Offener Brief
Denkpause für Stuttgart 21!
Umkehr zur Wahrheit!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
aus Sorge um die Umwelt und um Wahrhaftigkeit und Demokratie in Deutschland wenden wir uns im Blick auf die Bahn-Aufsichtsratssitzung am 26. Januar 2018 mit einer dringenden Bitte an Sie: Zeigen Sie Stärke: Senden Sie ein Signal, dass es beim Projekt S21 kein einfaches Weiter-so „mit geballter Faust in der Tasche“ geben darf!
Das Projekt befindet sich mittlerweile auf ganzer Linie in der Krise:
- Der ICE-Anschluss des Flughafens – das zentrale Argument des Landes Baden-Württemberg – wird von der Bahn infrage gestellt.
- Die Bebauung auf dem gegenwärtigen Gleisgelände des Hauptbahnhofs – das zentrale Argument der Stadt Stuttgart – ist völlig ungewiss, weil die Kopfbahnhofgleise noch nicht entwidmet sind und von einer privaten Bahngesellschaft beansprucht und gerichtlich eingeklagt werden.
- Die „überragende verkehrliche Bedeutung“ des Projekts – das zentrale Argument für alle Sondergenehmigungen – hat sich ins Gegenteil verkehrt: Der Tiefbahnhof bewältigt 30 % weniger Verkehr als der bestehende und behindert den bundesweiten ICE-Taktverkehr. Eine Verbesserung leistet lediglich die Neubaustrecke nach Ulm, deren Vorteile aber auch ohne Tiefbahnhof verwirklicht werden können.
- Die – als Wahrzeichen erhofften – Kelchstützen des Tiefbahnhofs bekommen seit Jahren keine Genehmigung, weil die für den Brandschutz erforderlichen Ergänzungen zu statischen Problemen führen.
Das Projekt bewegt sich finanziell und zeitlich inzwischen in einer Dimension, in der eine zusätzliche Denkpause keinen nennenswerten zusätzlichen Schaden anrichten kann. Im Gegenteil: Es besteht die große Chance, das Projekt finanziell und technisch aus der Krise zu führen – wenn Sie, sehr geehrte Frau Kanzlerin, jetzt den Bahn-Aufsichtsräten das Signal geben, Alternativen zu prüfen.
Dazu liegt das hervorragende Konzept „Umstieg 21“ vor (www.umstieg-21.de): Es sieht eine hoch leistungsfähige Modernisierung des Kopfbahnhofs zu einer Mobilitäts-Drehscheibe vor – bei gleichzeitiger weitgehender Mitverwendung der bislang gebauten Gruben und Tunnels. Es kann deutlich früher verwirklicht werden – und vor allem mit einer Kostenersparnis gegenüber dem Weiterbau von bis zu 5 Milliarden.
Bitte üben Sie auf die Aufsichtsräte nicht – wie 2013 massiv geschehen – Druck aus, die dramatischen Warnungen von Gutachtern, Fachleuten und Bundesrechnungshof zu übergehen. Sondern lassen Sie eine vernünftige, sachbezogene, nicht von machtpolitischen und Gesichtswahrungsgründen bestimmte Abwägung der Fakten zu. Sie können doch nicht als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen wollen,
- die – um angeblich die Infrastruktur zu verbessern – die Bahn-Infrastruktur zerschlagen hat (regelmäßiger Verkehrskollaps wegen regelmäßiger monatelanger Tunnelsperrungen, wegen Anhydrit-Quellungen).
- die – angesichts drohender Fahrverbote und EU-Klagen gegen Deutschland – das zentrale Instrument des Klimaschutzes, den Bahn-Verkehr einer der wichtigsten Wirtschaftsmetropolen, zurückgebaut hat.
- die – um angeblich den Wirtschaftsstandort Deutschland zu retten – den Ingenieursstand Deutschlands weltweit blamiert und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland beschädigt hat,
- die – um den Arbeitsplätzen in der Autoindustrie keine Konkurrenz durch die Bahn zu schaffen – für das größte Bundesunternehmen Milliardenverluste und Arbeitsplatzabbau zu verantworten hat,
Laden Sie nicht die Schuld auf sich, dass in Deutschland 10 Milliarden für den Rückbau eines Bahnhofs aufgewandt werden, während dadurch bundesweit Geld für Wartung und Ausbau des Schienenverkehrs entzogen wird.
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, Sie hatten die Kraft, den Atomausstieg einzuleiten. Sie hatten die Kraft, die deutsche Flüchtlingspolitik zu öffnen. Sie haben auch die Kraft, ein Projekt zu beenden, das sich im Laufe von nun über 20 Jahren als zerstörerischer Unfug herausgestellt hat. Nehmen Sie sich ein Beispiel am französischen Präsidenten Macron, der letzte Woche den hoch umstrittenen Flughafenbau Notre-Dame-des-Landes bei Nantes – nach 40 Jahren gesellschaftlicher Spaltung – gestoppt hat.
Bitte werden Sie aktiv! Jetzt ist die entscheidende Gelegenheit zum Umsteuern – und dabei die Lernfähigkeit der Politik zu beweisen.
Mit freundlichen Grüßen,
im Namen der Initiative „TheologInnen gegen S21“,
Martin Poguntke, Dattelweg 51a, 70619 Stuttgart, theologinnen-gegen-s21@online.de
Bildquelle: © Ra Boe / Wikipedia, CC BY-SA 3.0
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