Die Große Koalition als Ausnahme demokratischen Regierungshandelns droht zur Regel zu werden. Was das für Sozialdemokraten als ständige Juniorpartner konservativer Mehrheitsführer bedeuten kann, sollte sich der unglücklich agierende Martin Schulz von den marginalisierten Genossen in Italien, den Niederlanden oder Skandinavien berichten lassen. Nun treibt die SPD auf dieses Bündnis erneut zu. Nach einem lauthalsigen Nein von Schulz, welches fast noch in der gleichen Stunde von führenden Sozialdemokraten mit einem „Jein“ , dann mit einem „Ja aber“ zurück geholt wurde. Auch der Mainstream aus öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Meinungsmacher, der die SPD lange Zeit in Grund und Boden kommentiert hatte, macht entsprechenden Druck. Die klugen Köpfe aus den Redaktionsräumen nehmen die Partei mit staatstragenden Parolen in die Pflicht, der Bundespräsident wird als Kronzeuge medial vereidigt, so als ob wir eine Staats- und keine Parteienkrise hätten. Der Theaterdonner aus dem Show-stück Jamaika mit Slapstick-Szenen vom neoklassizistischen Berliner Balkon ist verhallt, geblieben ist die verwirrte Theatertruppe, deren Protagonisten sich – wie zu erwarten – nun gegenseitig die Schurkenrolle zu schieben. Neue politische Lieben sollen entstanden sein, vor allem zwischen Union und Grünen, die sich von der FDP am Nasenring durch die öffentliche Manege geführt sehen.
Nun heißt es also wieder „ Bühne frei „ für die Sondierung nächster Akt. Für die sozialdemokratischen Akteure ist diese mögliche neue GroKo auf absehbare Zeit die letzte Chance, den inhaltlichen und personellen Erneuerungsprozess glaubwürdig zu starten. Die Verführungen sind allerdings groß, sich erneut nur auf das Regieren zu stürzen und ein neues Programm wie frisches Führungspersonal zu verdrängen.
Diese Krise könnte die SPD auch als Chance nutzen, steuer- und sozialpolitische Inhalte neu zu setzen, dabei Themen, wie Digitalisierung, Globalisierung, Umwelt oder Bildung, auch mit neuen politischen Botschaftern zu präsentieren. Dies in anderen öffentlichen Foren als wie gewohnt im Mief der Delegiertensäle, mit Protagonisten aus der Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft. Christian Lindner oder Sebastian Kurz in Österreich mag man große Portionen Selbstvermarktung vorhalten, aber beide haben ihre Parteien aus dem Tal der Tränen geholt, übrigens mit harter strategischer Arbeit. Wenn sie jetzt wieder mit allen alten und verbrauchten Figuren aus den letzten Legislaturperioden antritt, keine Erzählung für eine politische Vision präsentiert, dann ist ihr nicht mehr zu helfen.
Zum Realismus in diesem Land gehören auch ein Höchststand von einer Million Leiharbeiter im Lande, 2,8 Millionen von Armut bedrohte Jugendliche und Kinder und fast zehn Prozent Beschäftigte, die trotz regelmäßiger Arbeit, als arm eingestuft werden. Wenn gleichzeitig eine dramatische Einkommensverschiebung von unten nach oben stattgefunden hat, wie die Statistiken ausweisen, dann gibt all das Antrieb genug, der Gesellschaft nicht nur wieder Visionen sondern ein sozialdemokratisches Gesellschaftsmodell zu präsentieren.
Angela Merkel ist angeschlagen, ihre Nachfolge ungeklärt, die CDU ähnlich verbraucht wie die SPD und die CSU im innerparteilichen Clinch. Das ist auch eine große Chance für eine neue SPD.
Doch bislang präsentiert das Willy Brandt – Haus nur den alten Wein in alten Schläuchen. Dabei ist die Verwirrung unter den Genossen groß, ein irrlichternder Vorsitzender taktiert um seine Position zu halten, er winkt mit der Mitgliederberfragung, doch ihm droht auf dem
nächsten Parteitag ein „ Mannheimer Desaster“, eine öffentliche Hinrichtung, wie sie einst Rudolph Scharping durch Oskar Lafontaines Auftritt auf dem Mannheimer Parteitag erlebte.
Wenn Schulz sich und seine Partei retten will, dann sollte er auf ein Regierungsamt verzichten und versuchen, die Erneuerung der SPD in Gang zu setzen.
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