Manchmal geht es in der Politik ruckzuck. Polen hat einen neuen Regierungschef. Mateusz Morawiecki rückt aus dem Finanzministerium zum neuen Ministerpräsidenten auf. Parteifreundin Beata Szydlo ist ihm zuliebe zurückgetreten, nachdem sie ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden hatte. Gesichtswahrung nennt man so etwas. Der Sinn des Wechsels erschließt sich nicht so recht, zumal beide der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) angehören, in der nur einer etwas zu sagen hat: Parteichef Jaroslaw Kaczynski.
Der ist auch Vater der Justizreform, mit der sich Polen von Gewaltenteilung und Rechtsstaat entfernt. Damit handelt er sich zwar neuen Ärger mit der Europäischen Union ein. Doch der ist einkalkuliert, und falls es hart auf hart kommt, hält Ungarns Regierungschef Viktor Orban seine schützende Hand über ihn. Die polnische Regierung macht die EU bei jeder sich bietenden Gelegenheit schlecht und verweigert ihr die Gefolgschaft nicht nur beim Flüchtlingsthema, sondern beispielsweise auch beim Naturschutz. Die populistische Widerborstigkeit geht inzwischen so weit, dass von einem EU-Austritt die Rede ist. Zugleich kassiert die Regierung in Warschau aber kräftig Brüsseler Subventionen. Das ist ein schäbiges Spiel mit der europäischen Solidarität.
Die hat sich in Bezug auf den Brexit erneuert. Der Zusammenhalt der verbleibenden 27 EU-Mitglieder gegenüber Großbritannien wirkt gefestigt. Die britische Premierministerin bekommt das bei den Verhandlungen in Brüssel zu spüren. Sie muss kleine Brötchen backen und auch im eigenen Parlament die Lektion lernen, dass ihre Beinfreiheit erheblich eingeschränkt ist. Selbstverständlich behält sich das Unterhaus bei diesem historischen Vorgang das letzte Wort vor. Das ist Ehrensache – auch für einige konservative Abgeordnete. Theresa May wird auf dem Weg der Trennung, für dessen zweite Phase es jetzt grünes Licht gibt, noch herbere Rückschläge einstecken müssen.
Eine Nagelprobe für die Solidarität in Europa ist seit Jahrzehnten die Flüchtlingspolitik, und die wird aktuell wieder zum Streitfall. Ausgerechnet EU-Ratspräsident Donald Tusk stellt die 2015 vereinbarte Quotenlösung zur Aufnahme von Geflüchteten in Frage und springt damit den Verweigerern der Visegrad-Gruppe zur Seite. Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn meinen bis heute, das ganze Elend ginge sie gar nichts an. Sie bieten ein paar Millionen, um sich von der Verantwortung freizukaufen. Deutschland, das sich heute empört, hat es früher nicht viel anders gemacht. Die Mittelmeeranrainer, bei denen die Bootsflüchtlinge anstrandeten, können ein Lied davon singen.
Konsensfähig ist in der europäischen Flüchtlingspolitik allein die rigorose Abschottung. Ohne Rücksicht auf die viel beschworenen gemeinsamen Werte werden die Maßnahmen der Abwehr verschärft und Deals mit den fragwürdigsten Regimen gemacht. Dass Flüchtlinge in den nordafrikanischen Lagern gequält, vergewaltigt und als Sklaven verkauft werden, wird allenfalls mit Krokodilstränen beweint.
Das Militärische hat es der Gemeinschaft angetan. Richtig feierlich ging es auf dem EU-Gipfel zu, als die verstärkte militärische Zusammenarbeit von 25 der 28 EU-Staaten besiegelt wurde. Der erste Meilenstein auf dem Weg zu einer europäischen Verteidigungsunion ist gelegt. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Europa gerade erst zu mehr Verantwortung in der Welt gemahnt. Die USA heizen internationale Konflikte an und ziehen sich zugleich aus der Weltpolizistenrolle zurück. Ihr Präsident Donald Trump verspricht sich mehr Publicity von Raketenflügen zu Mars und Mond, als von einer verantwortungsvollen Friedenspolitik. Seine Steuerreform ist ein unfreundlicher Akt gegen ausländische Handelspartner, und das Ende der Netzneutralität im Internet ein Angriff auf die Informationsfreiheit, der verheerende globale Folgen haben wird. Angesichts der neuen Aufrüstungsdynamik und weltweit wachsenden Rüstungsausgaben kann einem dennoch mulmig werden bei dem Gedanken, dass das einzigartige Friedenswerk der europäischen Einigung zur militärischen Großmacht mutieren könnte.
Unglaublich friedlich geht es neuerdings in Bayerns CSU zu. Horst Seehofer und Markus Söder geben sich plötzlich als ein Herz und eine Seele. Nach dem jahrelangen Hahnenkampf wirkt die Harmonie jedoch so aufgesetzt, dass sie allenfalls bis zur bayerischen Landtagswahl im Herbst 2018 hält. Seehofer sucht als Parteichef sein Glück in Berlin, Söder führt die bei der Bundestagswahl kräftig gerupfte Truppe in die Wahl. Stück für Stück und Schritt für Schritt, sagt er, um allzu hohe Erwartungen zu dämpfen. Sein Nahziel sei ein glaubwürdiges Signal der Geschlossenheit. Dem muss sich auch die Vorsitzende der Schwesterpartei unterordnen. CDU-Chefin Angela Merkel hat Bayern-Besuche nicht gerade in bester Erinnerung, aber natürlich auch ein starkes Interesse an geschwisterlicher Harmonie. Schließlich will sie mit der Regierungsbildung vorwärtskommen und endlich wieder zur richtigen Bundeskanzlerin gewählt werden. Die Geschwächten sind aufeinander angewiesen – auf Gedeih und Verderb.
Bildquelle: Wikipedia, User WiseWoman, CC BY-SA 2.0 DE