Im wirtschaftlich immer noch von Weißen dominierten Südafrika übernimmt die vorwiegend schwarze Belegschaft das größte Bioweingut des Landes. Eine stille Revolution im Kleinen.
Mittagspause. Im Schatten eines großen Baums sitzen Andries Tromb und Chris Jacobs. Den ganzen Morgen über waren sie mit ihren acht Kollegen in den Reben gewesen, haben Stöcke beschnitten, den Boden bearbeitet, Unkraut gejätet. Ein harter Job, auch wenn vom Atlantik her eine Brise weht, die ihre Arbeit unter der sengenden Sonne etwas erträglicher macht. Entsprechend müde blicken sie unter ihren Hüten hervor. Und doch klagen sie nicht.
Der Lohn könne zwar durchaus etwas höher sein, sagt Tromb, 51, der seit über zwanzig Jahren auf der Farm von Wilhelm Steenkamp arbeitet, „er liegt aber deutlich über dem für die Branche vereinbarten Mindestlohn”. Der bringt rund neun Euro am Tag – und nicht einmal das zahlen die meisten Weinfarmer. „Wir erhalten auch Überstundenzuschläge und sind medizinisch gut versorgt. Außerdem bekommen ich jedes Jahr Anteile am Gesamtbetrieb gutgeschrieben”, sagt Tromb. Die will er sich auszahlen lassen, wenn er in Rente geht. Jacobs, 31 Jahre alt, findet andere Aspekte ebenso wichtig: „Erstens wird hier biodynamisch angebaut, ich bin also nicht den Giften ausgesetzt wie die Kollegen auf konventionell betriebenen Weingütern”, zählt er auf, „zweitens werde ich respektiert, kann also jederzeit meine Meinung sagen. Und drittens gibt es gewählte Arbeiterkomitees, die unsere Interessen vertreten.”
Eine funktionierende Belegschaftsvertretung in einem Land, in dem 23 Jahre nach Ende der Apartheid die Chefs noch immer zumeist weiß und die Untergebenen schwarz sind? Das erstaunt. Schließlich wird im südafrikanischen Weinsektor immer noch mit harten Bandagen gekämpft. So streikten Ende 2016 die LandarbeiterInnen der Robertson Winery, einem der größten Weinbetriebe des Lands, vierzehn Wochen lang – und konnten am Ende doch kaum mehr als den Inflationsausgleich durchsetzen. Die Trauben der Rebstöcke, die Tromb, Jacobs und ihre Kollegen auf Steenkamps Farm pflanzen, hochbinden, pflegen und schließlich ernten sind für Stellar Organics bestimmt. Diese Bio-Weinkellerei – dreihundert Kilometer nördlich von Kapstadt zwischen den Kleinstädten Vredendal und Klawer gelegen – hat ein Modell geschaffen, das der traditionell hierarchisch strukturierten und von Weißen beherrschten südafrikanischen Weinbranche den Weg in eine andere Zukunft weisen könnte.
Der Wert einer Belegschaft
Ein imposantes Kellereigebäude, riesige Stahltanks, zwei Lagerhallen, ein Lkw-Parkplatz, ein einfacher Verwaltungstrakt, rund zwei Dutzend Arbeiterhäuschen, alles hinter Bäumen versteckt: die „Stellar Winery”, so das Schild am Rand der Staatsstraße R362, liegt ziemlich unspektakulär in einer trockenen Ebene, in der ohne Bewässerungskanäle nur Gestrüpp wachsen würde. Spektakulär aber sind hier die Erzeugnisse – vielfach ausgezeichnete Weine, teilweise ohne Schwefelzusatz. Und vor allem die Menschen. Leute wie Willem Roussow zum Beispiel, Gründer, Geschäftsführer und mit 28 Prozent größter Anteilseigner von Stellar Organics.
Der 47-Jährige hatte von Anfang an, schon beim Aufbau ab 1999, auf biologischen Anbau gesetzt – und sich für Fairtrade engagiert, als dieses Konzept in Südafrika Fuß zu fassen begann. Warum? „Weil es allen nützt, den Beschäftigten und dem Betrieb.” Und dann erzählt er von der Katastrophe, die ihm vor fast dreißig Jahren die Augen geöffnet hatte. Damals, 1989, waren er und seine Brüder im Gemüseanbau tätig gewesen. Einer seiner Brüder fuhr LandarbeiterInnen zu einer Farm. „Dabei geschah das Unglück: Der Lkw stürzte von einer Brücke; alle 53 Mitfahrenden kamen um; mitten in der Erntezeit stand acht Wochen lang alles still”, sagt er. „Den Wert einer Belegschaft erkennst du erst, wenn du sie nicht mehr hast.”
