Die vier Parteien haben sondiert, diskutiert, spekuliert, umfangreiche Punkte für die verschiedenen politischen Felder auf’s Papier gebracht. CDU und CDU, FDP und Grüne sind immer wieder vor die TV-Kameras getreten, um ihre Vorstellungen und Forderungen darzulegen, ihre Kompromissbereitschaft zu deklarieren und alle Details zu kommentieren. Stunden um Stunden, Tage und Nächte lang saßen die Führungen der Parteien über alle möglichen Themen, erörterten zig Details, prüften gegenseitig die Bereitschaft zu Kompromissen. Dabei ging es um die Migration, den Familiennachzug von Flüchtlingen, um Energie und Klima, um den Abbau des Solidaritätszuschlages und Steuersenkungen, um Digitalisierung und Bildung sowie um die Zukunft Europas.
Nicht passende Fehlfarben
Das Ziel war, eine parlamentarische Mehrheit für eine stabile Regierung zu erreichen. Doch die Wege zu diesem Ziel gingen von Anfang an allzu weit auseinander. Vieles passte einfach nicht zusammen, um aus vier verschiedenen Deckeln einen zu machen, der auch den schwarz-blau-gelb-grünen Pott wirklich abdecken konnte. Dabei war Angela Merkel als Vorsitzende der CDU, immerhin der größten Partei, sehr bereit, vieles zuzugestehen und manche Prinzipien aufzugeben. Ihr Ziel war es vor allem, auf dem Sessel des Kanzleramtes zu bleiben. Viele Christdemokraten sahen in ihr fast nur die Moderatorin der Sondierer, die jedoch keine klaren politischen Linien absteckte. Der CSU-Vorsitzende Seehofer kämpfte dagegen insbesondere um sein politisches Überleben – und das mit Vorgaben, die schier unerreichbar waren.
Recht kompromissbereit handelten die Grünen, die allzu gern in die Regierung einrücken wollten. Sie machten durchaus Abstriche in der Migrations- und Klimapolitik. Sie zeigten auch große Sympathien für ein Bündnis unter der Führung von Angela Merkel, von der sie weitere Zugeständnisse für eine zukünftige Vergrünung der Politik erhofften.
Knallharter Kurs der Liberalen
Klar und konsequent sondierten die Liberalen mit Christian Lindner an der Spitze. Die FDP war einfach nicht bereit, ihre Prinzipien auf dem Altar eines ohnehin nicht zusammenpassenden Bündnisses mehr oder weniger zu opfern. Denn richtiger ist in der Tat, eine solche Operation nicht zu wagen als einer falschen zuzustimmen. Es ist gut, dass Christian Lindner rechtzeitig zur Notbremse in dem Sondierungszug griff und nicht dem Prozess der Koalitionsgespräche zuzustimmen, um dann die politischen Unverträglichkeiten festzustellen.
Dazu gehörte viel Mut, doch den Liberalen sitzt der „Westerwelle-Schock“ noch tief in den Knochen. Sie wollten nicht als leichte Beute von Angela Merkel herhalten, obwohl CDU, CSU und FDP zu etwa 80 % übereinstimmten. Und sie wollten hernach nicht einfach als Pöstchenjäger-Partei abgestempelt werden. Zudem haben in den Sondierungsrunden gerade die FDP-Matadoren mehrfach klargemacht, dass vieles, was ökonomisch falsch ist, auch politisch nicht richtig sein kann. Besonders deutlich haben die Liberalen das in der Energiepolitik gemacht, um die Wolkenkuckucksideen der Grünen abzulehnen.
Neuwahlen in Sicht – ohne Merkel?
Angela Merkel, die derzeit geschäftsführende Regierungschefin, steht vor einem großen Scherbenhaufen. Sie hat ihre Partei auf einen Tiefstpunkt gebracht, meinte jedoch noch am Wahlabend, am 24. September, dass sie ihre strategischen Ziele erreicht hat und nichts anders hätte machen müssen. Nun nach den Sondierungen mit Grün und Gelb, aber auch mit der CSU muss sie die Götterdämmerung in Berlin erleben. Rien ne va plus! Die nächsten Etappen ihrer Kanzlerschaft sind vom Grundgesetz her klar vorgezeichnet. Eine absolute Mehrheit wird Angela Merkel im Bundestag nicht erreichen, wohl auch nicht einmal eine einfache. Letztlich wird der Bundespräsident, der nun noch einmal staatspolitische Haltung bei allen Parteien – auch bei der SPD – anmahnt, eine Neuwahl des Bundestages herbeiführen.
Die Ergebnisse dieser Neuwahl könnten mehr oder weniger gleich ausfallen wie am 24. September. Die Parteien zeigen sich fast durchweg bereit, die Wähler erneut an die Urnen zu bitten. Bei einigen – auch bei der CDU und CSU – kommt dafür nur wenig Begeisterung auf. Mit Angela Merkel als Spitzenkandidatin können sich nicht mehr alle anfreunden.
Die Alternativen zu ihr sind kaum zu erkennen. Siegertypen in der CDU und CSU sind nicht in Sicht. So könnte möglicherweise Wolfgang Schäuble zum Favoriten gekürt werden.
Gewagte Taktik der SPD
Die SPD bleibt derzeit bei ihrem Nein zu einer großen Koalition. Sie will die letzten Tage der Kanzlerin Merkel am politischen Fliegenfänger auskosten und rechnet sich bessere Chancen bei einer Neuwahl aus. Danach könnte die SPD ihre staatspolitische Verantwortung wiederentdecken und vielleicht über ein Bündnis mit der Union nachdenken – allerdings dann ohne Merkel, vielleicht mit Schäuble. Nicht an Weihnachten, sondern wohl eher an Ostern könnte wieder eine stabile Koalition und Bundesregierung gebildet werden. Bis dahin wird es spannende Darbietungen auf der politischen Bundesbühne geben. Deutschland wird einige Monate mit den Instabilitäten leben müssen. Eine Untergangs-Stimmung ist dennoch nicht angesagt.
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