Nachdem Jamaika wieder nur eine Insel ist, bleibt die Frage, wo für deutsche Politik das Festland beginnen kann. Der Ruf nach einer erneuten großen Koalition und damit die Verschiebung staatspolitischer Verantwortung allein auf die SPD, würde nicht genügen, die nun retten soll, was der Wähler von der Union im Bund und der CSU in Bayern übrig gelassen hat. Von einer Beteiligung an dieser Rettungsaktion haben sich die Liberalen gerade verabschiedet, staatspolitische Verantwortung hin oder her. Im Schlusssatz eines Kommentars dazu in der „Süddeutschen Zeitung“ heißt es verständnisvoll, es stünde dem FDP-Vorsitzende Lindner zu, Schaden von seiner Partei abwenden zu wollen.
Für die SPD Selbstmord auf Raten
Der SPD aber nicht? Mindestens ließe sich doch wohl darüber nachdenken, ob für die SPD eine vierte Koalition zwischen beiden Volksparteien zumutbar sei; auch dann, wenn damit der sozialdemokratische Selbstmord auf Raten sich weiter fortsetzen würde? Ein solches Bündnis wird zwar noch immer „Große“ Koalition genannt, obwohl sie im Lauf der Zeit tatsächlich immer kleiner und die SPD immer anämischer wurde. Ihr ging politischer Sauerstoff, auch Vertrauen genannt, verloren. Dafür wurde der Rechtsextremismus größer, und mit der AfD schließlich rückte er an die dritte Stelle im parlamentarischen Spektrum. Dann erst folgen der braunen Farbe die Farben grün und gelb
Das scheint in der gegenwärtigen Debatte keine Rolle zu spielen. Im Bewusstsein der Union ist die Gefahr einer weiteren Aufladung des rechten politischen Spektrums nur eine Einbildung der SPD. Für den noch amtierenden Innenminister ist der rechtsextreme Terror kaum der Erwähnung wert. Wie sich im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund-NSU- in München erweist, gilt das auch für die Bundesanwaltschaft, die das rechte Netzwerk der Mordbande ignoriert und entsprechende Hinweise der Opferanwälte als „Fliegengesumme“ abtut.
Großthemen benötigen Antworten
Was spräche trotz allem dennoch für einen Versuch, eine Alternative zu Jamaika entlang des Ergebnisses der Bundestagswahlen von vor knapp zwei Monaten zu ermöglichen? Dabei wäre zu bedenken, mit welchen Problemen wir es innen- wie außenpolitisch zu tun haben und mit welcher koalitionspolitischen Antwort zu reagieren wäre. Vier bis fünf Großthemen brauchen dringend Antworten: Europa, Rettung des blauen Planeten vor der Zerstörung durch die Klimafolgen, die weltweite Völkerwanderung, zur Zeit sind 75 Millionen Menschen auf der Flucht und wachsender Nationalismus. Als fünfter Punkt die Globalisierung und ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen.
In allen diesen Bereichen muss deutsche Politik aus der Sphäre des Ungefähren endlich heraus geraten. Die sich darin erschöpfende Haltung der Kanzlerin wird nicht weitere vier Jahre ausreichen. Zumal die kommenden Wahlen in Italien den nächsten Rechtsruck unter Einschluss eines Austritts des Landes aus der Europäischen Union nach sich ziehen könnte. Der französische Präsident Macron braucht Antworten, damit die EU überlebensfähig bleibt. Klar, dass er hier in Martin Schulz einen Partner hätte. Ebenso braucht es klare Ziele einer auf Rüstungsbegrenzung und Entspannung angelegten europäischen Politik. die nicht nur eine militärische Option beinhaltet. Es geht um Europas Antwort auf die USA und deren angekündigten Rückzug aus internationalen Verträgen.
Weltweite Vereinbarungen
Die Fluchtbewegung in der Welt erfordert mehr als ihre Abwehr durch Grenzbefestigungen Europas. Hier hätten SPD und Grüne eher Antworten als die Union. Die bekannten Obergrenzen sind nur eine Verengung auf nationale Antworten, statt die Probleme mit weltweiten Vereinbarungen, wie auf der UN-Klimakonferenz angedacht, zu lösen. Dazu wäre aber eine Beteiligung der Grünen an einer künftigen Regierung unabweisbar notwendig. Unverzichtbar auch deswegen, weil ein rasches Ende der Kohlverstromung und der Abbau der Braunkohle nicht auf den Sanktnimmerleinstag verschoben werden darf. Einer entsprechenden Vereinbarung müsste auch die SPD in einem Koalitionsvertrag zustimmen.
Dass mehr Geld für Bildung und Ausbildung, gegen wachsende Altersarmut und gegen soziale Spaltung notwendig ist, und Steuerflucht, sei es über Paradisepaper oder über Briefkastenfirmen in Panama, zu bekämpfen wäre, dafür brauchte es eine Koalition, die sich auf einen politischen Neubeginn verständigt und durch ihre Zusammensetzung auch glaubwürdig vertritt. Dafür reicht keine Groko. Es brauchte zumindest neben der SPD auch die Grünen, um den denkbaren Verlust der CSU auf diesem Weg zu verkraften. Niemand sollte glauben, dass die nächsten vier Jahre mit einer entsprechend lautstarken rechtsextremen AfD im Bundestag mit einer Politik zu bewältigen wäre, die sich aus der Sphäre des Ungefähren nicht heraus wagt. Ob dafür das Personal vorhanden ist, wird sich weisen.
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