung im Bundestag vertreten, sie hat Abgeordnete in 14 von 16 Landtagen, ist in unterschiedlichen Konstellationen an neun Landesregierungen beteiligt und stellt vereinzelt auch Oberbürgermeister, mit Fritz Kuhn, Winfried Kretschmann und Boris Palmer „dunkelgrüne“ durch die Bank.
Eine linke Verortung ist weniger erkennbar denn je. Die Gedankenspiele speisen sich eher aus dem schlechten Zustand der SPD, der auch in der Linkspartei eine Diskussion über die Bündelung der fortschrittlichen Kräfte in einer Sammlungsbewegung entfacht hat. Aber noch hat sich die SPD nicht abgeschrieben. Auch sie sucht „Erneuerung“. Wie die aussehen soll, ist allerdings noch nicht erkennbar.
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