Auch Martin Theys gehört zu den Persönlichkeiten, die Stellar zu einem besonderen Weingut machen. Der ehemalige Lehrer aus der Provinz Northern Cape bezeichnet sich selber als „Hausmeister des Betriebs” („einer, nach dem alle rufen, wenn etwas nicht funktioniert”), aber damit untertreibt er ein bisschen: Der 60-jährige Coloured – so nennen sich im Western Cape die Angehörigen der oft Afrikaans sprechenden Bevölkerungsgruppe multiethnischer Herkunft – ist Präsident der Belegschaftsfirma Stellar Trust, die schon früh vom Weingut gegründet worden war. Sie hält derzeit 26 Prozent der Stellar-Anteile und gehört den rund 180 ArbeiterInnen – also den Önologen, Lastwagenfahrern, Verwaltungsangestellten, Abfüllern, Etikettiererinnen in der Kellerei. Und den LandarbeiterInnen auf den elf Farmen, die Stellar Organics mit Trauben beliefern.
Das Besitzverhältnis sorgt dafür, dass der Trust in allen Belangen mitentscheiden kann (Theys sitzt auch im Direktorium des Weinguts) und dass den Arbeitern „alle Türen offen stehen”. Natürlich gebe es immer wieder Auseinandersetzungen, sagt er, „doch die Hierarchien sind flach”. Und sie werden weiter eingeebnet. Jenseits des Zauns, der die Kellerei umgibt, planieren zwei Bulldozzer die rote Erde. Die Nachfrage nach Stellar-Weinen wachse beständig, erläutert Theys. Und so entsteht gerade auf einer Fläche von 128 Hektar ein neues Rebbaugebiet. Die Firma, die es künftig betreiben wird, gehört größtenteils der schwarzen Belegschaft.
Finanziert wird die Investition mit dem Geld, das dem Belegschaftsunternehmen durch die Fairtrade-Beiträge zukommt: So zahlt die deutsche Vertriebsfirma – Peter Riegel Weinimport in Orsingen, Landkreis Konstanz – Stellar zehn Eurocent für jede verkaufte Flasche. Und mit Geldern des südafrikanischen Regierungsprogramms Broad-Based Black Economic Empowerment (kurz: BEE). 2004 eingeführt und 2014 erweitert, zielt das Programm auf eine Änderung der Besitzverhältnisse zugunsten der benachteiligten Bevölkerungsmehrheit ab. Das BEE-Konzept weist zwar viele Schwächen auf und wird vielfach kritisiert, auch weil es bislang vor allem einer kleinen schwarzen Mittelschicht zu enormem Reichtum verhalf. Gleichwohl verpflichtet es Firmen zu Ausgleichszahlungen, die die BEE-Kriterien im eigenen Unternehmen nicht umsetzen können oder wollen. Dieses Geld kommt nun auch dem künftigen Rebbaubetrieb der Stellar-Beschäftigen zugute: Ihm hat die BEE-Behörde einen Zuschuss in Höhe von 11,5 Millionen Rand (umgerechnet rund 800.000 Euro) zugesagt und zinsgünstige Kredite aus dem BEE-Fonds in Aussicht gestellt.
Die Last der Vergangenheit
Aber genügt eine schlichte Umverteilung? „Hier muss noch viel mehr geändert werden”, sagt Gert Loubser, der seit acht Jahren bei Stellar die Wasserversorgung managt, drei Fußballmannschaften coacht sowie eine Judo-Mannschaft und eine Sporttanzgruppe der Belegschaft betreut. „Wir Coloureds haben bis heute die Vergangenheit nicht abschütteln können. Die meisten von uns leiden weiterhin an den Folgen von Kolonialismus und Apartheid, die uns entwurzelt und unsere Kultur gestohlen haben.” Die Armut sei enorm, die Arbeitslosigkeit liege bei über fünfzig Prozent, „viele sehen keine Zukunft, weder für sich noch ihre Kinder”.
Und so haben der zielstrebige Roussew, der bedächtige Theys und andere Stellar-Eigentümer ein eigenes Ermächtigungsprogramm entwickelt: Junge Arbeiter werden in Rebenanbau, Önologie und Betriebswirtschaft ausgebildet, der Betrieb bezahlt den Beschäftigten gewerkschaftliche Schulungskurse, eine von Stellar gegründete Stiftung unterhält einen Kindergarten, hat eine Krankenschwester sowie eine Psychotherapeutin angestellt und unterstützt lokale Grundschulen.
Für die Aufgaben im Sozialbereich ist Irene Dell zuständig. Vor einigen Jahren, erzählt die 38-Jährige, sei Lehrern der örtlichen Steilhoogte Primarschule aufgefallen, dass viele Kinder ausgezehrt aus den Ferien zurückkehrten. „Sie haben zu Hause nicht genug zu essen bekommen, weil ihre Eltern zu arm oder zu apathisch sind”; ein schmächtiger Junge, ein Mittelstreckentalent, habe in der schulfreien Zeit fünf Kilo verloren. Also hat die Stellar Foundation gehandelt. Dell, die in Namibia aufgewachsen ist, und Manus Spamer, der Schulrektor, initiierten ein Ernährungsprogramm. Seither bekommen rund fünfhundert Schüler dank der Stiftung und mit Hilfe zahlreicher Freiwilliger während der Schulferien täglich zu essen – nicht nur in der Mensa der Steilhoogte Primêr, sondern auch an vier weiteren Orten.
Ferienspeisungen, medizinische und psychologische Betreuung, Solarlampen und sonnenbetriebene Ladestationen für die Beschäftigten, Klappschreibtische für Schüler in den engen elterlichen Behausungen, finanzielle Zuschüsse für Kinderkrippen – all das zu organisieren, fällt Dell nicht immer leicht. Schließlich ist sie auch noch für die Inspektion der Weinfarmen zuständig, für die Zertifizierung durch das Fair-for-Life-Programm, für die Dokumentation des Rebentransports, für die Belegschaftstreffen, für die Stellar-Webseite. „Der Schlüssel für eine bessere Zukunft liegt in der Bildung”, sagt sie. Und: „Allmählich bekommen die Menschen hier eine Ahnung davon, was Glück bedeutet.”
Das sieht auch Spamer so, Leiter der Steilhoogte Primer. Er hat in den letzten Jahren aus der einst verlotterten Staatsschule ein Vorzeigeprojekt geschaffen – mit Klimaanlagen in den Klassenräumen, mit neuer Mensa, mit Sportplatz, Gemüsegarten, einer Schulhymne und Förderklassen. Und mit einer Abschlussquote, die früher undenkbar schien. „Das stärkt das Selbstvertrauen der Schüler”, sagt er. Und: „Ohne die Stellar Foundation hätten wir das nie geschafft.”
Selbstbewusste Belegschaft
Finanziert wird die Stiftungsarbeit aus dem BEE-Fonds – und mit Hilfe von Stellar-Kunden vor allem in den USA, den Niederlanden und Deutschland. Der von Riegel gegründete gemeinnützige Verein Good Grapes for a Better Life (ebenfalls mit Sitz im Landkreis Konstanz) finanziert beispielsweise die medizinische und psychologische Betreuung der Beschäftigten und schenkte der Stellar-Belegschaft einen Klinikbus.
Die soziale Fürsorge, die betriebliche Mitsprache und die Gewinnbeteiligung (wer länger als fünf Jahre für Stellar arbeitet, bekommt regelmäßig Unternehmensanteile gutgeschrieben, derzeit halten rund 120 Stellar-Arbeiter Anteile in Höhe von bis zu 80.000 Rand, umgerechnet 5600 Euro, pro Person) – all das hat ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lassen. Und so ist bei anderen Weinbaubetrieben übliche hohe Fluktuation sehr niedrig. „Nur sehr wenige verlassen uns”, sagt Geschäftsführer Roussow. „Unsere Leute wissen, dass sie ernst genommen werden. Entsprechend selbstbewusst treten sie auch auf.”
Und so planen er, der Belegschaftsvertreter Theys, der Entwicklungsbeauftragte Loubser und die Sozialarbeiterin Dell den nächsten Schritt: In den nächsten zwei, drei Jahren soll der Besitzanteil der Belegschaft am Unternehmen auf über fünfzig Prozent steigen. Die zunehmende Nachfrage, die wachsende Anbaufläche, die BEE-Gelder und nicht zuletzt die Fair-for-Life-Beiträge der Stellar-Kunden „ermöglichen das”, sagt Roussew. Dann wäre Stellar Organics nicht nur der größte Bio-Wein-Produzent Südafrikas und der erste Fairtrade-Weinbetrieb am Kap. Sondern auch ein Weingut im Besitz der – vorwiegend schwarzen – Beschäftigten.
Weitere Informationen über Stellar, die Lagen des Weinguts, die Weine oder die Auszeichnungen bietet die südafrikanische Webeite der Winery und die (allerdings etwas veraltete) deutsche Stellar-Webseite des Importeurs.
PS: Stellar-Weine finden Sie übrigens in fast allen Bioläden – von den Supermarktketten wie Alnatura und Denn’s über Reformhäuser bis hin zu kleineren Verkaufsstellen.
Besonders viel zur Unterstützung der Stellar-Sozialprojekte trägt bei die Sorte Ukuva (Pinotage und Chenin-Sauvignon), die es ebenfalls in vielen Läden gibt.